Heutzutage gibt es für fast alles eine App: vom Grillsimulator über die Fernsteuerung von Modellhubschraubern (siehe cio.de/tv) bis hin zum E-Book-Reader. Auch Unternehmen aus fast allen Branchen haben entdeckt, dass sich die Apps hervorragend zum Marketing und zur Kundenbindung eignen. "Es tut sich viel in der Gesellschaft, bei den Kunden ist Mobilität ein Riesenthema", kommentiert Bettina Anders, CIO der Ergo Versicherungsgruppe.
Ausgerechnet ihre Branche nutzt Apps jedoch kaum. Während Unterhaltungsindustrie, Autohersteller und Medienunternehmen mit Vollgas und sogar die traditionell vorsichtigen Banken mit einigem Nachdruck Apps entwickeln, tut sich bei den Assekuranzen wenig. Unter anderem die Berater der Experton Group erklären, dass es in der Versicherungsbranche in Sachen Apps Nachholbedarf gibt. Viele Nutzer wünschen sich Notruf-, Unfall- , Pannenhelfer- oder Ärztefinder-Apps von ihrem Versicherer - bislang vergebens.
Die Ergo gehört zu den Versicherungen, die das ändern wollen. "Wir müssen uns als Versicherung stärker auf den Kunden ausrichten, nicht nur auf unsere Prozesse", sagt Anders: "Immer mehr Menschen wollen technische Unterstützung an jedem Ort zu jeder Zeit. Und sie erwarten diese Unterstützung auch von ihrem Versicherer."
Erste Erfahrungen in der Welt der Apps haben bereits einige Töchter des Versicherers gesammelt. Die DKV Deutsche Krankenversicherung AG, die zu Ergo gehört, bietet zum Beispiel einen Tarifrechner und eine Arzt-suche für das iPhone an. Die App zeigt Ärzte und Zahnärzte an, die Partnerärzte aus den DKV-Netzwerken goMedus und goDentis werden dabei optisch hervorgehoben. Im Umkreis des jeweiligen Standorts des iPhone-Nutzers werden die Namen und Kontaktdaten der Mediziner mit geografischer Lage, Kontaktdaten und Öffnungszeiten angezeigt.
Braucht die Ergo Unfall-Apps?
Ergo Direkt hat eine Anwendung namens BußgeldMobil entwickelt, mit der Autofahrer beispielsweise nach zu schnellem Fahren nachschauen können, was dieses Vergehen wohl kosten wird. Und die HMI, eine Vertriebsorganisation der Ergo, veröffentlichte mit The Big Kick to Johannesburg eine App für eine Benefizaktion, bei der vornehmlich HMI-Mitarbeiter im Vorfeld der FIFA Fußball-WM 2010 einen Ball etappenweise von Deutschland nach Südafrika kickten.
Mit ihren Pilot-Apps ist die Ergo in guter Gesellschaft, auch einige Wettbewerber experimentieren mit Mobilanwendungen. Die Techniker Krankenkasse etwa bietet eine Filialsuche an, die AXA und die Zurich Gruppe Deutschland setzen auf mobile Unfallhelfer, die Ersthelfer-Tipps und Hinweise zur Beweissicherung auf dem Bildschirm einblenden.
Braucht die Ergo auch Unfall-Apps? Unter Anders, Regie macht sich vor allem die Strategieabteilung der Unternehmens-IT Gedanken darüber, wie diese Frage beantwortet wird. Dass der Ergo ein paar zusätzliche Apps gut tun würden, ist dabei unstrittig. "Das ständige Thema der Versicherungsbranche ist, dass wir zu wenig Kontakt zu unseren Kunden haben", sagt Dirk Salz, Leiter der IT-Strategie bei Ergo. Er ist gewissermaßen der App-Beauftragte von CIO Bettina Anders. Salz sieht das Potenzial der Apps vor allem in der Kundenbindung. "Wir kommunizieren beim Versicherungsabschluss oder im Schadenfall. Ansonsten nehmen uns unsere Kunden nur wahr, wenn wir ihre Beiträge vom Konto abbuchen. Die gesamte Branche sucht nach positiven Kontaktmöglichkeiten zu den Kunden", sagt Salz. "Durch Apps haben wir die Möglichkeit, ganz nah beim Kunden zu sein. Die Leute haben ihr Smartphone fast immer in der Sakko- oder Hosentasche. Näher kann man kaum an sie herankommen."
Wie in den meisten Unternehmen erfolgt auch bei Ergo die App-Entwicklung bisher dezentral. Die Apps entstehen viral, es gibt viele Mitarbeiter, die innovativ sind und sich Gedanken machen, sagt Salz. "Daraus sind in den einzelnen Bereichen und bei den Marken nach dem Satellitenprinzip Themen entstanden, aus denen wir Apps gemacht haben." Im Klartext: Es reagiert vor allem das Prinzip Zufall, es wird ausprobiert.
Die Zentrale hält sich dabei bewusst zurück, um die entstehende Kreativität nicht mit strengen Vorgaben auszubremsen. "Wir lassen viel Freiraum und beobachten, was da entsteht. Zugleich lässt sich bei den Apps wie bei Webseiten hervorragend messen und verfolgen, wie häufig die Kunden wo welche Angebote genutzt haben. Im Nachhinein wird sich also ermitteln lassen, welche App-Ideen gefloppt sind und welche Zukunft haben." Ingesamt ist Salz mit der aktuellen App-Entwicklung bei Ergo zufrieden: Aufwand und Investitionen hielten sich im Rahmen.
Noch kann auch die zentrale IT den Aufbau einiger Probe-Apps verkraften. Die Entwicklung jeder einzelnen App ist nicht allzu teuer. Fachleute gehen davon aus, dass 20 000 Euro bis 30 000 Euro für die Entwicklung einfacher Apps ausreichen. Wettbewerber rechnen mit 15 bis 25 Manntagen Entwicklungszeit für eine Versicherungs-App. Das ist für die IT-Abteilung eines großen Versicherungskonzerns zu leisten, ohne dass große Ressourcen umgeschichtet werden müssen.
Doch die Apps verursachen nicht nur Entwicklungsaufwand, sondern müssen auch im normalen Geschäfts-betrieb betreut werden. Wer mit ihnen experimentiert, muss regelmäßig weiter zuverlässig für Updates und Bugfixes sorgen, wenn er sich nicht vor einer technikaffinen Nutzergemeinde blamieren will. "Jede App hat eine Lebenszeit, also muss man Updates zur Verfügung stellen", sagt Salz. "Wenn sie nicht mehr läuft, wird sie negativ wahrgenommen." Dabei setzt Ergo auch auf das Feedback der App-Nutzer: "Weil die Apps Feedback-Funktionen haben, haben wir Support-Seiten und Postfächer eingerichtet", sagt Salz. Vor allem bei der Arztsuche hatten sich viele Benutzer mit Verbesserungsvorschlägen an die Versicherung gewendet, die Anmerkungen sind bereits in die Programmierung eines Updates eingeflossen.
Dazu kommt, dass Ergo bisher die Apps nur für das Apple-OS programmiert. Auch das wird sich bald ändern. Vor allem der rasche Erfolg des Betriebssystems Android, hinter dem zwar formell eine Industrieallianz steht, das aber vor allem vom Netz-Riesen Google dominiert wird, sorgt für Nachbesserungsbedarf. Auch BlackBerry sowie Samsung- und Nokia-Smartphones werden für App-Entwickler zunehmend interessant.
Das aber bedeutet, dass der Entwicklungs- und Betreuungsaufwand exponentiell steigt, weil die Kompatibilität der mobilen Betriebssysteme untereinander nicht gegeben ist. Eine Anwendung wie die Arztsuche muss in unterschiedlichen Versionen programmiert und gepflegt werden. Schon wegen der Plattformfrage werden in der App-Welt aus vier Projekten für fünf Plattformen 20 kleine Projekte, die gesteuert werden wollen. Dass Ergo gerade die Versicherungsmarken Victoria und Hamburg-Mannheimer abgeschafft hat und in Zukunft nur noch mit dem Namen Ergo am Markt präsent sein wird, hat die Lage zum Glück nicht verkompliziert. Die DKV bleibt als Marke erhalten, für die DKV-Apps war also kein Re-Branding nötig.
4 Apps x 5 Plattformen = 20 Projekte
Klar ist aber: Der Investitionsbedarf und der Managementaufwand für die Apps werden steigen. Bettina Anders und Dirk Salz beschränken sich deshalb nicht auf die Rolle des Beobachters, sondern kanalisieren die Entwicklung. Ergo hat einen Steuerkreis eingerichtet, in dem zu zwei Dritteln Vertreter der Fachbereiche und zu einem Drittel IT-ler sitzen. MobilErgo heißt die Initiative, in der die rund 15 Kollegen aus allen Unternehmensbereichen ihre Erfahrungen über ihre App-Projekte austauschen und Best Practices formulieren, von denen alle im Konzern profitieren sollen.
Dieser Kreis wacht alle sechs Wochen darüber, dass die Apps in die Geschäftsprozesse integriert werden. Das ist unabdingbar, damit Unternehmen überhaupt von dem zusätzlichen Kundenkanal profitieren können, warnt die Experton Group. Bisher tragen die Ergo-Töchter und die Fachbereiche, die die jeweilige App ins Leben gerufen haben, die Verantwortung dafür, dass etwa Nachrichten, die über sie an die Versicherung gehen, auch beantwortet werden. "Wir setzen darauf, dass sich die Initiatoren der jeweiligen App dezentral um sie kümmern. Damit die Prozesse reibungslos und sicher funktionieren, wollen wir die Veröffentlichung aber über den Steuerkreis zentral kanalisieren", sagt Dirk Salz.
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