Heinz B. Trug heißt der eine, Mario Netten der andere. Trug ist Chef mit wirtschaftskriminologischem Belastungssyndrom, Netten stellvertretender Leiter Finanzen und Rechnungswesen bei der Firma Zock GmbH. Beide Herren sind stilisierte Beispiele der Studie "Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen", die Professor Hendrik Schneider am Lehrstuhl für Strafrecht der Universität Leipzig jetzt vorgelegt hat.
Schneider will mit seiner Forschung Lücken in der Wirtschaftskriminologie schließen. Er hat sich 29 Strafverfahren mit insgesamt 56 Angeklagten angesehen. Zwölf von diesen wurden freigesprochen, weshalb der Wissenschaftler sie nicht mit einbezieht. Das Ergebnis der Analyse ist eine Kategorisierung nach vier Idealtypen. Idealtyp heißt hier nicht, dass es sich um ideale Menschen - schon gar nicht um ideale Mitarbeiter - im umgangssprachlichen Sinn handelt. Statt dessen drückt der Begriff aus, dass die übereinstimmenden Merkmale dieser Personen zu einem bestimmten Typus zugespitzt werden.
Grundsätzlich gilt: Je stärker sich ein Mensch an Materiellem orientiert, je großspuriger er auftritt, umso höher die Gefahr, dass er zum Straftäter wird. Schneider spricht hier von einem Zusammenhang zwischen Wirtschaftskriminalität und Hedonismus beziehungsweise Narzissmus. Er verweist auf frühere Untersuchungen, die solche Täter als egozentrisch und rücksichtslos beschreiben.
In seiner eigenen Analyse unterscheidet Schneider zunächst einmal Gelegenheitsergreifer und Gelegenheitssucher. Während Erstere eher in etwas hineingeraten und ihre Taten zugeben, wenn sie erwischt werden, weisen Letztere kriminelle Energie auf. Sie planen ihre Taten längerfristig.
Nach den Gerichtsverfahren, die Schneider untersucht hat, laufen zum Beispiel IT-Fachkräfte Gefahr, zum Gelegenheitsergreifer zu werden. Das hat mit mangelnder Kontrolle innerhalb der Unternehmen zu tun - Gelegenheitsergreifer besetzen aufgrund ihrer speziellen Fachkenntnisse oft eine exponierte Stellung. So hieß es über einen Angeklagten, er sei eine Koryphäe und "keiner habe genau gewusst, was der eigentlich den ganzen Tag gemacht hat".
Gerät jemand in einer solchen Position an einen Gelegenheitssucher, kann der ihn mitziehen. Meist schlägt der Gelegenheitssucher "eine erkennbar deliktische ‚Geschäftsidee’, von der beide einen Gewinn haben, vor", wie Schneider schreibt. Der Initiator der Straftat geht nicht selten systematisch vor und testet potenziell geeignete Kumpane aus, bis einer die Gelegenheit ergreift.
Schneider unterteilt die Delinquenten in vier Risikotypen:
Täter mit einem wirtschaftskriminologischen Belastungssyndrom: Sie sind typischerweise Gelegenheitssucher. Oft zeigen sie Auffälligkeiten im Leistungsbereich, das heißt, sie sind zum Beispiel Quereinsteiger mit diskontinuierlichen Erwerbsbiografien.
Sie stehen häufig an einem Wendepunkt in ihrem Leben: Ihre Taten fallen in eine Zeit des Kontrollvakuums, wie Schneider schreibt. Typisch wären Männer in der Midlife-Crisis, die sich von der eigenen Familie lösen und plötzlich mehr im Hier und Jetzt leben wollen. Gerne mit einer kostspieligen, jungen Liebhaberin. Oder mehreren. Schneider attestiert ihnen ein "fehlendes Verhältnis zu Geld und Eigentum".
Krisentäter: Sie können sowohl Gelegenheitssucher als auch Gelegenheitsergreifer sein. Typischerweise sind sie aufstiegsorientiert und haben einen kontinuierlichen Berufsweg hinter sich. Zum Straftäter werden sie durch berufliche oder private Krisen, die zu einem "inadäquaten Anspruchsniveau" führen, wie Schneider schreibt. Fliegen sie auf, geben sie die Taten zu.
Abhängige: Typische Aussage vor Gericht wäre: "Ich hab’ das ja nur gemacht, weil mein Chef das gesagt hat." Abhängige sind nie Gelegenheitssucher. Sie fürchten Repressionen, falls sie ihrem kriminellen Vorgesetzten die Gefolgschaft verweigern.
Unauffällige: Sie weisen keine sichtbaren personalen Risikofaktoren auf, schreibt Kriminologe Schneider. Allenfalls machen sie Gelegenheitssucher durch eine gewisse Konsumorientierung auf sich aufmerksam. Ihre Taten erklären sich nur aus der Tatgelegenheit.
Fazit: "Den" Wirtschaftsstraftäter gibt es nicht. Die Delinquenten haben unterschiedliche Lebenswege und Motive. In einem Punkt jedoch ähneln sie sich: Die ersten Taten begehen sie kaum vor dem 40. Lebensjahr, sie sind also "Latecomer to crime".
4 Empfehlungen für Arbeitgeber
Schneider fügt seiner Analyse einen Beitrag von Dieter John und Bernd Hoffmann an. Die Wirtschaftsprüfer aus der Kölner Kanzlei Rölfs WP Partner AG sprechen Unternehmen folgende Empfehlungen aus:
1. Gelegenheitsergreifer können mit Sensibilisierungs-Workshops von Taten abgehalten werden. In solchen Workshops werden Gesetzeskonflikte bewusst herausgearbeitet. Business Ethic Guidelines kommunizieren die ethischen Werte des Unternehmens. Generell gilt: Präventionsarbeit basiert immer auf den drei Säulen konsequente Aufklärung, unmittelbare Sanktionierung von Verstößen und geeignete Kommunikation sowohl der Aufdeckung wie der Sanktionen. John und Hoffmann raten außerdem, Hotlines mit Beratungsangeboten einzurichten.
2. Gelegenheitssucher werden durch solche weichen Maßnahmen kaum erreicht. John und Hoffmann empfehlen, betriebliche Prozesse, insbesondere solche in geldnahen Bereichen, durch fraudpräventive Prozessanalysen und durch interne Kontrollsysteme abzusichern.
Knifflig sind Schneiders Forschungsergebnisse hinsichtlich der persönlichen Merkmale von Wirtschaftsstraftätern. Eine diskontinuierliche Erwerbsbiografie kann ein Risiko darstellen. Wer sich von der Familie trennt, kann in eine Krise geraten - möglicherweise ist das aber auch eine Befreiung, aus der der Mensch gestärkt hervorgeht. John und Hoffmann warnen davor, Daten aus dem absolut geschützten Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu erheben. Das wäre unzulässig. Präventionsmaßnahmen müssen rechtlich unbedenklich angegangen werden.
Polizeiliche Führungszeugnisse einholen
Die Wirtschaftsprüfer raten, bei Neueinstellungen und Beförderungen sowie in kritischen Arbeitsbereichen polizeiliche Führungszeugnisse einzuholen. Ihrer Erfahrung nach handeln viele Entscheider auch zu nachlässig bei Arbeitszeugnissen. Sie sollten öfter darauf bestehen, die Originale zu sehen und diese kritisch auf Echtheit und Inhalt zu prüfen.
Wer Mitarbeiter für herausgehobene Risikopositionen sucht, sollte Referenzpersonen kontaktieren. Wirtschaftskriminell vorbelastete Bewerber werden versuchen, das zu verhindern.
Nicht zuletzt dienen auch Anreiz- und Vergütungssysteme der Prävention. John und Hoffmann raten außerdem zu Programmen, die das Betriebsklima verbessern.