Digitalisierung im Finanzsektor

Die 5 größten Irrtümer der Banken

16.11.2012 von Ursula Pelzl
Bankkunden wünschen sich mehr digitale Angebote. Doch viele Banken ignorieren dies - und das daraus resultierende Ertragspotenzial, so eine Studie von Bain.
Digitale Strategien gesucht: Weltweit haben Kreditinstitute noch viele digitale Hausaufgaben zu erledigen, zeigt eine aktuelle Studie.
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Die aktuelle weltweite Bain-Studie "Retail-Banking: Die digitale Herausforderung" bringt es an den Tag: Die Verbraucher würden gerne noch mehr neue, digitale Angebote nutzen. Während beispielsweise im vergangenen Jahr 24 Prozent der US-Bürger ihre Bankgeschäfte mobil abwickelten, sind es der Studie zufolge heute bereits 36 Prozent. Mobile Banking ist in den USA bereits ein selbstverständlicher Bestandteil des Leistungsangebotes der Bank, ebenso wie die Filiale, das Internet oder das Call-Center.

Umso überraschender ist es für Dirk Vater, Partner bei Bain & Company in Frankfurt und weltweiter Leiter für Retail-Banking, dass weltweit viele Institute ihr Filialgeschäft heute noch getrennt von ihren digitalen Aktivitäten betreiben und ihre Kunden nicht mit einem integrierten Leistungsangebot zu gewinnen oder zu halten versuchen.

"Die Kunden unterscheiden zunehmend nicht mehr zwischen Online- und Offline-Angeboten, was viele Banken unter einen enormen Zugzwang bringt", sagt Vater und benennt fünf Irrtümer, die Kreditinstitute schnell und aktiv ausräumen sollten.

Irrtum 1: Banken bleibt noch jede Menge Zeit, um die Digitalisierung voranzutreiben.
Was zu tun ist: Schnell in den Markt eintreten. Schnelligkeit ist ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Digitalisierung, denn die Innovationszyklen werden immer kürzer.

Irrtum 2: Alles dreht sich um Apps.
Was zu tun ist: Eine App allein macht noch keine digitale Strategie. Schnell einen Omni-Channel-Ansatz entwickeln lautet das Gebot der Stunde. So lange Apps mehr oder weniger nur smarte "Hingucker" auf Smartphones, Tablet-Computern sind aber nicht in eine umfassende Strategie integriert sind, tragen sie kaum zu einem Ausbau des Geschäfts bei.

Irrtum 3: Investitionen in digitale Technologien zur Kundenbindung sind überflüssig, da Retail-Kunden ihre Bank ohnehin nicht wechseln.
Was zu tun ist: Attraktive Angebote für junge und/oder technologieaffine Kunden entwickeln. Ihre Wechselbereitschaft ist hoch und sie suchen - gerne online - das beste Angebot und haben keine Scheu, hierfür auch ihre Kontoverbindung zu wechseln.

Irrtum 4: Das Thema Digitalisierung ist am besten bei den Spezialisten aus der IT-Abteilung aufgehoben.
Was zu tun ist: Einen weitreichenden strategischen und kulturellen Wandel einleiten und auch marktnahe Mitarbeiter bei der Weiterentwicklung der IT-Systeme und -Anwendungen intensiv mit einbeziehen. Das Thema Digitalisierung geht alle an.

Digitale First Mover generieren Wettbewerbsvorteile

Irrtum 5: Es reicht aus, erfolgreiche digitale Konzepte von Wettbewerben zu kopieren - eine Vorreiterrolle ist viel zu riskant. Was zu tun ist: Schnell einsteigen. Banken, die vor ihren Konkurrenten eine digitale Strategie umsetzen, können mit "First-Mover-"Vorteilen rechnen und haben einen Wissensvorsprung. Nachzügler laufen Gefahr, im Wettbewerb zurückzufallen.

Wie gefährlich das Ignorieren des Themas aus der Sicht von Studienleiter Vater ist, illustriert er am Beispiel anderer Industrien: Einstige Weltmarktführer wie Kodak versäumten den Anschluss an digitale Technologien und wurden in die Insolvenz gezwungen. Andere Unternehmen, wie Apple mit seinem Musik-Programm iTunes, wurden zum Branchenprimus in Industrien, in denen sie zuvor niemand auf der Rechnung hatte.

Die Banken liefen nun Gefahr, so Vater, dass branchenfremde Anbieter ihnen Schritt für Schritt einen wachsenden Teil ihres Kerngeschäfts abnehmen wie beispielsweise bei Bezahlsystemen im Internet. Einige branchenfremde Anbieter erfüllten die Kundenbedürfnisse einer mit digitalen Technologien aufgewachsenen Generation teilweise schon besser und kostengünstiger.

Erfolgsfaktoren Transparenz, Anpassungsfähigkeit, Schnelligkeit und klarer Kundenfokus

Auf dem Weg zu einer digitalen Bank stehen die Institute vor einem tiefgreifenden Kulturwandel. Erfolgreiche Institute zeichnen sich künftig vor allem durch vier Eigenschaften aus: Transparenz, Anpassungsfähigkeit des Geschäftsmodells, Innovationsgeschwindigkeit und einen klaren Kundenfokus, so das Ergebnis der globalen Studie , für die Bain & Company mit mehr als 20 Top-Managern von 15 Finanzdienstleistern weltweit gesprochen hat.

Bain-Partner Vater: "Banken müssen schneller, flexibler und transparenter werden und sich viel stärker auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden einlassen."

Institute, die die Digitalisierung unter diesen Prämissen vorantreiben und die Zufriedenheit der Kunden steigern, könnten gleich mehrfach profitieren: "Die besten Banken werden ihren Vorsprung gegenüber ihren Wettbewerbern ausbauen, die Kundenbindung vertiefen, sich neue Ertragspotenziale erschließen und ihre Profitabilität steigern. Angesichts des branchenweiten Kosten- und Regulierungsdrucks sollte sich kein Institut diese Chance entgehen lassen", resümiert Vater.

Vater betont aber auch: "Ein wesentliches Differenzierungsmerkmal im digitalen Zeitalter bleibt bei Banken die Qualität der Mitarbeiter vor Ort und ihre Fähigkeit, eine hochwertige Beratung sowie einen unverwechselbaren Service zu gewährleisten."

Persönliche Beratung auch im digitalen Zeitalter wichtig

Den Stellenwert der persönlichen Beratung hatte im Sommer diesen Jahres eine weitere Bain-Umfrage unter mehr als 2.500 privaten Kunden von Retail-Banken in Deutschland herausgearbeitet: Danach spielt der persönliche Berater für 72 Prozent der Kunden auch künftig eine wichtige, oder sogar sehr wichtige Rolle. Allerdings zeigten vertiefende Gespräche, dass die Kunden Beratung nicht mehr unbedingt in der zuständigen Filiale, sondern bei Bedarf auch per Video-Chat, über soziale Netzwerke oder bei sich zu Hause erwarten.