Es ist eine Allianz von "old" und "new economy". Vor Jahren noch schien so etwas kaum vorstellbar: Ein Autoriese wie Daimler übernimmt einen App-Anbieter - um sich mit der Taxivermittlungs-App MyTaxi besser für die Mobilität der Zukunft zu positionieren. Wie die gesamte Industrie stecken auch die Autohersteller im digitalen Umbruch. Das Auto 4.0 kommt.
Für die Unternehmen ist dies nicht weniger als eine Zeitenwende: Sie verstehen sich längst nicht nur mehr als reine Hersteller, sondern als Mobilitätsdienstleister. Die beiden Megatrends: alternative Antriebe wie Elektroautos sowie das "vernetzte und integrierte Auto", das mit Hilfe von anderen Angeboten wie Apps zum öffentlichen Nahverkehr, zu Mitfahrzentralen oder zu Taxifirmen verbunden wird.
Daimler handelt nun und baut mit der Komplettübernahme von MyTaxi seine Mobilitätsdienstleistungen aus. Dazu zählt bereits das Carsharing-Angebot "Car2Go". Das Ziel: Mobilität soll "einfacher" und "integrierter" werden. Mit der Tochter Moovel wollen die Stuttgarter die unterschiedlichsten Verkehrsmittel vereinen: Auto, Bahn, Straßenbahn, Bus, Mitfahrgelegenheiten, Taxen. In Nordamerika übernimmt Moovel gerade die ähnlich aufgezogene Mobilitätsplattform RideScout, die dort in etwa 70 Städten funktioniert.
Auch andere Hersteller wie BMW oder Volkswagen arbeiten derzeit an Zukunftskonzepten. Es geht dabei auch darum, der jüngeren Generation, die Autos oft längst nicht mehr als Statussymbol betrachtet, Alternativen zum klassischen eigenen Wagen zu bieten. Außerdem sollen auf diesem Weg neue Technologien ausprobiert werden.
Das Denken gehe weg vom Thema "Wie verkaufe ich ein Auto?" und hin zur Frage "Wie kann man das Auto am besten in einer Mobilitätskette nutzen?", erklärt Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Die neuen Mobilitätskonzepte seien ein wichtiges Thema für die Autobauer mit "enormen Möglichkeiten".
Allerdings: "Die Autohersteller sind noch in einem frühen Stadium", lautet das Urteil von Analyst Lorenzo Veronesi vom US-Marktforscher IDC. Apps seien kein Kerngeschäft. Für Daimler wird das Projekt zunächst einen klitzekleinen Umsatzbeitrag leisten. "Wir werden mit Car2Go und Moovel einen Umsatz von 100 Millionen Euro bis Ende 2014 erreichen", sagt Moovel-Finanzvorstand Marcus Spickermann.
Trotzdem geht es für die Branche um viel. Konzerne wie Google drängen auf den Markt mit selbst fahrenden Autos und kämpfen mit ihren Anwendungen wie Google Maps um potenzielle Nutzer. Auch neue Wettbewerber wie der Fahrdienst Uber bearbeiten das Geschäft um Verkehrsplanung.
Für die Autohersteller gibt es ein Schreckensszenario: irgendwann als Zulieferer der Internetriesen zu enden. "Der Kunde schaut nicht mehr auf die Bremsen, sondern wie die Integration mit dem Apple-Gerät funktioniert", so IDC-Analyst Veronesi. Es bestehe die Gefahr, dass sich Internetkonzerne zwischen Hersteller und Kunden setzten, sagte kürzlich auch Henning Kagermann, Chef der Nationalen Plattform Elektromobilität, der "Süddeutschen Zeitung".
Wie wichtig die Hoheit über den Kunden ist, zeigt der Vormarsch der Apps im Handymarkt. Frühere Platzhirsche wie Nokia oder Motorola konnten ihre Position nicht halten. Dominiert wird das Geschäft heute von Google und Apple, die die Nutzer an ihre Betriebssysteme banden.
Dabei formieren sich neue Allianzen. Für die Taxibranche kommt es gerade knüppeldick. Der Fahrdienst Uber will selbst ein gerichtliches Verbot ignorieren. Daimler will hier keine neue Front aufmachen. "Wir suchen die Zusammenarbeit und möchten eine Einladung dazu aussprechen", sagte Moovel-Chef Robert Henrich.
Das Ziel: gemeinsam die Chancen des mobilen Internets nutzen. Auch ein MyTaxi-Sprecher betonte: "Wir wollen den Taxifahrern helfen im Kampf gegen ausländische Wettbewerber."
Michael Müller, Präsident des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbands BZP, begrüßte das Bekenntnis. Daimler könnte ein Partner werden - bei der Abwehr von Uber. Aber: Für die Taxizentralen werde das Geschäft erschwert. Denn bei MyTaxi kommt es zum direkten Kontakt zwischen Fahrer und Fahrgast, der App-Anbieter kassiert eine Vermittlungsgebühr - die Taxizentralen gehen dabei leer aus. (dpa/rs)