Der Mann ist nicht zu stoppen. Wenn Jewgenij Kaspersky über Cyber-Kriminelle spricht, nehmen die Anekdoten kein Ende. Die Geschichten handeln von Hackern, die Bankautomaten, Kreditkarten, Computer oder Smartphones manipulieren. "Das ist wirklich passiert!", ruft er dann gern und setzt ohne Luft zu holen zur nächsten Geschichte an. Dabei wedelt er mit Händen und Füßen, als würde er gerade von feindlichen Viren attackiert.
Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Geschichten mag niemand äußern. Schließlich muss Kaspersky es wissen: Sein halbes Leben lang schon sammelt er Computerschädlinge. Was Otto Normal-User hohen Blutdruck und Schweißausbrüche beschert, ist für ihn Arbeitsalltag. Der 44-Jährige spürt Viren, Trojaner und anderes Ungeziefer im Internet auf und macht Jagd auf deren Urheber. Seine Softwarefirma Kaspersky Lab gehört mit weltweit 1700 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 390 Millionen Dollar zu den erfolgreichsten Softwareunternehmen Russlands.
Als Jewgenij, der sich außerhalb seiner Heimat Eugene nennt, in den 80er Jahren anfängt in seiner Freizeit Viren zu sammeln, ist nicht ansatzweise an ein Millionengeschäft zu denken. Mit Anfang zwanzig hat er eine stattliche Virenkollektion beisammen - der Grundstock für seine spätere Firma. "Es gibt Menschen, die Dinge gern zusammenbauen. Und es gibt Menschen, die Sachen lieber auseinanderbauen, um sie zu verstehen. Zu denen gehöre ich", sagt Kaspersky. Er wollte verstehen, wie Viren funktionieren.
Nach einer Ausbildung in Mathematik und Kryptografie beim KGB gründet Kaspersky gemeinsam mit Kollegen 1997 Kaspersky Lab. Damals hat die 15-Mann-Firma ein Antivirenprogramm im Angebot. "Anfangs rümpften viele die Nase und wollten nicht mit uns reden", sagt Kaspersky. Eine russische Softwarefirma könne nicht vertrauenswürdig sein, hieß es. Doch mit der rasanten Ausbreitung von Computerviren kam der Erfolg. "Wir hatten zwar kein großes Werbebudget, aber wir waren ständig auf Messen, Kongressen und Branchentreffs unterwegs. Zum Beispiel auf der Cebit."
Gefunden im manager magazin
Der Russe kommt jedes Jahr nach Hannover, Einladungen zu den berüchtigten Kaspersky-Partys auf der Cebit sind äußerst begehrt. Der Messe verdanke er den Erfolg in Deutschland, seinem wichtigsten Markt. Kaspersky macht hier 40 Prozent seines weltweiten Umsatzes. "Die Deutschen vertrauen uns."
"Ich brauche sprechende Nerds"
Auch die wachsende Zahl von Hackerangriffen und das Sicherheitsbedürfnis deutscher Kunden waren Kasperskys Geschäft zuträglich. Im vergangenen Jahr wuchsen die hiesigen Erlöse trotz Wirtschaftskrise um 20 Prozent. Was für andere Unternehmen Traumquoten sind, ist für Kaspersky fast schon ein gesättigter Markt. Der Umsatz im EEMEA-Raum, also in Osteuropa, dem Mittleren Osten und Afrika, wuchs um 46 Prozent, die Erlöse in den USA stiegen gar um 71 Prozent. Über Gewinnzahlen schweigt Kaspersky. "In den USA gewinnen wir gerade extrem viele Kunden. Ich denke, dass der US-Markt langfristig unser größter wird."
Branchengrößen wie Symantec und McAfee wird Kaspersky so schnell allerdings nicht einholen. Marktführer Symantec erlöst mit rund sechs Milliarden Dollar jährlich 15 mal so viel wie die Russen. Doch Kaspersky will eines Tages zur Weltspitze der IT-Sicherheitsunternehmen gehören. Sein Expertennetzwerk, das er seit einigen Jahren rund um den Globus spannt, soll dabei nur der Anfang sein. 30 Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich darum, aktuelle Sicherheitsbedrohungen in ihrem Land aufzuspüren und ihre Infos an die Kollegen weiterzugeben. "Sie sind nicht nur Technikexperten, sondern sollen auch mit Partnern und den Medien kommunizieren - sprechende Nerds sozusagen", so Kaspersky. "Können Sie sich vorstellen, wie schwer solche Leute zu finden sind?"
Kaspersky will nur die Besten von ihnen. Unter den Programmierern sind das aus seiner Sicht solche, die eine mathematische oder technische Grundausbildung haben und Programmieren zusätzlich lernen. "Die besten Softwareprogrammierer kommen aus Russland." Da können die Deutschen nicht mithalten. Bei Kaspersky arbeitet kein einziger deutscher Programmierer. Das Unternehmen hat zwar eine Niederlassung in Ingolstadt, doch die 130 dort beschäftigten Mitarbeiter sind größtenteils mit Marketing- und Vertriebsaufgaben befasst.
"Deutsche lieben Autos und Technik, Russen lieben Software. Die schnellsten Autos werden in Deutschland produziert - die gefährlichsten Viren eben bei uns." Den Stolz in seinen Worten kann Kaspersky kaum verbergen. Zu den Urhebern der Schadsoftware scheint ihn eine Hassliebe zu verbinden. Letztlich hängt der Erfolg seines Unternehmens stark davon ab, ob Hacker gute Arbeit leisten. "Sie haben kaputte Seelen, sind aber auch sehr intelligent." Trotzdem würde er keinen Hacker einstellen, der die Seiten wechseln und Virenjäger werden will. Auf dem Arbeitsmarkt gebe es ohnehin keine guten Hacker: "Die Cleveren lassen sich nicht erwischen und die Dummen wollen wir nicht."
Kaspersky strotzt vor Selbstbewusstsein. Freimütig erzählt er von seinen Fanclubs in Russland und China, von den Ländern, die er gerade binnen zwei Monaten bereist hat (China, Schweiz, Deutschland, Singapur, Malaysia, Indonesien, Mexiko, Israel, Japan) und den Prominenten, denen er in letzter Zeit die Hand geschüttelt hat (Dmitrij Medwedjew, Richard Branson, Jackie Chan). Dann klappt er seinen Laptop auf, vergrößert ein Foto und zeigt auf einen Mann im türkis glänzenden Anzug. "Das bin ich im Olympischen Stadion in Peking. Wir haben dort ein Konzert mit chinesischen Topstars gesponsert." Kaspersky grinst. "75.000 Zuschauer waren da, in Peking haben sie ganze Straßen für uns gesperrt."
In Zukunft nur noch Smartphones
Ein Paradebeispiel für Kasperskys Marketingstrategie: Die Firma sponsert Sportteams, Spiele und Konzerte. "Wir sind eine seriöse Firma, aber wir lieben Spaß." Schließlich erinnerten sich Menschen gern an das, was Freude macht. "Wir brauchen keine Werbung, die viel kostet, sondern eine, die effektiv ist."
Die Zukunft seines Unternehmens sieht Kaspersky vor allem auf dem Handy. "Smartphones werden eines Tages Computer ersetzen. Wenn wir jetzt in die Entwicklung von Antivirenprogrammen für Handys investieren, werden wir ganz vorne dabei sein." Noch ist das Geschäft mit Software für Smartphones verschwindend gering. Weniger als ein Prozent des Umsatzes macht Kaspersky mit dem mobilen Virenschutz. "Als wir vor fünf Jahren in den Markt einstiegen, lachten uns alle aus." Allmählich werden sich Nutzer der Gefahren für ihr Handy aber bewusst, zumal die Geräte immer mehr Daten in sich tragen. "An Antivirenprogramme hat anfangs auch niemand geglaubt."
Kaspersky sieht in den Investitionen für Smartphone-Programme auch eine Chance, sich von der Konkurrenz abzusetzen. "Viele Wettbewerber investieren nicht in mobile Antivirensoftware, weil das viel kostet und sich nicht sofort rentiert." In Unternehmen mit Investorenbeteiligung sei aber schnelle Rendite gefragt, deshalb fielen viele mobile Projekte der Konkurrenz flach. "Ich muss niemandem Rechenschaft ablegen, außer mir selbst", freut sich Kaspersky.
Den Russen kommt zugute, dass mittlerweile auch den Regierungen an Computersicherheit gelegen ist. Der Schutz technischer Infrastrukturen steht derzeit nicht nur in Berlin auf der Agenda. Kaspersky kooperiert unter anderem mit der niederländischen und der brasilianischen Regierung. "Mit unserer Hilfe haben sie schon mehrere Cyberkriminelle festgenommen."
Auch der Kreml setzt auf Kasperskys Antivirenprogramme. Im Sommer vergangenen Jahres überreichte der russische Präsident Medwedjew dem Manager den Staatspreis, die höchste Auszeichnung des Landes. Über das Verhältnis zum russischen Staatsoberhaupt mag Kaspersky trotzdem nicht reden. "Spielt doch keine Rolle, ob ich ihn kenne. Er kennt mich. Das ist viel wichtiger."
Jewgenij Kasperskyist Mitgründer des Antiviren-Softwarefirma Kaspersky Lab. Zehn Jahre lang leitete er die Forschungsabteilung des Unternehmens, bis er 2007 die Unternehmensleitung übernahm.