Versicherungen stehen vor strukturellen Herausforderungen, auch wenn die Bankenkrise sie dank ihrer eher konservativen Anlagepolitik weitgehend verschont hat. Neben der klassischen Forderung nach Senkung der Kosten sind die folgenden fünf Themengebiete betroffen:
1. Heterogene Produkte und Prozesse
Das Produktportfolio von Versicherern ist sehr umfangreich und heterogen. Dazu trägt bei, dass historische Produkte und Tarife oftmals aufrecht erhalten werden, auch wenn deren Geschäftsvolumina über die vergangenen Jahre stetig gesunken sind. Zudem sind die zugehörigen Geschäftsprozesse meist sehr unterschiedlich.
2. Hohe eigene Wertschöpfungstiefe
Versicherungsunternehmen decken nach wie vor einen großen Teil der Wertschöpfungskette selbst ab, auch wenn Teile nicht zum Kerngeschäft gehören und durch Outsourcing-Partner extern zu wirtschaftlicheren Konditionen erbracht werden könnten.
3. Defizite im Risiko- und Compliance-Management
Korruptions- und Datenveruntreuungsaffären bei großen europäischen Unternehmen haben in den vergangenen Monaten deutlich gemacht, dass es Defizite in den Bereichen Risiko-Management und Compliance gibt. Auch Versicherer haben hier Nachholbedarf.
Neben hausgemachten Herausforderungen erzeugt das Marktumfeld zusätzliche Komplexität:
4. Wandel in der Vertriebslandschaft
Während klassische Vertriebsorganisationen an Bedeutung verlieren, gewinnen Kooperationsmodelle und vor allem das Internet als Vertriebskanal immer mehr an Bedeutung.
5. Marktkonsolidierung
Durch die Wirtschaftskrise wird der Konsolidierungsdruck auf den in Deutschland noch stark fragmentierten Versicherungsmarkt weiter erhöht. Allerdings sind viele Versicherer noch teilweise mit früheren Fusionen beschäftigt.
Geeignete Aufstellung der IT-Architektur erforderlich
Um die Herausforderungen zu bewältigen, haben einige Versicherungsunternehmen bereits damit begonnen, ihre IT-Architektur anzupassen. Erfolgsversprechende Stoßrichtungen sind (Abbildung 1).
1. Standardisierung und Automatisierung
Zur Vereinfachung der Produkt- und Prozesslandschaft müssen zunächst die fachlichen Rahmenbedingungen durch den Fachbereich definiert werden. Gleichzeitig kann das Vorhaben aber auch durch eine segmentübergreifende Konsolidierung der Bestandsführungssysteme auf eine einheitliche Plattform durch die IT unterstützt werden. Unter Umständen ist die Nutzung von Standardsoftware denkbar. Dabei gilt allerdings zu beachten: Erst fachlich standardisieren, dann Standard-Software einführen. Sonst hebt der hohe Customizing-Aufwand die Einsparpotenziale auf.
Business Process Outsourcing und Risikomanagement
Mit einer Konsolidierung der Bestandsführungssysteme sind allerdings nicht alle Voraussetzungen für eine Standardisierung und Automatisierung geschaffen: Zusätzlich sind Partnerdatenbestände zusammenzuführen und Workflows zu vereinheitlichen (Abbildung 2). Der Einsatz einer Produktmaschine ermöglicht zudem die segmentübergreifende Definition standardisierter Produkte, ohne in den Programmcode eingreifen zu müssen.
2. Business Process Outsourcing
Geschäftsprozesse, die nicht Teil des Kerngeschäfts sind, wie zum Beispiel die Erfassung von Antragsdaten, können Kunden oder Vermittler erledigen. Voraussetzung ist aber, dass IT-Systeme (z.B. Internet und Makler-Extranets) Datensicherheit gewährleisten und die Qualität der Daten durch ausreichende Plausibilitätschecks sichergestellt wird.
Wenn Zentralfunktionen wie das Inputmanagement, In-/Exkasso oder Rechnungswesen an externe Anbieter ausgelagert werden, sind klare Schnittstellen zwischen dem Anbieter und intern betriebenen IT-Systemen zu definieren. Die Bereitstellung der Leistung ist über SLAs abzusichern.
Es empfiehlt sich, Geschäftsprozesse vor einer Auslagerung zunächst intern zu standardisieren und klare Schnittstellen zu definieren.
3. Etablierung Risikomanagement
Vor Einführung eines Risikomanagement-Systems müssen geeignete Controlling-Prozesse und -Strukturen geschaffen werden. Doch damit ist es nicht getan: Die in den verschiedenen Data Warehouses und dezentralen Systemen vorhandenen Daten sind meistens nicht an einer zentralen Stelle konsolidiert. Eine Regel-Engine benötigt zur Prüfung auf Risiken und Compliance-Verstöße aber eine zentrale Datensammlung.
Um diese zu erzeugen, ist im ersten Schritt eine Datenbasis aus relevanten dezentralen Systemen wie Asset-Management, Bestandsführung und Provisionsabrechnung auf einer DWH-Plattform zu schaffen.
4. Unterstützung moderner Vertriebskanäle
Um wichtiger werdende Vertriebskanäle wie Internet, Makler-Plattformen oder Kooperationsgeschäft (zum Beispiel White Labeling über Einzelhandel oder als Belegschaftsgeschäft) bedienen zu können, gilt es zunächst, Produkte zu vereinfachen und Prozesse zu standardisieren. IT-seitige Voraussetzungen dafür sind die Schaffung geeigneter Autorisierungs- und Authentifizierungs-Mechanismen sowie standardisierter Schnittstellen zwischen Bestandsführungs- und Vertriebssystemen.
5. Sicherstellung Fusionsbereitschaft
Eine große Hürde bei der Fusion zweier Versicherungen sind komplexe IT-Anwendungslandschaften. Dabei steht die Reduzierung der Zahl der Anwendungen und damit der Schnittstellen im Vordergrund. Zudem müssen die Anwendungen ausreichend skalierbar sein. Darüber hinaus ist eine einfache und durchgehende Ordnungsnummernsystematik zu etablieren, die ohne Anpassungen an Bestandsführungssystemen erweiterbar sein muss.
Wichtigster Faktor für den IT-seitigen Erfolg einer Integration ist allerdings die Wahl des richtigen Integrationsansatzes (zum Beispiel eine Applikationslandschaft wird als Standard gesetzt vs. "cherry picking") - unabhängig von der Fusionsbereitschaft der Anwendungslandschaften.
Ohne Fachbereiche geht es nicht
Alleine wird die IT diese Herausforderungen nicht bewältigen können: Fachbereiche und IT müssen Hand in Hand arbeiten. Ohne Anpassung der Geschäftsprozesse ist ein Fit-Machen der IT-Anwendungslandschaft ein schwieriges Unterfangen.
Andreas Dietze ist Partner, Matthias Gröbner ist Projektmanager im Kompetenzzentrum InfoCom bei Roland Berger Strategy Consultants.