Unternehmen treffen beim Outsourcing oft falsche Personalentscheidungen: Entweder wird die verbleibende eigene Steuerungseinheit so aufgebläht, dass die Kosten explodieren. Oder sie ist nur rudimentär und wichtige Skills fehlen, so dass die Zusammenarbeit zwischen internen und externen Teams leidet und zusätzlich das Betriebsrisiko steigt. Die richtige Auswahl und Qualifikation der Mitarbeiter an den Schnittstellen entscheidet über den Erfolg des Projekts. Deshalb ist das gezielte Skill Management im Zusammenspiel mit adäquaten Governance-Strukturen außerordentlich wichtig.
Vor jedem Outsourcing-Vorhaben sollte man sich nochmals eine (vermeintliche) Banalität vergegenwärtigen, die jedoch weitreichende Konsequenzen hat. Zweck ist es per Definition, mit bestimmten Aufgaben auch die entsprechenden Ressourcen an einen externen Dienstleister auszulagern, mithin auch Personal. Aber: Diese Aufgaben bleiben ja Teil der Betriebsabläufe und müssen im Zusammenspiel integriert werden. Das ist für viele Unternehmen – insbesondere wenn sie sich zu ersten Mal an ein solches Projekt heranwagen – eine völlig neue Situation, die häufig unterschätzt wird. Aufgrund dieser Unerfahrenheit geraten sie häufig in zwei entgegengesetzte Fallen:
Falle 1: Der Auftraggeber übergibt alle Aufgaben und die dafür zuständigen Experten an den Dienstleister und kümmert sich dann nicht weiter darum – nach dem Motto: der wird sich schon selbst managen. Das ist aber nichts anderes als eine sträfliche Vernachlässi-gung der Aufsichtspflicht. Es wird nicht berücksichtigt, dass der Dienstleister die Unternehmenskultur, die interne Abläufen und die Spezifika des Geschäfts sowie das Wettbewerbsumfeld überhaupt nicht genau kennt. Die Folge: Die Ergebnisse des Outsourcings entsprechen oft nicht den Erwartungen.
Falle 2: Der Auftraggeber baut interne Steuerungsgremien auf (soweit richtig), schießt aber über das Ziel hinaus. Der verbleibende Mitarbeiterpool (die sogenannte Retained Organization) steuert den operativen Betrieb nach wie vor detailliert, redet dem Dienstleister ständig in die Abläufe hinein – und baut im schlimmsten Fall sogar wieder eine eigene Parallelorganisation auf. Die Folge: Redundanzen, die Kostenziele des Outsourcings werden verfehlt und die Beziehung zum Dienstleister ist mehr als angespannt.
Die Praxiserfahrung zeigt, dass lediglich 20 Prozent der Unternehmen beim Outsourcing den richtigen Weg finden. 80 Prozent geraten einen der beschriebenen Fallen – und zwar ziemlich genau im Verhältnis 1:1. Dafür gibt es zwei Ursachen: ein falscher Managementansatz und falsche personelle Besetzung.
Das Management stellt die Frage nach der Retained Organization oft zu spät oder ignoriert sie sogar völlig. Dies passiert insbesondere dann, wenn das Outsourcing-Projekt ausschließlich von Anwälten begleitet wird, die sich auf dieses Thema spezialisiert haben. Diese kümmern sich in der Regel nur um ihr Kerngeschäft: die Vertragsgestaltung.
Doch auch wenn die Steuerungsorganisation rechtzeitig aufgebaut wird, ist sie oft mit den falschen Personen besetzt, beziehungsweise die ausgewählten Mitarbeiter werden nicht hinreichend auf ihre neue Aufgabe vorbereitet. Meist werden Experten, die zuvor im operativem Betrieb gut gearbeitet hatten, in die neue Steuerungs-organisation entsandt – und schaffen nach dem Wechsel nicht den Schritt vom Selbermachen zum Delegieren und Managen, vom "wie" zum "was".
Sie geben zum Beispiel beim Service Desk nach wie vor genau vor, welcher Mitarbeiter wann wo eingesetzt wird, anstatt sich auf die Kontrolle der Anruf- und Lösungszahlen, der Qualität der Problembehandlung usw. zu konzentrieren. Die Auswahl der Mitarbeiter und deren weitere Qualifizierung beeinflusst also direkt den Steuerungsprozess.
Best Practice für die Retained Organization
Wie sollten die Verantwortlichen nun beim Outsourcing vorgehen? Zunächst sollten sie das Thema Retained Organization schon sehr früh adressieren. Der Dienstleister sollte bereits bei Abgabe seines Angebots wissen, was der Auftraggeber genau von ihm erwartet, welche Skills er dafür in seiner Organisation benötigt und welche Schnittstellen, Gremien, Organisations-Strukturen oder Reporting-Anforderungen er bedienen muss.
Dann muss die Steuerungsorganisation sauber aufgesetzt werden. Zunächst sollte der Auftraggeber die Ziele des Outsourcings definieren, denn sie geben vor, welche Fertigkeiten die Retained Organization braucht. Will er primär die Kosten senken? Dann müssen sich die verbleibenden Mitarbeiter auf Einkaufs-und Verhandlungsprozesse konzentrieren, benötigen also vor allem Verhandlungs- und Vermittlungsgeschick.
Oder soll das Outsourcing Innovation vorantreiben und das Geschäft weiterentwickeln? Dann ist die Beziehung stärker durch Partnerschaft geprägt, und die Retained Organization erhält Aufgaben der Kommunikati-on und der Transformation des Mehrwerts, den der Dienstleister bietet. Dazu muss sie auch strategisch denken sowie die Partnerschaft und den Wandel managen können.
Auch die Frage, inwieweit der Auftraggeber strategisch relevantes Wissen ohne Betriebsrisiko nach draußen geben kann, sollte nach der Positionierung des ausgelagerter Prozesses beantwortet werden: Hängt von ihm das eigene Business kritisch ab? Nehmen wir als Beispiel das Expertenwissen zum Thema Sicherheit. Für einen Reiseveranstalter ist es vor allem wichtig, dass sein Online-Portal funktioniert – bei einer Bank hingegen kann der Aspekt Sicherheit über Sein oder Nichtsein des Instituts entscheiden.
Im ersten Fall wird der Auftraggeber deshalb die entsprechende Expertise ohne große Bedenken dem Dienstleister übergeben. Die Bank hingegen wird sie wahrscheinlich selbst bereithalten. Oder sie wird sie zwar extern zukaufen, aber den Dienstleister nach anderen Kriterien auswählen – nicht nach den Kosten, sondern den Erfahrungen und Kompetenzen beim Thema Sicherheit – und die Ausschreibung entsprechend gestalten.
Best Practice für die Governance-Struktur
Als Grundlage für die Bestimmung und Auswahl der Skills müssen zuerst die Governance-Strukturen der Outsourcing-Beziehung aufgebaut werden. Hier können sich Unternehmen an Best Practices orientieren, die sich am Markt bewährt haben. Die jeweiligen Aufgaben und Verantwortungsbereiche wie Einkauf, Sicherheit, Performance Management sollten bis auf Abteilungs- und Mitarbeiterebene genau definiert werden, ebenso Prozesse der Leistungserbringung, Rechnungsstellung, der reibungsfreien Schnittstellengestaltung und Kommunikation (nach außen und innen), des Monitoring und der Kontrolle(vergleiche dazu Grafik 2 und 3 auf dieser Seite weiter oben).
Besonders wichtig ist dabei die Implementierung eines effizienten Contract Managements. Bei den meisten Projekten liegt der Schwerpunkt auf der Gestaltung des Dienstleistungsvertrags – der dann oft in irgendeiner "Schubblade" verschwindet. Ein Beispiel aus der Praxis: In einem Projekt wurde erst während des Outsourcing-Prozesses festgestellt, dass aufgrund des Leasingvertrags die Hardware schon längst hätte ausgetauscht werden sollen; stattdessen nutzte der Kunde nach wie vor altes Equipment, während er den Preis für neues bezahlte. Das Contract Management sollte deshalb dafür sorgen, dass die Verträge allen Beteiligten bewusst sind und im Tagesbetrieb operationalisiert werden.
Bewährt hat es sich, Governance-Strukturen und Gremien auf drei Ebenen aufzubauen
1. Operative Ebene. Hier wird sichergestellt, dass die täglichen Services sauber abgewickelt, Projekte richtig gemanagt, auftretende Probleme zügig behoben wer-den usw. Wichtig: Bei der Problembehandlung sollten unbedingt Lösungsebene und kaufmännische Ebene strikt getrennt werden. Ein Team kümmert sich um die Problembehebung, ein separates um die kaufmänni-sche Seite, z.B. eventuelle Pönalien. Bei einer Vermischung behindert in der Regel die kaufmännische Frage die schnelle Lösung des Problems.
2. Taktische Ebene. Hier wäre zum Beispiel die IT-Steuerung zu nennen.
3. Strategische Ebene. Die Gremien auf dem Executive Level werden vielfach vernachlässigt, obwohl sie für den Erfolg der Beziehung sehr wichtig sind. Meist wird das Topmanagement am Anfang eingebunden (bei Auswahl und Vertragsabschluss) und dann nur noch bei Eskalation. Dann aber entsteht auf dieser Ebene sehr schnell der Eindruck, dass die Sourcing-Beziehung nicht funktioniert. Ein regelmäßiger Informationsaustausch über Erfolge, Zufriedenheit, Probleme und Herausforderungen ist deshalb wichtig.
Nach den Prämissen der Gremien- und Governance-Strukturen werden dann die Rollen definiert, die diese Funktionen ausfüllen. Ihnen werden wiederum die benötigten Skills zugeordnet. So erhalten die Verantwortlichen ein Entscheidungsmuster, nach dem sie die Mitarbeiter auf beiden Seiten auswählen können: in der Retained Organization des Auftraggebers sowie in der Leistungserbringung und der Kundenschnittstelle des Providers. In manchen Fällen werden sie auch feststellen, dass für bestimmte Managementaufgaben noch Zusatzqualifikationen oder sogar Neueinstellungen erforderlich sind.
Best Practice für das Skill Management
Für das Skill Management bietet sich ein standardisiertes Modell an, wie das auf die IT zugeschnittene SFIA (Skill Framework for the Information Age). Es beschreibt die einzelnen Fertigkeiten sehr granular: In einer Matrix definiert es Kompetenzen durch eine Auswahl aus 86 Einzel-Skills in jeweils bis zu 7 Erfahrungs-Leveln. So lassen sich nach dem Baukastenprinzip die Rollen zusammensetzen. Sinnvoller Weise werden die Skills nach der SFIA-Definition um die Kategorien "Auf-gaben" und "Verantwortung" ergänzt.
Die Standardisierung hat den Vorteil, dass sich die Profile zwischen Unternehmen vergleichen und Erfahrungen verallgemeinern lassen. So hat sich mittlerweile eine Fülle von Best Practices herauskristallisiert. Für die Besetzung von Retained Organizations gibt es mittlerweile zahlreiche standardisierte Rollenbeschreibungen (siehe Grafik 4).
Betrachten wir einmal am Beispiel des "Problem Managers" etwas genauer, wie das Baukastenprinzip funktioniert. Dieser Rolle werden fünf in SFIA definierte Skills zugeordnet: Availability Management (AVMT, Level 5), Configuration Management (CFMG, 5), System Software(SYSP, 5), Problem Management (PBMG, 5) sowie Service Desk and Incident Management (USUP, 4). Für jeden dieser Skills gibt es eine präzise Definition sowie einen Kommentar, der die Aufgaben beschreibt, die damit abgedeckt werden.
Um aussagekräftige, qualifizierte Benchmarks durchführen zu können, sollten diese SFIA-Skills um die für die Rolle relevanten Kosten und Preistreiber sowie andere Aspekte ergänzt werden, zum Beispiel technisches Spezialwissen, Softskills, Business Skills sowie relevante Berufs- und Projekterfahrung. Dass diese Themen nicht Bestandteil von SFIA sind, ist keineswegs als Mangel dieses Frameworks anzusehen. Vielmehr handelt es sich um einen generischen Ansatz, der es gestattet, das Framework in möglichst allen Organisationen einzusetzen.
Jede Rolle wird ergänzt durch die ihr zugewiesenen Aufgaben und Verantwortungen. Diese finden sich dann ebenfalls in einer RACI-Matrix (Responsible, Accountable, Consulted and Informed) wieder, die das Zusammenspiel aller Rollen darstellt. Im Fall des Problem Managers könnte dies beispielsweise so aussehen: Aufgabe ist das Klassifizieren, Kategorisieren und Bearbeiten von Problemen sowie das Erarbeiten von Lösungsvorschlägen beziehungsweise vorübergehenden Workarounds. Zur Verantwortung gehört es, die Verfügbarkeit einer aktuellen Known-Error-Database für alle beteiligten Prozesse sicherzustellen.
10 Prozent für die Retained Organization
In der Praxis sind Rolle und Person nicht unbedingt identisch, sondern die Besetzung hängt von der Unternehmensgröße ab. So wird etwa in kleinen Organisationen der Mitarbeiter, der als Problem Manager fungiert, noch weitere Rollen ausfüllen; in großen Organisationen wiederum kann diese Rolle auf mehrere Personen verteilt sein. Bei der genauen Festlegung helfen wiederum Erfahrungswerte, die auf Produktivitätskennziffern zu einzelnen Aufgaben (wie etwa im Fall des Problem Managers die Anzahl der Tickets) sowie der konkreten Zielsetzung basieren.
Ein Erfahrungswert sagt, dass Unternehmen 5 bis 10 Prozent ihres Outsourcing-Aufwands für die Retained Organization aufwenden sollten. Angesichts ihrer kritischen Bedeutung für den Erfolg des Gesamtprojekts ist der Anteil für das Skill Management gut investiertes Geld.
Jörg Hild ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH.