"Was Arbeit eigentlich ist, ist nicht mehr so einfach zu kategorisieren. Einzig die Tatsache, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, scheint eine greifbare Klammer zu sein." Das schreiben Harry Gatterer und Thomas Huber vom Zukunftsinstitut, Kelkheim/Taunus, in ihrer Studie "Work:design".
Der Titel der Studie fasst die Aussage bereits zusammen: Arbeit heißt heute ständige Veränderung und Gestaltung. Wie sehr sich traditionelle Strukturen bereits aufgelöst haben, zeigen ein paar Zahlen: Weniger als 40 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten in unbefristeten Vollzeitstellen.
Stattdessen nimmt "atypische Arbeit" zu, also ein Mix aus befristeten Stellen, Jobs für geringfügig Beschäftigte und Teilzeit-Stellen. Gut jeder zehnte Deutsche arbeitet heute als Selbstständiger. Bei diesen Zahlen stützen sich Gatterer und Huber auf das sozioökonomische Panel (SOEP). Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung von über 12.000 Privathaushalten in Deutschland. Diese Befragung wird seit 1984 einmal im Jahr bei denselben Personen durchgeführt.
Trennlinie Arbeit-Leben verschwindet
These des Zukunftsinstituts: Der aktuell stark diskutierte Begriff Work-Life-Balance wird verschwinden. Denn dieser Begriff betrachtet Arbeit und Leben als getrennte Bereiche - und diese Trennlinie würden die Menschen "in Zukunft kaum noch spüren".
Arbeit, so Gatterer und Huber weiter, entwickle sich immer gestaltbarer. "Mehr denn je greifen Menschen selbst ein, um Zeit und Raum ihrer Arbeit ihren eigenen Vorstellungen anzupassen", schreiben sie. Das bedeutet auch, dass sich die Bindung an den Arbeitgeber abschwächt. Nur noch etwa dreizehn Prozent der Deutschen empfänden heute eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber, so die Forscher unter Berufung auf eine Gallup-Umfrage.
Gatterer und seine Kollegen vom Zukunftsinstitut demonstrieren den Wandel der Arbeitswelt zum Beispiel anhand künftiger Arbeitsstile. Menschen definierten sich immer stärker über das "Wie", das "Was" und "Wo" sie arbeiten. Die Forscher identifizieren elf Typen:
Typ 1: Knowledge Workers. Knowledge Workers sind "das pulsierende Herz der Wissensökonomie". Sie tragen, verbreiten und vermehren Wissen und fungieren als Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie arbeiten in großen Unternehmen im Angestelltenstatus, als Selbständige oder als Gründer. Sie suchen kreativ-kognitive Herausforderungen und motivieren sich stärker über intrinsische Werte, weniger über Geld.
Vom Karrieristen und der guten Seele
Typ 2: Corporate High Flyers. Sie sind die klassischen Karrieristen, die in großen Firmen aufsteigen und sich in ihrer ganzen Identität dem Unternehmen verschreiben. Typischerweise handelt es sich um Männer mit klassischem Lebens-/Arbeitsentwurf: leistungsbereit, statushungrig, aggressiv, machtorientiert. Damit sind sie allerdings auch typische Burnout-Kandidaten. Laut Zukunftsinstitut geraten Corporate High Flyers zunehmend in Identitätskrisen, weil Unternehmen immer weniger nach "Leiter-Mentalitäten" suchen und die Arbeitsvolatilität auch im Managementbereich steigt.
Typ 3: Intermediäre. Intermediäre sind die "guten Seelen" der Unternehmen, früher war das typischerweise die Chefsekretärin. Ihr wesentliches Merkmal ist ihre kommunikative Kompetenz: Sie "halten den Laden zusammen" und vermitteln zwischen Firmenspitze und Belegschaft. Wenn Intermediäre ihre Arbeit verweigern - das heißt in ihrem Fall: sie machen "Dienst nach Vorschrift" - geht es mit dem Unternehmen bergab. Insofern fungieren sie als Seismografen. Im Zuge wachsender Projektifizierung erhalten Intermediäre neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
Typ 4: Kreative Downshifter. Kreative Downshifter sind die gebrannten Kinder der heutigen Erwerbswelt - oft haben sie Burnout oder Boreout hinter sich. Daher legen sie großen Wert auf ihre privaten Lebenswelten. Nichtsdestoweniger sind Kreative Downshifter engagiert und verlässlich, allerdings weichen sie anspruchsvollen und absorbierenden Herausforderungen gerne aus. Sie suchen Lebenssinn und Lebensqualität außerhalb der Angestellten-Berufswelt und engagieren sich häufig ehrenamtlich.
Typ 5: Loyale Störer. Als gemäßigte Revoluzzer bilden loyale Störer in jedem Unternehmen das kreative Potenzial innerhalb des Firmenorganismus. Typischerweise handelt es sich um soziale Menschen mit kreativen, optimistischen Ambitionen, die interne Abläufe verbessern wollen. Sie bringen neue Ideen ein, ohne damit Karriere-Ansprüche zu verbinden. Sie sind loyal, verlässlich, fleißig, aber auch kritisch, leicht zu verletzen oder in die Resignation zu treiben.
Typ 6: Job Hopper. Job Hopper finden es oft schwierig, Beruf und Privatleben zu synchronisieren. Sie können ihre zahlreichen Talente und Neigungen schwer priorisieren. Erfolg erzielen sie eher jenseits der Arbeitswelt, oft in intensiv gelebten Hobbys, die sich nur schwer mit den Zwängen des Jobs verbinden lassen. Daher sind sie permanent auf dem Absprung. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sie sich "temporär auch intensiv in Aufgaben engagieren", wie die Zukunftsforscher schreiben. Ihr wesentliches Erfolgsmerkmal ist "eine chamäleonhafte Anpassungsfähigkeit ohne echte innere Beteiligung".
20 bis 30 Prozent bleiben "der Durchschnitt"
Typ 7: Working Middle. Etwa 20 bis 30 Prozent aller Mitarbeiter verkörpern auch in Zukunft schlichtweg den Durchschnitt: Sie "erledigen" ihren Job ordentlich, sind meistens fleißig, freundlich und meckern nur wenig. Sie wollen Sicherheit, leben meistens in traditionellen Rollenmodellen und gehen gern früh in Rente. Arbeit hat für sie nichts mit ihrem Privatleben zu tun, kann aber via Pflichterfüllung und Lohn durchaus Lebenssinn stiften.
Typ 8: Passivisten. Passivisten fungieren als Befehlsempfänger, Dulder und Status-quo-Verteidiger. Sie haben keinerlei intrinsische Motivation zu kreativen Leistungen. Sie wollen gesagt bekommen, was sie zu tun haben, achten darauf, Störungen zu vermeiden und Veränderungskräfte frühzeitig unschädlich zu machen. Sie können zum unbequemen Mob werden, wenn sie ihre Komfortzone bedroht sehen.
Typ 9: Neue Spezialisten. Vor allem im technischen Sektor und in der Forschung, aber auch bei physischen "Hardcore"-Tätigkeiten wie der Arbeit auf Ölbohr-Plattformen entwickelt sich derzeit eine neue Fraktion von Hyperspezialisten. Typischerweise sind sie projektgebundene Arbeiter, die nach Auftragserfüllung gutes Geld kassieren und serienweise mit verschiedenen Auftraggebern arbeiten. Phasen intensiver Arbeit, die klassische Arbeitszeiten sprengen, folgen längere Phasen von Freizeit. Beispiele für dieses Cluster: Programmierspezialisten, Systemspezialisten in den Bereichen Bauen/Konstruktion/Verkehr, die über die ganze Welt nomadisieren, Arbeiter auf Ölbohr-Plattformen.
Prekaristen im mittleren Management
Typ 10: Prekaristen. Mit Volatilität in der Arbeitsgesellschaft wächst auch der Anteil derer, die vom Absturz bedroht sind oder am Rand stehen. Bei ihnen mangelt es nicht zwingend an Ausbildung und Qualifikation, sondern nicht selten an einer "Ego-Strategie". Dies und "biografische Dispositionen" können zu vielfältigen Dysfunktionalitäten in Bezug auf Arbeit, Selbstvertrauen und Kreativität führen. Prekaristen gibt es also nicht nur unter Zeitarbeitnehmern, Aufstockern, Mini- und Mehrfachjobbern, sondern auch im mittleren Management.
Typ 11: Digital Bohème. Diese Avantgarde der Netzwerkwirtschaft lebt und arbeitet in bewusst offenen Netzwerken. Angestelltenverhältnisse akzeptiert sie nur selten und allenfalls vorübergehend. Die Digital Bohème ist Projekt-orientiert und organisiert sich in losen Zusammenhängen, Bürogemeinschaften oder "Coworking Spaces" selbst die Arbeit, von der sie lebt. Ihre Vertreter wollen sich selbst verwirklichen und kreativ sein. Dafür nehmen sie ein hohes Maß an Zukunftsunsicherheit und eine große Volatilität beim Einkommen gerne hin.
Die Ausprägung dieser unterschiedlichen Arbeitstypen wirkt sich wiederum auf die Hierarchien innerhalb der Unternehmen, auf Mitarbeiterbindung und -rekrutierung aus. Die Zukunft der Arbeit sei nicht definiert, schreiben die Forscher. Es gehe heute darum, "diese Freiheit an Gestaltung zu nutzen und eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der Individuen sich entfalten können".
Das Zukunftsinstitut in Kelkheim/Ts. gibt es seit 1997. Gründer ist der Trendforscher Matthias Horx. Er ist unter anderem mit den Büchern "Das Ende der Alternativen oder Die verlorene Unschuld der Radikalität" (1988) und "Die wilden Achtziger. Eine Zeitgeist-Reise durch die Bundesrepublik" (1990) bekannt geworden.