Billiger wird’s nicht

Die Cloud-Computing-Strategie von EMC, VMware und Cisco

06.11.2009 von Hartmut  Wiehr
Was steckt hinter der neuen Allianz von EMC, Cisco und VMware? Chuck Hollis, Vice President Global Marketing CTO bei EMC, erklärt im Interview mit CIO.de, wie Anwender von Virtualisierung und Private Cloud profitieren sollen.

Nicholas Carr, der letztes Jahr das Buch „The Big Switch“ herausgebracht hat, propagiert schon länger den Trend, dass sich die IT hin zu Cloud Computing entwickelt. Irgendwann – so Carr – werden alle Unternehmen nur noch IT-Services beziehen, so wie man heute Strom nur noch aus der Steckdose bekommt, statt ihn in firmeneigenen Kraftwerken aufwändig zu produzieren. Es scheint, dass EMC nun diesem Theoretiker der IT-Entwicklung folgt, wenn man nur alle die jüngsten Ankündigungen zu Cloud Computing und Virtualisierung betrachtet.

Chuck Hollis: Keineswegs. Carr war sehr gut darin, ein Beispiel dafür zu geben, wie sich die Infrastruktur in der Vergangenheit geändert hat. Die Analogie mit der Stromerzeugung und -verbreitung trifft aber nicht oder nur zum Teil den Veränderungsprozess der IT heute. Carr geht davon aus, dass IT aus dem Netz billiger ist. Wir bei EMC stimmen nicht mit dieser Ansicht überein. Cloud Computing wird besser sein als die bisherige IT-Infrastruktur, aber „billiger“ ist nur ein Teilaspekt von „besser“. Cloud Computing ist flexibler, schneller und bietet mehr Optionen für Anwender und Hersteller. Eigentlich bringt Carr nur gute Beispiele, aber nicht den Gesamtüberblick.

Chuck Hollis, Vice President Global Marketing CTO, EMC Corporation bei EMC und prominenter Blogger (http://chucksblog.emc.com), sieht mit Virtualisierung und Cloud Computing ein neues Zeitalter für die Rechenzentren heraufziehen.

Alle reden jetzt von Cloud Computing. Fast jeder Hersteller springt auf diesen Trend auf. Manchmal wird Cloud Computing aber lediglich als neues Wort für Utility Computing oder Grid ausgegeben. Oft ist es nur der Austausch von Begriffen, neue Labels werden an alte Produkte angeheftet.

Chuck Hollis: Ja, neues Marketing.

Wenn man genauer hinschaut, könnte sich hinter diesem Marketinggedöns dennoch eine neue Entwicklung verbergen. Nehmen wir die sogenannte Private Cloud, die EMC jetzt so gerne in den Mund nimmt. Die Private Cloud ist ein Abkömmling der Public oder External Cloud. Aber diese Public Cloud gibt es noch gar nicht richtig, sie ist nur ein Projekt. Jetzt kommen Sie mit einem weiteren Projekt heraus.

Chuck Hollis: Mit einem weiteren Phantasieprojekt? Nein. In Wahrheit geht es um Folgendes: Mitte 2008 hatten wir ein Executive Meeting mit Cisco und VMware, bei dem Virtualisierung im Vordergrund stand. Virtualisierung wird immer populärer – bei Servern, Storage und Desktops. Und wir sehen auch, dass Service Provider eine immer größere Rolle spielen werden, über das herkömmliche Outsourcing hinaus. Anwender haben die Wahl zwischen verschiedenen IT-Containern, die sie entweder selbst betreiben oder von einem Provider organisieren lassen.

In diesem Umfeld herrscht eine gewisse Konfusion: Themen wie Cloud, Auslagern an Amazon, Security oder die Garantie von Sevice Levels schwirren herum. Wir wollten dagegen mit einem Begriff herauskommen, der konzentriert alles ausdrückt, was IT auf mehreren Ebenen braucht – Garantie und Kontrolle von Security, Service Levels, Optionen und Wahlmöglichkeiten für den Anwender. Deshalb haben wir uns für den Ausdruck „Private Cloud“ entschlossen.

Private Clouds bringen Wahlfreiheit

Es geht Ihnen also um bestehende Rechenzentren, die Sie jetzt als „Private Cloud“ bezeichnen?

Chuck Hollis: Es geht um eine neue Wahlfreiheit: Anwender können Private Clouds bei sich selbst installieren und so ohne externe Service Provider auskommen oder Private Clouds komplett von außen beziehen. Es geht uns um Clouds für bestehende IT-Umgebungen. Es kann auf unteren Layern der Infrastruktur Dynamik eingeführt werden, ohne die Anwendungen zu verändern. Bezieht man Clouds von außen, herrscht in unserem Modell auch hier Wahlfreiheit – Anwender sollen sich zwischen hunderten verschiedenen Service Providern entscheiden können. So können sie sich aus ihrer ökonomischen Zwangslage, unter der sie gerade im Moment besonders leiden, befreien. Vor etwa sieben Jahren erlebten wir ein Erstarken der Outsourcer, die sehr viele IT-Kapazitäten an sich zogen. Mit Private Clouds geben wir den Anwendern die Möglichkeit, eine gesunde Mischung zwischen internen und externen Ressourcen zu schaffen, mit denen sie den Geschäftsanforderungen entsprechen können.

Und warum?

Chuck Hollis: Alles hängt davon ab, wie die Leute in den Rechenzentren ihren Job verstehen. Wenn es Ihr Job ist, eine große, skalierbare IT-Infrastruktur aufzubauen, immer auf dem neuesten Stand zu sein und die passenden Technologien auszuwählen, dann fühlen Sie sich zwangsläufig durch extern angebotene Services bedroht, die Ihre Arbeit und damit letztlich Sie selbst überflüssig machen. Den gleichen Vorgang findet man auch bei Geschäftsfeldern wie Human Resources oder Financial Services, die ebenfalls vor großen Umwälzungen stehen. IT-Abteilungen sollten sich heute selbst mehr als Service Provider verstehen und nicht bloß als Verwalter ihres Rechenzentrums. Nur so können sie flexibler reagieren.

Aber die Praxis sieht doch anders aus. CIOs wissen schon längst, was sie sinnvoll an Outsourcer oder Service Provider ausgliedern können und was sie lieber im eigenen Haus behalten.

Chuck Hollis: Korrekt. Aber es hängt davon ab, mit wem man spricht. Bei Herstellern von industriellen Gütern mag es durchaus zutreffen, aber nicht so im Finanzsektor. Hier pocht man nach wie vor auf die Vollmacht über die eigenen Computer – wegen Datensicherheit usw. Je nach Branche gibt es hier Unterschiede. Am weitesten fortgeschritten ist sicher der industrielle Bereich: Hier weiß man Bescheid über die Vorteile von Supply Chains, Zuliefererbetrieben oder externer Lagerhaltung. Von hier und von Retail-Unternehmen wird ein Umstrukturierungsprozess ausgehen, der IT mehr als Dienstleistung begreift, die auch von auswärts bezogen werden kann. CIOs, die öffentlich bekennen, „Ich möchte überhaupt keine eigene IT mehr besitzen, andere können das besser“, sind gar nicht mehr so selten.

Das sind eher radikale Ansichten, weit weg vom Mainstream.

Chuck Hollis: Sicher. Aber daraus folgt die Konsequenz, dass eigentlich alle Unternehmen eine IT-Infrastruktur brauchen, die im Bedarfsfall auf eine Transformation der IT vorbereitet ist.

Mit Private Clouds wollen Sie also den Unternehmen eine Alternative zu den oben angesprochenen Outsourcern anbieten.

Chuck Hollis: Richtig.

Private Cloud ist also nur ein anderer Name für das, was einige Ihrer Konkurrenten wie IBM oder Fujitsu als "Dynamic Data Centre" anbieten.

Chuck Hollis: Wenn Sie so wollen, ja. Im Moment ist das Rechenzentrum von der IT beschlagnahmt und es ist äußerst schwierig, dort etwas Neues hineinzubringen. Ein Beispiel: Wenn Sie heute die Anbindung einer externen CRM-Anwendung (Customer Relationship Management) anstreben, werden Ihre Rechenzentrumsleute vermutlich sechs Monate brauchen, um die Anbindung an den Host des Dienstleisters zu realisieren. Flexibilität und Wahlfreiheit im Rechenzentrum sind heute noch immer keine Sache von Tagen, sondern von Monaten oder Jahren – je nach den Modalitäten der Infrastruktur und den Vertragskonditionen, die Outsourcer bieten. Das ist Unsinn. Wir bei EMC glauben, dass Virtualisierung und Private Clouds den Anwendern ganz neue Wahlmöglichkeiten innerhalb kürzester Zeit ermöglichen. Die Architektur der IT muss so aufgebaut werden, dass ihre Module von intern oder extern kommen und jeder Zeit schnell umgepolt werden können.

IT aus verschiedenen Containern

Mit anderen Worten: Mit Private Clouds werden die Rechenzentren von Unternehmen weiter bestehen. Dieser Typ von Clouds wird die bestehenden Rechenzentren lediglich in Richtung „Dynamik“ verändern – egal, welchen Namen man auch immer dafür verwendet.

Chuck Hollis: Richtig. Es geht nicht um Bezeichnungen oder Labels, sondern um Wahlfreiheit für die Kunden. Manche behaupten jetzt, die ganze IT werde sich in Richtung Cloud entwickeln. Das ist Unsinn. Und andere sagen, es wird nie zu Clouds kommen. Das ist genauso Unsinn. Ich glaube, man sollte aufhören, in dem Gegensatzpaar „intern vs. extern“ zu denken. Stattdessen sollten wir den Rechenzentren die richtige Mischung zwischen beiden Extremen ermöglichen. Mir gefällt die Analogie mit Containern: Man will etwas verschicken, packt es in einen Container und muss sich nicht darum kümmern, ob der Container mit einem LKW, einem Zug oder einem Schiff sein Ziel erreicht. Hauptsache, er erreicht sein Ziel – egal, welcher Provider dafür zum Einsatz kommt.

Private Clouds implizieren also keinen Wechsel im Geschäftsmodell von EMC. Ihr Unternehmen macht so weiter wie bisher und liefert Bausteine für die Infrastruktur. Sehe ich das richtig so?

Chuck Hollis: Wir werden unsere traditionellen Produkte liefern, plus eine Reihe von Lösungen für Service Provider und Beratungsunternehmen, die ihnen bei der Architektur von Clouds helfen. Der größte Teil unserer Entwicklungsarbeit ist inzwischen ausgerichtet auf die Zusammenarbeit mit Cisco und VMware. Gemeinsam wollen wir den Umbau der Rechenzentren beschleunigen. Die Landschaft sieht doch im Moment so aus: Hier gibt es die traditionellen Anbieter wie IBM oder HP, auf der anderen Seite einige Cloud-Anbieter wie Amazon oder Google. Zusammen mit einigen Service Providern wollen wir zu diesen herkömmlichen Modellen Alternativen auf den Markt bringen.

EMC will für dieses Projekt sehr eng mit Cisco und der eigenen Tochter VMware zusammenarbeiten. Werden Sie, wie die Gerüchteküche vermeldet, ein gemeinsames Joint Venture aus der Taufe heben, oder wie soll sich die Absichtserklärung materialisieren?

Chuck Hollis: Ich kann dazu überhaupt nichts ankündigen. Ich darf das gar nicht. Aber ich kann doch so viel sagen, dass die drei Unternehmen sehr aggressiv zusammenarbeiten werden, um so aufzutreten wie ein gemeinsames Unternehmen. Einer der Vorteile, die Hersteller wie IBM oder HP den Kunden bieten, ist doch: ein Brand, eine Telefonnummer. Auf der anderen Seite haben wir jetzt drei Unternehmen – EMC, VMware und Cisco. Selbst wenn Anwender unsere Ideen und unsere Technologie lieben, werden sie darauf schauen, wie wir das umsetzen und wie einheitlich wir dabei auftreten werden.

Ihr gemeinsames Projekt wird also traditionelle Produkte aller drei Partner plus einige neue Dinge anbieten. Zu diesen gehört der von Cisco angekündigte Universal Server. Bedeutet das, dass die Anwender die neuen Cloud-Lösungen nur mit diesem Cisco-Server erhalten können, also eine proprietäre Lösung einkaufen?

Chuck Hollis: Wir bieten Schlüsseltechnologien der drei Partner an. Wer etwas anderes will, zum Beispiel Virtualisierung mit Citrix Xen statt VMware oder NetApp- statt EMC-Speicher, der kann das tun. Es gibt diese Angebote auf dem Markt. Was wir mit unserer Kooperation anbieten, sind virtuelle Umgebungen und Private Clouds bereits heute, nicht zu einem späteren Zeitpunkt. Wer etwas anderes will, muss sich an andere Hersteller wenden.

Was das Bündnis mit Cisco bringen soll

Bei Ihnen gibt es also Private Clouds nur mit Produkten der drei Partner? Andere bleiben ausgeschlossen?

Chuck Hollis: Wir bieten unser Ding an, andere mögen etwas anderes auf den Tisch bringen. Wenn Sie so wollen, muss der Kunde diese Bedingung akzeptieren. Wir starten jetzt mit diesem begrenzten Angebot einer voll aufeinander abgestimmten Private Cloud, später mag sich das ändern. Wir sehen es im Moment nicht als unsere Aufgabe an, jeden Server oder jedes Netzteil mit in unsere Lösung einzubeziehen. Wir müssen unsere eigenen Produkte nehmen und vorangehen. Wir wissen natürlich auch, dass VMware Partner wie NetApp, HP oder IBM hat und dass Cisco mit Herstellern wie Microsoft oder Hitachi zusammenarbeitet. Und EMC hat Partnerschaften mit Microsoft oder Brocade.

Was soll dann die Partnerschaft mit Cisco und VMware?

Chuck Hollis: Wir zielen damit auf etwa 10 Prozent der Anwender ab. Es bleibt also genug Platz am Markt für andere Angebote. Es wird jetzt so viel von Virtualisierung gesprochen, aber nur eine Minderheit der Unternehmen beschäftigt sich ernsthaft damit und nützt diese Technologie. Auch hier: Es ist noch sehr viel Luft im Markt.

Das klingt doch sehr nach heiler Welt. Dabei erleben wir zur Zeit einen enormen Konsolidierungsprozess in der IT-Branche. Ihr Projekt mit Cisco und VMware ist doch ein Generalangriff auf IBM und den Mainframe sowie gegen Microsoft und das Windows-Betriebssystem. Beide wollen Sie überflüssig machen. Welche Reaktionen erwarten Sie von dieser Seite?

Chuck Hollis: Das ist sehr interessant. Erstens: In den nächsten drei bis fünf Jahren wird sich das grundlegende Geschäftsmodell der IT-Branche stark verändern. Das wird alles betreffen: Wie die IT-Architektur aussehen wird, wie IT konsumiert wird usw. Das kann man Cloud Computing oder Virtualisierung nennen – die Richtung ist klar. Zweitens: Gleichzeitig erleben wir diesen Konsolidierungsprozess, ähnlich dem, wie wir ihn in der Automobilindustrie schon hinter uns haben. In der IT-Industrie finden wir verschiedene Ansätze für Konsolidierung: IBM hat vor allem in Services investiert, um seine Marktposition zu stärken. HP will wie IBM sein, was spätestens die Akquisition von EDS gezeigt hat. Wer sind dagegen die noch verbliebenen Hersteller, die rein auf Technologie setzen?

NetApp, Brocade …

Chuck Hollis: … EMC, Cisco, VMware. Wenn wir uns ein Ecosystem der größten Technologyplayer vorstellen, die ihrerseits wieder mit Serviceanbietern wie Accenture, Capgemini, Atos Origin, Infosys oder Tata und einigen anderen zusammenarbeiten, dann stoßen wir genau auf das Konzept VCE – VMware, Cisco, EMC. Wobei sich letztlich alles um die Nutzbarmachung von VMware bzw. Virtualisierung für die Rechenzentren dreht. VMware ist der Schlüssel zu allem.