Neue Studien kippen Wasser auf die Mühlen derjenigen, die wegen des Fachkräftemangels hierzulande in Sorge sind. Zugleich zeigen sie auf, dass es erstens Lösungsmöglichkeiten gibt und zweitens auch Zusammenhänge bestehen, die die allerschlimmsten Befürchtungen dämpfen sollten.
Die Personalberater der ManpowerGroup haben in einer internationalen Umfrage ermittelt, dass sich die Personalengpässe tatsächlich in deutschen Unternehmen eklatant verschärfen und zunehmend die IT-Abteilung betreffen. Gleichzeitig weist der Dienstleister daraufhin, dass die hiesigen Firmen nachgerade schlafmützig bei der Anwerbung von Spezialisten aus dem Ausland agieren.
Die kongeniale Ergänzung dazu liefert die europäische Absolventenbefragung des Forschungsinstituts Trendence. Demnach drängen gerade junge IT-Talente aus Südeuropa massiv in den hiesigen Arbeitsmarkt. Nur dass sie dort eben allzu oft vor verschlossenen Firmentoren stehen, wie die Manpower Group kritisiert.
Die 3 Wunscharbeitgeber
Trendence garniert sein jährliches „Graduate Barometer“, für das mehr als 340.000 Studenten aus 24 europäischen Ländern befragt wurden, traditionell mit einem Ranking der beliebtesten Arbeitgeber aus Sicht der Absolventen. In der Auswertung für Informatik- und Ingenieursstudiengänge liegen drei IT-Riesen ganz vorne. Fast 13 Prozent der befragten würden am liebsten für Google arbeiten, den Spitzenreiter auch im Vorjahr. Apple schob sich von Rang 4 auf 2, Microsoft rutschte von 2 auf 3. Die beiden Firmen sind Wunscharbeitgeber für jeweils mehr als 7 Prozent der Befragten.
Google und Apple profitierten von der Präsenz ihrer Marke, so Trendence. „Anders als manch anderes Großunternehmen rufen sie außerdem wenig emotionale Vorbehalte hervor“, erläutert Mariana Rajic vom Trendence Institut. „Kaum ein Befragter hält Google oder Apple für langweilig oder schwach.“ Die beiden digitalen Ikonen führen übrigens auch die Rangliste bei den Absolventen der Wirtschaftswissenschaften an – vor Coca Cola, Ernst & Young und L’Oreal.
VW, Bayer und BASF immer beliebter
Im Ranking der Engineering- und IT-Absolventen folgen hinter dem Podium auf Platz 4 mit Volkswagen ein Aufsteiger des Jahres, dahinter BMW, IBM, Siemens, EADS, Intel und GlaxoSmithKline. Bei den Wirtschaftswissenschaftlern büßen demgegenüber die großen Vier unter den Consultants und Wirtschaftsprüfern offenbar drastisch an Beliebtheit ein. „Zwar können sich Ernst & Young, PwC, KPMG und Deloitte in den europäischen Top 10 der Business-Absolventen halten, verlieren aber prozentual teils heftig“, kommentiert Trendence.
Jenseits der Aufmerksamkeit erregenden Rankings sind dieses Mal aber wohl noch relevanter zwei synchron verlaufende Entwicklungen, die Trendence beobachtet. Zum einen steigen deutsche Firmen offenbar massiv in der Gunst der europäischen Studenten. Neben Volkswagen nennt Trendence einige weitere Beispiele von Unternehmen, die im Ranking erhebliche Sprünge nach oben machten: BASF von 33 auf 24, Bayer von 16 auf 13, Bosch von 17 auf 12 und Porsche von 14 auf 11.
High Potentials aus Südeuropa
Zum anderen wollen viele High Potentials aus Südeuropa ihr Land verlassen. So zieht es geschlagene 53 Prozent der Technik-Absolventen aus Griechenland ins Ausland. Ähnliche Tendenzen gebe es aber auch in Spanien, Italien und Portugal. Neben Großbritannien ist Deutschland offenbar gerade bei jungen IT-Fachkräften ein besonders gefragtes Zielland. Gerade für Spanier sei die Bundesrepublik bevorzugte Wahl, berichtet Trendence.
Deutsche Firmen könnten also durch ein Anzapfen dieses Reservoirs beispielsweise ihren Mangel an IT-Spezialisten lindern. Nur geschieht das bisher kaum – im Gegenteil, wenn man der Argumentation der ManpowerGroup folgt. Deutschland nutze das weltweite Potenzial nur mangelhaft, demografische Effekte würden durch die aktuelle Zuwanderung nicht annähernd ausgeglichen.
Stattdessen agierten etwa Firmen aus Kanada oder Australien im internationalen Wettbewerb professionell – auch, indem sie erfolgreich deutsche Fachkräfte anwerben. Besonders auf technisch versierte Fachkräfte hätten Unternehmen aus aller Welt abgesehen. „Für Deutschland, das jetzt schon über einen Mangel an MINT-Fachkräften klagt, kann diese Entwicklung fatale Folgen haben“, schlägt Thomas Schonscheck von der ManpowerGroup Alarm.
Sprachkenntnisse werden zu wichtig genommen
Hierzulande beschäftigt laut ManpowerGroup nur jedes fünfte Unternehmen Personal aus dem Ausland. Im EU-Vergleich bedeute das lediglich einen Platz im Mittelfeld. Zu 80 Prozent scheiterten die Anwerbeversuche deutsche Firmen an den eigenen hohen Ansprüchen. So werden hierzulande von Anfang an Deutschkenntnisse eingefordert. Jedes vierte Unternehmen sieht in der Sprachbarriere die größte Hürde bei Besetzung von Stellen mit Bewerbern aus dem Ausland. Der EU-Durchschnitt liegt nur bei 16 Prozent.
„Hiesige Firmen stufen bereits bei der Einstellung perfekte Deutschkenntnisse genauso hoch ein wie das fachliche Know-how“, moniert Vera Calasan, Vorsitzende der Geschäftsführung der ManpowerGroup Deutschland. Anderswo – etwa in Norwegen oder Italien – achte man vor allem auf Hard Skills und Soft Skills wie Ehrgeiz und vertraue darauf, dass die Sprachkenntnisse mit der Zeit schnell reifen.
Deutsche Arbeitgeber seien gefordert, gezielt Bewerber anzusprechen, die mit absehbarem Aufwand geschult werden können, so Calasan: „Wer auf den hundertprozentig passenden Kandidaten wartet, wird die Talent-Lücke in seinem Unternehmen niemals schließen können.“
Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung
In einer großangelegten internationalen Vergleichsstudie hat die ManpowerGroup gerade ermittelt, wie ausgeprägt die Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung weltweit sind. Global haben demnach 34 Prozent der Firmen Probleme dabei, Stellen zu besetzen. Gegenüber dem Vorjahr ist dieser Wert unverändert, nachdem er seit dem Tiefstwert von 30 Prozent in 2009 leicht angestiegen war.
2007 – also vor der Finanzkrise – hatten aber sogar 41 Prozent der Firmen Mühe bei der Personalsuche. Allen Unkenrufen zum Trotz ist dieses Niveau international noch nicht wieder erreicht. Die regionalen Unterschiede sind allerdings immens. Während in Irland nur 2 Prozent der Firmen unter Fachkräftemangel leiden, sind es in Japan fast flächendeckende 81 Prozent.
42 Prozent fällt Personalsuche schwer
Die häufigen Klagen hierzulande werden durch die harten Fakten der Studie durchaus bestätigt. 42 Prozent der hiesigen Firmen tun sich bei der Personalsuche schwer – also mittlerweile ein höherer Wert als der weltweite Durchschnitt. Während es in den USA, Indien oder China zuletzt einen Abwärtstrend gab, stieg der Wert in Deutschland von 29 Prozent in 2010 über 40 Prozent im vergangenen Jahr kontinuierlich an.
Sicherlich nicht abgemildert wird die Knappheit durch den Umstand, dass es in den wichtigsten Nachbarländern ebenfalls vermehrt an adäquatem Personal mangelt. In Frankreich stieg die Quote im vergangenen Jahr von 20 auf 29 Prozent an. Österreich und die Schweiz melden laut Studie mit 67 und 62 Prozent sogar das absolut höchste Ausmaß an Fachkräftemangel in der EMEA-Region.
Die ManpowerGroup arbeitet überdies heraus, dass es insbesondere an IT-Spezialisten mangelt. Europaweit waren die IT-Profis zuletzt aus den Top 10 bei den besonders gefragten Berufen gerutscht, jetzt kehrten sie auf Platz 7 zurück. In Deutschland liegen sie sogar auf Platz 4; die Studie weist explizit darauf hin, dass gerade in der IT die Personalknappheit zunimmt. Das liege auch an neuen Technologietrends wie Cloud Computing, die Firmen unter Druck setzen, über möglichst aktuelles Fachwissen zu verfügen.
In zweierlei Hinsicht sollte man die Klage über das Problem allerdings relativieren. Denn Fachkräftemangel ist erstens ein relatives Luxusproblem im Vergleich zur volkswirtschaftlichen Totalerosion. Das in Europa nur jedes vierte Unternehmen Probleme bei der Personalsuche hat gegenüber 34 Prozent weltweit ist vor allem den drastischen Folgen der europäischen Schuldenkrise geschuldet.
In Spanien etwa hatten 2006 noch 57 Prozent der Firmen Grund zur Klage über einen Fachkräftemangel, jetzt sind es nur noch 9 Prozent. In Italien rutschte der Wert von 31 Prozent in 2010 auf mittlerweile 14 Prozent, in Griechenland von 41 auf 24 Prozent. In Irland gibt es zwar überhaupt keinen Fachkräftemangel mehr, dafür ist auch der Boom vergangener Jahre vergessen.
Deutsche Firmen erstaunlich gelassen
Zweitens stellt die ManpowerGroup überrascht fest, dass ausgerechnet in Deutschland und der Schweiz mehr als die Hälfte der Unternehmen davon ausgeht, dass sich der Fachkräftemangel nicht negativ auf den geschäftlichen Erfolg auswirke. In der Studie wird dies darauf zurückgeführt, dass trotz temporärer Engpässe ein ausgeprägtes Vertrauen in die Ausbildungsstrukturen herrsche.
Die Studien „Talent Shortage Survey 2012” und “The Borderless Workforce 2011” sind bei der ManpowerGroup erhältlich, das “Graduate Barometer Europe” bei Trendence.