In den vergangenen Jahren wurde zunächst über die Generation Y (Geburtsjahrgänge 1981 bis 1995) und dann über die Generation Z (Geburtsjahrgänge 1996 bis 2010) so viel geschrieben, dass Arbeitgeber und Führungskräfte mit den Erwartungen der jüngeren Arbeitnehmergenerationen hinlänglich vertraut sein dürften. Im Gegensatz dazu wurde im Wettbewerb um Fachkräfte der etablierten Generation der Babyboomer (Geburtsjahrgänge 1956 bis 1965) weniger Aufmerksamkeit in den Unternehmen und Personalabteilungen geschenkt. Das dürfte sich nun ändern, denn die geburtenstarken Jahrgänge treten in der kommenden Dekade in die letzte Phase ihrer Erwerbstätigkeit ein und gehen nach und nach in Ruhestand.
Dem Golden Age Index von PwC zufolge ist die Anzahl der älteren Beschäftigten in Deutschland seit 2003 bereits um rund 30 Prozent gestiegen. Gut 80 Prozent der Babyboomer stehen im Berufsleben. Unternehmen sind daher gut beraten, tragfähige Strategien für den Umgang mit dem überproportional gewachsenen Anteil älterer Beschäftigter zu entwickeln.
Starker Arbeitskräfteschwund bis 2035
Klar ausgedient haben Programme der Frühverrentung, die früher genutzt wurden, um im Zuge von Rationalisierungen die ältere Belegschaft möglichst "sozialverträglich" zu reduzieren. Da diese Arbeitnehmergruppe rund ein Drittel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland ausmacht, dürften sich mit ihrem Betriebsaustritt die in einigen Branchen bereits spürbaren Fachkräfteengpässe verschärfen.
Szenarien der in diesem Sommer veröffentlichten 14. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung gehen bis zum Jahr 2035 von einem Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung um rund vier bis sechs Millionen Menschen aus. Demnach wird mit dem Ruhestand der Babyboomer die Zahl der Erwerbstätigen von 51,8 auf 45,8 bis 47,4 Millionen schrumpfen.
Wirtschaft und öffentliche Institutionen können jedoch weder auf das Arbeitspotenzial noch auf Qualifikation und Wissen der Babyboomer verzichten. Sie sind darauf angewiesen und gut beraten, die älteren Kolleginnen und Kollegen so lange wie möglich zu halten. Unternehmen wie etwa Bosch oder Deutsche Bahn haben bereits Senior-Experten-Modelle etabliert, die es ihnen erlauben, das Fachwissen ihrer Beschäftigten auch jenseits des Renteneintrittsalters zeitlich befristet für Beratungs- und Projektaufgaben zu nutzen.
Defizitmodell des Alters überwinden
Da sich im Zuge der Digitalisierung die Anforderungen an Arbeitnehmer mit hoher Dynamik ändern, sind Unternehmen gezwungen, deutlich mehr in ältere Beschäftigte zu investieren. Das heißt zum Beispiel Weiterbildung - auch in altersadäquaten Formaten - bis zum Ruhestand anzubieten, wenn Betriebe nachhaltig von den älteren Mitarbeitern profitieren wollen. Zudem gilt es, das vielerorts noch dominierende Defizitmodell des Alters durch eine kompetenzorientierte Perspektive und somit durch ein positiveres Bewusstsein des Alters zu ersetzen.
Studien zeigen einen nicht bedeutsamen oder allenthalben schwachen Zusammenhang zwischen Alter und aufgabenbezogenen Arbeitsleistungen in Bezug auf die Lebensarbeitszeit. Einschränkungen in körperlichen Dimensionen lassen sich vielfach durch Erfahrung, Routinen, Wissen und die effektive Nutzung der vorhandenen Ressourcen kompensieren. Nicht zuletzt wachsen mit dem Alter Selbstsicherheit, Ausgeglichenheit und Einsatzbereitschaft sowie Verantwortungsgefühl. Während Machterwerb und Aufstiegswille tendenziell mit dem Alter abnehmen, werden Autonomie, Wertschätzung und Handlungsspielraum für ältere Beschäftigte bedeutsamer.
Altersgerechte Organisation schaffen
Studien des Finnish Institute of Occupational Health (FIOH) haben ergeben, dass Führung und Zusammenarbeit maßgeblichen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit von älteren Beschäftigten haben. Damit hängt es von den Rahmenbedingungen im Unternehmen ab, ob die Beschäftigten bis zum Ruhestand oder gar als Senior Experten darüber hinaus engagiert am Arbeitsplatz bleiben oder vorzeitig das Arbeitsfeld verlassen. Erforderlich sind eine vorurteilsfreie Haltung gegenüber dem Alter ebenso wie eine altersgerechte Organisation der Arbeitsabläufe.
Erhebungen des AOK-Instituts zu Fehlzeiten zeigen allerdings, dass sich etablierte und jüngere Generationen im betrieblichen Miteinander oft falsch einschätzen. Unterschiedliche Vorstellungen, Erwartungen und Sichtweisen der Altersgruppen können im beruflichen Alltag zu Reibungen führen, die nicht nur Stimmung und Leistung im Team, sondern auch die Gesundheit beeinträchtigen. Nicht zuletzt leiden Innovationskraft und die Fähigkeit, Probleme zu lösen, wenn Beschäftigte Wissen und Erfahrungen nicht umfänglich teilen.
Gesundheitsmanagement allein reicht nicht
Gesundheitsmanagement, die Einrichtung altersgerechter Arbeitsplätze oder Flexibilisierungsmöglichkeiten von Arbeitszeit und Ort sind wichtig, reichen allein jedoch nicht aus, um das Arbeitspotenzial der Babyboomer zu sichern. Im Kontext der Zusammenarbeit im Generationen-Mix gilt es, auf Wertschätzung von Alters- und Generationenunterschieden zu setzen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle Generationen, nicht nur die aktuell nachrückenden und heiß umworbenen Beschäftigten, wohlfühlen und bereit sind, vollen Einsatz zu zeigen.
Um Respekt zwischen älteren und jüngeren Beschäftigten zu fördern, hat Daimler beispielsweise die Initiative YES (Young and Experienced together Successful) ins Leben gerufen. Einen Beitrag leisten kann jedoch jede Führungskraft, egal ob in klassischen Teams oder agilen Strukturen, indem sie Aufgaben so verteilt, dass die jeweiligen Kompetenzen der einzelnen Altersgruppen voll zum Tragen kommen, alle Teammitglieder Qualifizierung "on the job" erfahren und Freude an der gemeinsamen Arbeit empfinden. Dies steigert das Mitarbeiterengagement nachhaltig und fördert die Bindung der Belegschaft.
Unternehmen, die im aktuellen "war for talent" nicht allein um die jungen Nachwuchskräfte werben, sondern ihrer angestammten Belegschaft ebensolche Aufmerksamkeit und Wertschätzung angedeihen lassen, sollten zu den Gewinnern im demografischen Wandel zählen.