Online wächst und wächst und treibt den Konsum voran. Dieses Bild wird gerne belegt mit den Wachstumszahlen von Amazon, Ebay oder noch ein paar Vorzeigeunternehmen. Die Realität sieht allerdings etwas differenzierter aus, wie die jüngste Marktuntersuchung des bvh (Bundesverband des Deutschen Versandhandels) zeigt.
Der bvh versteht sich als Branchenvereinigung der Versand- und Online-Händler in Deutschland. Laut Verbandsangaben sind über 290 Unternehmen im Verband organisiert, die ihre Waren per Katalog, Internet oder TV anbieten. Seit vier Jahren lässt der bvh von dem Marktforschungsinstitut TNS Infratest eine breit angelegte Befragung vornehmen. In diesem Jahr werden etwa 30.000 Privatpersonen aus Deutschland über 14 Jahren von Januar bis Dezember zu ihrem Ausgabeverhalten im Versandhandel und zu ihrem Konsum von digitalen Dienstleistungen (z.B. im Bereich Downloads oder Ticketing) befragt. Das jetzt vorgelegte Zwischenergebnis basiert auf der Auswertung des ersten Halbjahres 2009 und kommt zu durchaus widersprüchlichen Ergebnissen.
So prognostizieren die Marktforscher auch für dieses Jahr wieder ein Wachstum von Online-Verkäufen im Produktbereich und bei Dienstleistungen, wenn man die Zahlen des ersten Halbjahres auf das ganze Jahr hochrechnet. Trotz des wahrscheinlichen Aus für den Quelle-Versand durch die Insolvenz von Arcandor sieht der bvh den Versandhandel insgesamt "so vital wie nie“. E-Commerce und Internet sei dank. Als Beleg dient das für 2009 prognostizierte Wachstum im Online-Handel, das zugleich den Versandhandel insgesamt beflügeln soll: Die Deutschen geben in diesem Jahr so viel Geld wie noch nie im Internet aus. Unter der Annahmen einer "stabilen Konsumstimmung" dürfte sich der Branchenumsatz voraussichtlich um 1,7 Prozent auf 29,1 Mrd. Euro (2008: 28,6 Mrd.) erhöhen.
Dieter Junghans, bvh-Präsidiumsmitglied und Geschäftsführender Gesellschafter des Aachener Multi-Channel-Versenders Pro Idee, macht auf Optimismus: "Die Branche bekommt starken Rückenwind aus dem Internet und kann damit gegen den allgemeinen Trend im Einzelhandel wachsen. Ganz gleich ob stationäre Händler, Warenhersteller oder Apotheken – es gibt immer mehr Unternehmen, die eigene Online-Shops eröffnen und dadurch zusätzliche Umsätze erwirtschaften.“ Versand- und Internet-Handel rücken immer enger zusammen: Jedes Unternehmen, das im Internet Handel betreibt, sei ein Versender. Und gleichzeitig werde der Versandhandel immer mehr zum Online-Handel.
Nach Einschätzung des bvh bleiben Kataloge als Informationsinstrument auch bei Online-Nutzern weiterhin gefragt. Bei schriftlichen und telefonischen Bestellungen sind sie in rund 80 Prozent aller Fälle das einzige genutzte Medium. Insgesamt 69 Prozent (2008: 73 Prozent) der Online-Käufer nutzten immer noch gedruckte Kataloge, bevor sie eine Warenbestellung im Internet aufgeben.
Selbst bei den jüngeren Online-Bestellern bis 39 Jahren liegt die Nutzung noch immer bei mindestens 64 Prozent. Für Junghans vom bvh ist der Katalog noch nicht tot: "Wir sind noch weit davon entfernt, den Katalog als Werbemittel in Frage stellen zu können. Die Frage lautet stattdessen, wie der Katalog der Zukunft aussehen muss.“
Online-Handel stützt den klassischen Versandhandel
Neben dem Online-Umsatz mit Waren lässt der bvh auch die Ausgaben der Deutschen für digitale Dienstleistungen untersuchen. Demnach steigen die Einnahmen mit Downloads von Musik, dem Kauf von Online-Tickets oder privaten Reisebuchungen im Internet im Jahr 2009 voraussichtlich um 8,5 Prozent auf 6,4 Mrd. Euro (2008: 5,9 Mrd. Euro).
Damit würden die Deutschen in diesem Jahr insgesamt 21,8 Mrd. Euro im Internet ausgeben (15,4 Mrd. Euro für Waren; 6,4 Mrd. Euro für digitale Dienstleistungen). Das entspricht einem Plus von 13 Prozent (2008: 15 Prozent).
Am häufigsten werden online "Bekleidung, Textilien und Schuhe“ bestellt. Allerdings ist hier die Nachfrage bislang mit 38 Prozent (2008: 42 Prozent) Anteil an den Gesamtbestellungen niedriger als im Vorjahr, so TNS Infratest. Bliebe dieser Wert konstant, könnte die Kaufzurückhaltung in der umsatzstärksten Warengruppe am Jahresende zu einem Minus von bis zu fünf Prozent führen (Gesamtumsatz 2008 in diesem Segment: 13,4 Mrd. Euro).
Größere Nachfrage ist laut Marktforschern dagegen im Bereich "Medien“ (Bücher, CDs, DVDs) zu verzeichnen. Hier kann der rein zahlenmäßige Anteil an den Gesamtbestellungen voraussichtlich auf 21 Prozent (2008: 18 Prozent) zulegen, wobei der Umsatz der zweitstärksten Warengruppe aufgrund sinkender Ausgaben pro Kauf nur auf Vorjahresniveau verbleibt (Gesamtumsatz 2008: rund 2,9 Mrd. Euro).
Weniger Bestellungen (fünf Prozent an Gesamtzahl; 2008: sechs Prozent) verzeichnet die "Unterhaltungselektronik“, die im vergangenen Jahr mit 2,1 Mrd. Euro die drittumsatzstärkste Warengruppe war. Setzt sich der bislang beobachtete Trend fort, sind 2009 Umsatzrückgänge von bis zu zehn Prozent möglich. Wie das Jahr 2009 für den Versandhandel tatsächlich ausfällt, dürfte sich vor allem nach dem wichtigen Weihnachtsgeschäft herausstellen.
Das Beispiel Amazon
Der bvh geht davon aus, dass durchschnittlich jeder Deutsche in diesem Jahr für 354 Euro (2008: 346 Euro) im Versand- und Online-Handel einkauft. Allerdings stagniert der Versand- und Online-Handel mit einem Anteil von etwa sieben Prozent am gesamten Einzelhandel seit Jahren. Selbst wenn der Online-Handel wächst, geschieht dies nicht unbedingt auf Kosten des stationären Handels. Beispiel Amazon: Zwar kaufen viele Menschen inzwischen in diesem Online-Warenhaus ein, aber die große Mehrheit zieht es immer noch vor, sich Bücher oder Elektroartikel im Einzelhandel zu besorgen. 7,4 Prozent Anteil am Einzelhandel für 2009 mögen zwar eine "neue Höchstmarke“ sein, wie der bvh stolz verkündet (2008: 7,2 Prozent), de facto ist es allerdings noch ein kleiner Teil vom großen Kuchen.