Wäre Microsoft-Boss Steve Ballmer die britische Queen, hätte er 2009 wohl als "Annus horribilis" bezeichnet: Im vierten Quartal seines Fiskaljahres musste der von ihm geführte Konzern einen Umsatzeinbruch von 17 und einen Gewinnverlust von 29 Prozent hinnehmen - so viel wie noch nie in der 35 Jahre dauernden Historie des Konzerns. Zudem gab es das erste Mal in der Firmengeschichte Entlassungen in größerem Stil zu beklagen.
Verglichen damit ist das Jahr 2010 in deutlich ruhigerem Fahrwasser verlaufen, meint unser Kollege Shane O’Neill von CIO.com. Einen der größten Siege konnte der Software-Konzern ausgerechnet im Bereich der Spielekonsolen einfahren: Die drahtlose Bewegungssteuerung Kinect für die Xbox 360 ging in den ersten Monaten nach der Veröffentlichung mehr als 2,5 Millionen Mal über die Ladentheken dieser Welt.
Auch im professionellen Bereich konnte Microsoft Boden gutmachen: Die Verbreitung von Windows 7 wächst, weil die von seinem Vorgänger XP ermüdeten Unternehmen nun mehr und mehr neue Rechner kaufen und zudem bestehende Hardware auf das neue Betriebssystem migrieren. Sogar im von Google scheinbar auf ewig dominierten Markt der Suchmaschinen kann Microsoft punkten: Bing steigerte seinen Marktanteil eineinhalb Jahre nach dem Launch um immerhin 50 Prozent.
Bewegung nach vorne gibt es auch bei anderen Themen. So legte der ehemalige Quasi-Monopolist bei Standard-Applikationen für den Desktop ein deutliches Bekenntnis zum Cloud Computing ab und bietet mit Windows Azure sowie Office 365 sowohl eine Plattform als auch Basisapplikationen für das Rechnen in der Wolke.
Auf anderen Feldern sieht es dagegen weniger rosig aus: Beim Ringen um Marktanteile im boomenden Markt von Tablet-PCs etwa erwischt man Microsoft im anhaltenden Tiefschlaf. Auch der Versuch, im Smartphone-Markt mit Windows Phone 7 erneut Fuß zu fassen, wird von den Analysten eher skeptisch bewertet.
Der Erfinder des Tablet-PCs bekommt kein Bein an die Erde
Es ist eine Ironie der Geschichte, das Microsoft im Tablet-PC-Markt kein Bein an die Erde bekommt. Schließlich war es Ex-Chef Bill Gates, der einst die Vision von berührungsempfindlichen Computern formulierte. Die Umsetzung dieses Konzepts überließ der Konzern dann aber seinem Konkurrenten Apple. Mit geschätzt 8,5 Millionen verkauften Geräten 2010 und einer zu erwartenden Verdoppelung der Verkäufe 2011 freut sich das Unternehmen aus Cupertino wahrscheinlich jetzt schon darüber ein Loch in den Bauch.
Technologie-Analyst Roger Kay setzt dennoch auf einen "Hallo Wach"-Effekt aus Redmond: "Sie sollten sich erneut um die Tablet-PCs kümmern", rät der US-Veteran. Steve Ballmer schien gewillt zu sein, diesen Wunsch schon in vorauseilendem Gehorsam zu erfüllen: Gleich zweimal kündigte der Microsoft-Boss im vergangenen Jahr Windows 7-Tablets bis zum Jahresende an - Ende 2010 wohlgemerkt.
Bis jetzt ist es allerdings bei diesen Ankündigungen geblieben. Und so bleibt das iPad vorerst das einzige Gerät, das einem zur Kategorie Tablet-PC einfällt, und einzig Android-Geräte wie das Galaxy Tab von Samsung schaffen es derzeit überhaupt, mit Apple in den Nahkampf um die Gunst des Publikums zu treten.
Sowohl Microsoft als auch Google arbeiteten an Antworten auf das iPad, kommentiert Tim Bajarin, Chef der Analystenfirma Creative Strategies. Aber der Abstand zum Apple-Gerät vergrößere sich dennoch von Tag zu Tag. "Wenn Windows 7-Tablets in der ersten Jahreshälfte 2011 zu bekommen sein sollten, beträgt der Vorsprung von Apple immer noch ein ganzes Jahr. Sollte Microsoft erst auf die Optimierung von Windows 8 für Tablets warten, wird der Abstand auf zwei Jahre anwachsen."
Trotz dieses jetzt schon fast uneinholbar großen Rückstands solle Microsoft aber tatsächlich auf Windows 8 warten, rät Analyst Michael Cherry von "Directions on Microsoft". Windows 7 sei einfach nicht für Tablet-PCs gemacht worden. Es gebe nur wenige Anwendungen, und zudem seien die Akkulaufzeiten von Windows 7-Geräten derzeit nicht konkurrenzfähig. "Die Anwender haben entschieden, auf welche Schlüsselfunktionen sie nicht verzichten möchten. Windows 7 in seiner jetzigen Form erfüllt diese Kriterien nicht."
Probleme mit Windows Phone 7
Ein der wichtigsten Aufgaben von Steve Ballmer im vergangenen Jahr war es, sich die US-amerikanischen Aktienmärkte gewogen zu halten. Gelungen ist ihm das nicht, obwohl Microsoft 2010 sein am 30. Juni eines Jahres endendes Fiskaljahr mit dem höchsten Quartalserlös der Unternehmensgeschichte abschließen konnte. Das Problem ist der Aktienpreis, so CIO.com. Seitdem Ballmer bei Microsoft im Jahr 2000 von Bill Gates den Joystick für die Unternehmenssteuerung übernommen hat, ist der Kurs gefallen oder zumindest doch nicht mehr nennenswert gestiegen.
Im vergangenen Jahr gab es keine Besserung: Ende 2010 lag der Kurs nach einem deutlichen Einbruch zur Mitte unter dem Wert des Jahresanfangs, was die Wall Street-Analysten durchaus nicht nur zur Kenntnis nahmen: Das Wertpapierhandelsunternehmen Goldman Sachs stufte den Wert der Microsoft-Aktie 2010 vielmehr gleich zweimal herab. "Microsoft bleibt eine profitable Geldanlage", urteilt Analyst Roger Kay. "Aber es ist eine mit sinkenden Ertragsaussichten."
Das lang erwartete Windows 7 Phone erreichte in den USA die Läden Ende November doch noch. Obwohl die Beurteilungen und Tests mehrheitlich positiv ausfielen, hält sich Microsoft mit Aussagen über Verkaufszahlen zurück. Solche, die sich aus anderen Quellen erschließen, verheißen nichts Gutes.
Microsofts Pläne, mit seinem Betriebssystem Windows 7 Phone durchzustarten, haben schlicht zu lange gebraucht, urteilen die Analysten. In der Wartezeit habe sich der Markt mit iPhone und Android-Geräten nämlich auch ohne Microsoft blendend entwickelt. Als die Geräte dann doch verfügbar waren, habe es am Ende noch kaum jemand wissen wollen, kommentiert Roger Kay. "Microsoft verfügt nicht über dieselben guten Beziehungen zu Mobilfunkanbietern wie Apple, RIM mit dem Blackberry oder Google und nicht über dasselbe Ansehen bei den Kunden."
Es sei ein großer Fehler gewesen, einen so explosionsartig wachsenden Markt so lange so nachlässig zu behandeln, ergänzt Tim Bajarin von Creative Strategies. "Hier wird es in den nächsten drei bis fünf Jahren die größten Wachstumsraten geben und iPhone und Android haben da einen riesigen Anteil."
Windows 7 und das Kin-Debakel
Zur schwierigen Ausgangssituation von Microsoft hat auch das frühe Ableben der für Teenager gedachten "Social Phones" Kin One und Kin Two im Juli 2010 beigetragen. Jedenfalls fallen die Beurteilungen des Geschäftssinns von Microsoft im Markt mobiler Endgeräte aufgrund dieser Geschichte nicht sonderlich positiv aus, meint Analyst Rob Enderle. "Damit hat Microsoft einen riesigen Bauchplatscher auf großer Bühne hinlegt, bei dem viele Menschen zugeschaut haben", schließt Enderle seine Beurteilung des desaströsen Kin-Ausflugs. Es dürfte schwer sein für Microsoft, diese nachhaltig ramponierte Reputation wiederherzustellen. Harte Zeiten also für das Unternehmen.