Als am 14. August 2003 ein riesiger Stromausfall weite Regionen der USA und Kanada (mit insgesamt 55 Millionen Betroffenen) lahmlegte, dämmerte auch dem letzten Verantwortlichen, dass die nordamerikanischen Stromnetze Spitzenbelastungen schon lange nicht mehr standhielten. Jahrzehnte mangelnder Infrastruktur-Investitionen begannen sich zu rächen. Es wurde ein riesiges "Aufholprogramm" beschlossen, die nordamerikanischen Stromnetze leistungsfähiger, "smarter" zu machen.
Die Netze "smarter", intelligenter zu machen, heißt, sie mit intelligenten Sensoren und automatisierten Switches auszustatten. Teil dieser Modernisierungsprogramme war und ist Smart Metering. Vom Austausch der alten analogen Stromzähler, die nur vor Ort abgelesen werden konnten, durch moderne digitale Stromzähler ("smart meter"), die fern-abgelesen werden können, versprach man sich letztendlich auch eine Reduktion des Stromverbrauchs.
Es wurden in der Folge große Summen öffentlicher Gelder in Infrastrukturprogramme für die Stromnetze (Smart Grids) und für Smart Metering bereitgestellt, wie zum Beispiel bei Hydro One in Ontario, Kanada oder SDG&E (San Diego Gas & Electric) in Kalifornien, USA.
Mittlerweile gibt es auch in Europa solche Projekte. Flächendeckendes Smart Metering gibt es schon in Italien und Schweden, weitere Länder - auch Deutschland - werden folgen.
Die wichtigsten Herausforderungen für CIOs
Welche Erfahrungen haben die nordamerikanische Utilities im Hinblick auf die durch Smart Metering/Grid notwendigen IT-Veränderungen gemacht? Was sind die bisherigen "lessons learned", nicht nur aus USA/Kanada, sondern mittlerweile auch aus Teilen Europas?
Erstens: Komplexität
Die wichtigste Lektion gleich zu Beginn: Komplexität. Nichts wird stärker unterschätzt, nichts ist komplexer als die IT-Herausforderung eines flächendeckenden Smart Metering Projektes. Die System- und Schnittstellen-Landschaft einer jahrzehntelang gewachsenen Stromversorger-IT wird gehörig durcheinander gewirbelt.
Zweitens: Datenvolumen
Die zweite Herausforderung heißt Datenvolumen. Heute bekommen normale Haushaltskunden in der Regel einmal im Jahr eine Stromrechnung, das heißt eine Ablesung, ein Zählpunkt, ein Datensatz. Smart Metering ermöglicht kontinuierliche Verbrauchsmessung.
Nehmen wir mal an, es wird in 15-minütigen Perioden gemessen: das sind 4x24x365 (= 35.040) Datensätze pro Jahr pro Kunde. Bei einer Million Kunden sind dies 35 Milliarden zu verarbeitende Datensätze im Jahr.
Die Anforderungen an Hardware, Software, Schnittstellen und nicht zuletzt an die Mitarbeiter steigen signifikant. Datensätze müssen gespeichert werden – wie lange entscheidet der Gesetzgeber bzw. der nationale Regulator. Hier sprechen wir nicht mehr von Gigabytes sondern von Petabytes.
Drittens: Transformation des Unternehmens
Das Thema der Datenverarbeitung betrifft nicht nur die IT-Abteilungen von Utilities. Es führt vielmehr zu einer Transformation des gesamten Unternehmens, aller Mitarbeiter. Stand bisher die sichere Versorgung der Kunden mit Energie im Vordergrund, so gesellt sich das Thema des hochprofessionellen Datenmanagements künftig dazu.
Viertens: Sicherheit und Datenschutz
Digitalisierung bedeutet immer auch potenzielle Sicherheits-Gefahren. Stromnetze dürfen keinesfalls fremdgesteuert werden, dafür sind sie als Lebensader unserer modernen Industriegesellschaft zu wichtig. Hackerangriffe und bösartiger Code müssen ausgeschlossen werden können. Aber auch die Unmengen gespeicherter, privater Daten müssen vor fremden Zugriff geschützt werden. Sicherheit und Datenschutz werden durch die "Smart-Bewegung" neben dem bisher schon stetig wachsenden Compliance-Management zu zentralen Themen.
Fünftens: Kommunikation
Datenströme vom smart meter hin zu den Daten-Konzentratoren und weiter über die Backbones zum zentralen MDM-System (Master Data Management) müssen bewegt werden. Und zwar bidirektional. Kommunikation nicht nur vom, sondern auch zum smart meter hin muss sichergestellt sein.
Remotes Fernablesen oder ein Firmware-Upgrade werden zentral vom Datacenter gesteuert. Oder die direkte Kommunikation mit dem Kunden via Homedisplay. Telekommunikations-Themen werden künftig sehr viel wichtiger für Utilities werden.
Smart Metering mag zwar zurzeit im deutschsprachigen Raum noch - mitunter kontrovers - diskutiert werden, aber es wird als integraler Bestandteil der Smart Grids kommen.
Erneuerbare Energien und Elektromobilität
Beide Entwicklungen, erneuerbare Energien und Elektromobilität, bedürfen langfristig eines leistungsfähigen, intelligenten Stromnetzes, eines sogenannten "Smart Grid". Im Moment reicht die Leistungsfähigkeit unserer Stromnetze noch aus, um die zusätzlichen Anforderungen einer immer größer werdenden dezentralen Erzeugung aufzunehmen. Aber es gab auch schon erste Netzausfälle durch zu hohe Einspeisungen dezentraler Stromerzeugung, beispielsweise bei großen Windparks, die bei plötzlichem Starkwind große Strommengen ins Netz zuführten.
Der nationale Entwicklungsplan Elektromobilität der deutschen Bundesregierung vom September 2009 sieht bis 2010 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen vor. Dies wird flächendeckend nur möglich sein, wenn ein intelligentes, leistungsfähiges Stromnetz die dazu notwendige Infrastruktur stellt.
Denn mit einem Riesenpool an smart gemanagten Batterien wird zum ersten Mal auch Stromspeicherung in großem Maßstab möglich sein: Intelligentes Stromladen von relativ günstigem Strom über Nacht zu Hause kann sich abwechseln mit intelligentem, zentral gesteuerten Stromeinspeisen tagsüber am Arbeitsplatz. Spitzenlast-Schwankungen könnten damit effizient und weitaus kostengünstiger als heute gemanagt werden.
Zukunftsmusik? Ja, aber recht zeitnahe.
Michael Trampert ist verantwortlich für "Smart Energy Services" bei Capgemini in Deutschland, Österreich und der Schweiz.