Andrea Grimm hat in der IBM-Zentrale in Vaihingen bei Stuttgart keinen eigenen Arbeitsplatz und kein eigenes Büro. "Ich kann mir hier oben einen freien Schreibtisch aussuchen", sagt sie. Für vertrauliche Besprechungen oder Telefonkonferenzen gibt es im Gebäude 4 auf dem IBM-Campus spezielle Räume. Aber sie ist ohnehin nur ein bis zwei Tage pro Woche in Stuttgart; die meiste Zeit verbringt sie bei ihren Managementteams in London, Mailand, Paris und Stockholm, die vor Ort die Verantwortung tragen. "Ich habe immer mein Thinkpad dabei, kann hier arbeiten, zu Hause, im Hotel oder Flugzeug."
Die Managerin trägt ein rotes Business-Kostüm, passend zu ihren rötlich gefärbten Haaren. Sie strahlt Vertrauen und Zuversicht aus, spricht klar und wohl überlegt - diplomatisch. Ihr Aufstieg bei IBM war geplant und doch, so scheint es, ungezwungen. Denn was sie heute ihren "Mentees", den Neueinsteigern bei IBM, empfiehlt, ist der Schlüssel für ihren Aufstieg an die Spitze. "Sie müssen sich Ziele setzen und diese auch kommunizieren. Gerade Frauen sollten nicht darauf warten, dass jemand die Idee hat, man möchte ja vielleicht weiterkommen."
So hat es Andrea Grimm gehalten, und es hat ihrer Karriere gut getan. Seit 1. September ist sie General Manager für Application Management Services bei IBM und damit für das Wohlergehen von 8000 Mitarbeitern in Europa verantwortlich. Der Bereich gehört zur Global-Services-Unit von IBM. "Wir machen Anwendungsmanagement: von der Erstellung und Erweiterung über die Pflege bis zur Wartung beim Kunden, und zwar unabhängig von der Unternehmensgröße; teilweise übernehmen wir auch die Mitarbeiter."
Männer sagen immer das Gleiche
Besonders am Herzen liegt ihr die Förderung von Frauen. Doch eine Ideologin ist sie in dieser Frage nicht. "Ich bin für gemischte Teams, da kommen die besten Ergebnisse zustande", so ihre Erfahrung. Die Managerin möchte möglichst viel über die unterschiedliche Denk- und Arbeitsweise von Männern und Frauen wissen. "Je besser man die Spielregeln kennt, desto besser kann man agieren." Männer würden die Dinge manchmal anders hören, verstehen und sagen, weil sie eine andere Art der Kommunikation gewohnt seien. Beispiel Entscheidungen: Bei Frauen gelte Schweigen als Zustimmung; anders bei Männern. "Ich wunderte mich bei Meetings zunächst, dass zwölf Männer alle das Gleiche sagten." Dann habe sie ebenfalls immer explizit zugestimmt.
Auch außerhalb des Berufs versucht Andrea Grimm ihr Anliegen umzusetzen: "Ich spreche immer darüber, dass mehr Frauen in solche Funktionen hineinwachsen sollen; also muss ich das auch für mich selbst in Anspruch nehmen." Deshalb war sie vier Jahre lang Vizepräsidentin der Gesellschaft für Informatik (GI). In der Inititative D21 engagierte sie sich dafür, dass sich mehr Frauen und Mädchen für IT interessieren: "Wir haben Innovationskarawanen gestartet." Ihre Einschätzung: Frauen und Männer können durch die Nutzung von IT mobiler werden - weg vom klassischen Arbeitsplatz. Das ehrenamtliche Engagement hat ihr Spaß gemacht. Sie bekomme dadurch einen weiteren Horizont, lerne andere Menschen und Probleme kennen. "Das ist für mich eine persönliche Bereicherung", sagt Grimm.
Durch ihre Tätigkeiten ist sie jetzt auch auf politischer Ebene als Ratgeberin gefragt. Im Februar hat Bundespräsident Johannes Rau die Hamburgerin in den Wissenschaftsrat berufen. Sie gehört zu den acht Mitgliedern des öffentlichen Lebens, die vom Bund und von den Landesregierungen gemeinsam nominiert werden. "Wir sollen den gesunden Menschenverstand in die Wissenschaftspolitik tragen", so Grimm. Insgesamt hat die Wissenschaftliche Kommission 32 Mitglieder; 24 davon sind reine Wissenschaftler. Zusammen mit der Verwaltungskommission (16 Stimmen vom Bund und 16 von den Ländern) bilden sie die Vollversammlung, die die Beschlüsse fasst. "Da sitzen Theaterwissenschaftlerinnen und Chemiker; es gibt hochkarätige Diskussionen über alle Bereiche hinweg, die einfach Spaß machen", sagt Andrea Grimm.
Ihre eigene Stärke, sagt sie, liegt in der Kommunikation. "Wir haben eine Matrixorganisation, und in der kommt es sehr stark auf den Austausch untereinander an, vor allem im internationalen Bereich." Teamgeist und Förderung seien ihr wichtig. "Ich versuche, die Mitarbeiter so zu motivieren, dass Entscheidungen in möglichst großer Übereinstimmung getroffen werden."
Die Jahr-2000-Umstellung gemanagt
Für ihre Promotion hat sie 1984 als DAAD-Stipendiatin an der renommierten Privatuniversität Yale in den USA geforscht. "Dort lernte ich Frauen kennen, die es hier so noch nicht gab: Frauen in Führungspositionen an Universitäten und in der Wirtschaft" - Frauen mit Vorbildfunktion für sie. "Die Vereinbarkeit von Karriere und Familie war dort viel aktueller als bei uns."
Sie hat sich in den USA sehr wohl gefühlt, ist durch das Studium aber auch in anderer Weise geprägt worden. Yale bot damals schon ein Computerzentrum und viele Möglichkeiten, sich mit der IT zu befassen. Sie erkannte: "Das ist eine Branche, die mich interessiert, mit Zukunft." Danach ging sie zu IBM. "Ein internationales Unternehmen, das passte gut zu mir." Im Rückblick sagt sie: "Ich verstehe die amerikanische Kultur; das hilft mir, in einer amerikanischen Firma erfolgreich zu sein."
International zu arbeiten, viel zu reisen, das gefiel ihr. Und bei IBM wurde es nie langweilig. Als Grimm hierher kam, war "Big Blue" noch ein beinahe allmächtiger Monolith. Computer kosteten Millionen und wogen Tonnen; ihre Herren waren Exoten in den Unternehmen. Und IBM war der beherrschende Lieferant. Mittlerweile musste das Unternehmen mit der IT-Szene den Schwenk vom zentralen zum dezentralen, serviceorientierten Client Server Computing vollziehen. "Das Unternehmen verändert sich schnell, passt sich immer wieder dem Markt an. So konnte ich bis heute alle zwei, drei Jahre etwas Neues machen, ohne die Firma zu wechseln."
Nach dem Trainee-Programm mit Aufenthalt in der IBM-Europazentrale in Paris leitete sie drei Jahre lang eine Entwicklungsabteilung im IBM-Software-Labor in Böblingen, Schwerpunkt Software Retrieval - für die VWLerin Hardcore-IT. "Ich wollte erfahren, was IBM ausmacht." Ihre Neigung zu Mathematik und technischen Dingen half ihr dabei. In North Carolina führte sie das Workflow Competency Center, in Heidelberg den Bereich Wissenschaft und Technologie. 1998 war sie für die europäische Anwendungsentwicklung in Europa, im Mittleren Osten und in Afrika zuständig, samt Jahr-2000-Umstellung.
Seit 16 Jahren ist die Hamburgerin jetzt schon bei IBM. Sie versucht, sich trotzdem Zeit für Kunst, Oper und Konzerte zu nehmen. "Das sind Termine mit mir selbst, die ich für mich im Kalender blockiere." Glück ist für Andrea Grimm, bei aller Arbeit Kontakt mit Freunden zu halten.
"Ich begreife mich als Botschafterin", resümiert sie, "weil ich zwischen den Kulturen vermitteln kann - nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen Europäern und Amerikanern. Deshalb fühle ich mich mit dieser Aufgabe sehr wohl."