Die Bahn macht Dampf. Bis 2007 sollen die Plattformen für Server und Applikationen reduziert werden. Der historisch gewachsene bunte Strauß an Betriebssystemen von z/OS und AIX über Solaris bis hin zu HP Tandem soll weitgehend auf Linux umgestellt werden. Das Ziel: die IT-Kosten erheblich senken.
Der Entscheidung für Linux war eine Evaluation der verschiedenen Betriebssysteme vorausgegangen: "Wir haben die Kosten des Basisbetriebs verglichen", sagt Detlef Exner, Geschäftsführer von DB Systems, dem internen IT-Dienstleister der Bahn. Dabei stellte sich das HP-Betriebssystem Nonstop, das unter anderem als Backend-System für die Fahrplanauskunft verwendet wird, als eine der teuersten Lösungen heraus. Suns Solaris erwies sich zwar als vergleichsweise günstig, doch Linux war der Konkurrenz unter dem Kostenaspekt immer voraus.
Der Wechsel erfolgt in einzelnen Projekten, wobei sich diese selbst tragen müssen. "Wir starten keine Umstellung, die einen Return on Investment erst in drei bis fünf Jahren verspricht", betont Exner. So sollen sich beispielsweise die bereits begonnenen Migrationen von Lotus und SAP auf Linux bereits innerhalb eines Jahres auszahlen.
Webbasierte Tools bereits migriert
In die Geschäftsmodelle für die einzelnen Projekte fließen verschiedene Faktoren ein. Neben den Kosten für Hardware und Lizenzen berücksichtigen sie auch Schulungen für Mitarbeiter und den Aufwand für die Portierung von Software. Projekte mit hohem Programmieraufwand will die Bahn nicht in Angriff nehmen. "Eine Cobol-Anwendung auf dem Großrechner, die in vier oder fünf Jahren abgelöst wird, stellen wir nicht um", sagt Exner. Dagegen sind etwa die webbasierten Werkzeuge bereits weitgehend unter Linux verfügbar.
Neben der Umstellung von SAP verfolgt die Bahn zwei weitere Großprojekte: Lotus Notes auf Linux laufen lassen und die Automatensteuerung auf HP Nonstop ablösen. Notes dient der Bahn als E-Mail- und Datenbank-System. Rund 55 000 Nutzer greifen auf die bislang unter IBM z/OS laufende Anwendung zu. Gemessen an der Zahl der Nutzer gehört die Migration nach Einschätzung von IBM zu den drei größten Projekten dieser Art in Europa.
Lizenzkosten halbieren
Mit dem Wechsel auf z/Linux will die Bahn massiv Lizenzkosten sparen, die bislang in das Mainframe-Betriebssystem z/OS fließen. Lotus Notes läuft nämlich nicht nur als Mailsystem, sondern auch als Anwendung für rund 5500 Datenbanken. Dahinter stehen 32 redundante Server und ein Datenvolumen von rund 6,5 Terabyte. Vor allem aufgrund dieses hohen Volumens ergeben sich durch den Einsatz von Linux Kosteneinsparungen bei Lizenzen von rund 50 Prozent, heißt es bei der Bahn. Von der gesamten Linux-Migration verspricht sich die Bahn Einsparungen von mehreren Millionen Euro im Jahr.
Auch wenn sich das nicht in Preissenkungen für die Fahrgäste niederschlägt, so kommen die Reisenden immerhin mit dem freien Betriebssystem in Berührung. Nachdem die Fahrplanauskunft im Internet seit langem auf Linux läuft, hat das Unternehmen im November 2004 begonnen, die Fahrplanauskunft des Backend-Systems der Ticketautomaten auf den Bahnhöfen zu migrieren. "Hier sind die ersten großen Schritte getan", so Exner. Dabei löst Linux die Steuerung durch HP Nonstop ab. Neben diesen Großprojekten verfolgt die Bahn auch kleinere Ansätze wie die Umstellung von Adabas-Datenbanken. Zudem sollen neue Projekte gleich auf der neuen Plattform begonnen werden.
Ein Wechsel der Desktops auf das freie Betriebssystem plant die Bahn in nächster Zeit nicht. Gerade wird das Roll-out der neuen Windows-Version für die Arbeitsplatz-Rechner abgeschlossen. Trotzdem sei eine endgültige Entscheidung noch nicht gefallen, sagt Exner: "Wir denken daran, und wir rechnen.
Standardisierung als Nebeneffekt
Weil für die Bahn allein der ROI der Projekte zählt, charakterisiert Exner einen wesentlichen Punkt fast herablassend als "Nebeneffekt": die Standardisierung der IT. Die Bahn setzt die Linux-Betriebssysteme von Suse und von Red Hat ein: allerdings in jeweils beiden Systemen nur identische Teile, also keine Eigenarten der beiden Derivate. Damit stehen nach außen für den Anwender immer die gleichen Schnittstellen zur Verfügung, ob auf dem Mainframe oder einem Intel-Server.
Die Einheitlichkeit der Plattform nutzt DB Systems für sich aus. Um - an ITIL orientiert - ein Höchstmaß an standardisierten Leistungen zu bieten, basiert das Konzept für die Infrastruktur auf einem Baukastenprinzip. Die Anforderungen an eine bestimmte Plattform können jetzt durch Zusammensetzen von einzelnen Softwareteilen erfüllt werden. Ausgeliefert wird eine Plattform dann inklusive den immer gleichen Lösungen zum Patch-Management, zum Backup oder zur Systemüberwachung. "Ob es um Monitoring oder Datenbanken geht, wir können die Leistungen standardisiert bereitstellen", sagt Exner. Von dem einheitlichen Einsatz von Linux verspricht sich DB Systems letztlich auch eine Kostensenkung bei der Pflege der Infrastruktur.
Nur noch fünf Server-Klassen
Durch die Verständigung auf eine einheitliche Plattform kann DB Systems zudem die Palette an Hardware einschränken. Anstatt verschiedene Architekturen unterstützen zu müssen, wurden fünf Server-Klassen eingeführt, unterschieden vor allem nach der Rechnerleistung und Verfügbarkeit.
Schwierigkeiten bei den Umstellungen träten weniger durch die Plattform auf, berichtet Exner. Probleme ergäben sich eher auf der Seite der Anwendungssoftware. Insgesamt seien die Projekte bis zum tatsächlichen Einsatz recht geräuschlos gelaufen: "Bis auf bessere Antwortzeiten merkt kaum einer etwas", sagt der Geschäftsführer von DB Systems.
Allerdings zeigen sich bei Linux nach Exners Beobachtung noch technische Schwächen, und zwar bei den Hochleistungslösungen auf Intel-Basis. Hier erreiche das System noch nicht die von der Konkurrenz ausgelegte Messlatte. Doch er ist optimistisch, dass diese Probleme in den nächsten zwei Jahren behoben werden. Softwareanbieter bessern in diesem Bereich massiv nach und arbeiten an neuen Werkzeugen.
Zugute kommen Exner bei der Migration die Unix-Kenntnisse vieler Techniker, denn mit Linux bewegen sie sich in der gewohnten Umgebung. Über die Motivation seiner gut 1000 Mitarbeiter im IT-Betrieb von DB Systems freut sich Exner: "Die Leute in den Rechenzentren interessieren sich zum Teil auch privat für Linux." Da kommt es dann auch vor, dass die tagsüber begonnene Arbeit abends freiwillig zu Hause am Linux-Rechner weitergeführt wird.
Bahn behält Linux-Wissen im Haus
Deswegen achtet DB Systems sehr darauf, das Open-Source-Wissen im Haus zu behalten. Zwar lässt sich das Unternehmen bei einzelnen Projekten von externen Beratern wie etwa von IBM und Suse unterstützen, doch die leitenden Funktionen besetzt die Bahn immer mit eigenen Leuten.
Auch der angezweifelte rechtliche Status des freien Betriebssystems bringt das Unternehmen nicht vom eingeschlagenen Kurs ab. Der Unix-Hersteller SCO beansprucht weitgehende Rechte an Unix und lotet mit einer Milliardenklage gegen IBM die Untiefen des amerikanischen Rechtssystems aus. Außerdem sorgten patentrechtliche Erwägungen bei der Linux-Migration der Stadt München kurzfristig für Unruhe. Doch Exner sieht sich mit dem parallel laufenden Migrationsprojekt des Bundestages, der ebenfalls die Server-Landschaft auf Linux umstellt, sowie den Anstrengungen verschiedener Behörden in guter Gesellschaft.
Die derzeitige Entwicklung mit der zunehmenden Akzeptanz des freien Betriebssystems in den Unternehmen erinnert Exner an die Entwicklung im Bereich der Großrechner. In den 80er-Jahren trat der PC seinen Siegeszug an. Jetzt wiederhole sich die Geschichte: "Linux wird sich weltweit durchsetzen."