Die Digitalisierung ist hierzulande bekanntlich auch ein Angstthema, das Sorgen um Arbeitsplatzverluste auslöst. Eine Studie von PwC zu Industrie 4.0 argumentiert demgegenüber, dass die Entwicklung für die hiesige Wirtschaft am Ende ein Segen sein dürfte. Der Trend zur digitalen Fabrik stärke den Industriestandort Deutschland, schlussfolgern die Analysten. Der Mensch stehe dabei im Zentrum.
Und überhaupt: "Die Digitalisierung ist eine riesige Chance für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft", sagt Reinhard Geissbauer, bei PwC Leiter Industrie 4.0 EMEA und Geschäftsführer der hauseigenen Strategieberatung Strategy&. "Sie wird sich positiv auf Wohlstand und Lebensstandard auswirken und den Standort Deutschland weiter stärken."
64 Prozent wollen Kapazitäten in Deutschland erhöhen
200 deutsche Industrieunternehmen hat PwC für die Studie "Digital Factories 2020 - Shaping the future of manufacturing" befragt. Es handelt sich also trotz des englischen Studientitels um eine auf die Bundesrepublik fokussierte Untersuchung. Sie zeigt unter anderem als Stütze der positiven Kernaussage eine starke Heimatorientierung der Anwender. Nur 19 Prozent der Befragten nennen Offshoring in Niedriglohnländer als Strategie bei der Auswahl von Produktionsstandorten. 64 Prozent hingegen geben an, ihre Kapazitäten in der Heimat stärken zu wollen. Zwei Fünftel wollen die Kapazitäten in der Nähe ihrer Kunden hochfahren.
Die digitale Fabrik stehe ganz oben auf der Management-Agenda der Industrie, betont PwC. 91 Prozent der Fertigungsunternehmen in Deutschland investierten in die digitale Produktion. "Davon erhoffen sie sich vor allem Effizienzsteigerungen und eine größere Nähe zum Kunden, um flexibler auf die veränderten Anforderungen reagieren zu können", so die Analysten.
Aktueller Stand der Digitalisierung in Deutschland
Klar macht die Studie indes auch, dass der Weg zur komplett digitalen Fabrik für die meisten Unternehmen noch weit ist. Nur 6 Prozent der Befragten vermelden für sich eine komplette Digitalisierung. Immerhin 44 Prozent sagen, dass sie weithin digitale Technologie einsetzen. Diese Fabriken sind partiell integriert und verbunden. 41 Prozent nutzten digitale Technologie lediglich für Stand-Alone-Lösungen.
Ziele der digitalen Transformation
Die Hoffnung auf Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung hegen nahezu alle Unternehmen. Drei Viertel betonen, dass eine digitale Fabrik vor Ort effizienter sei als ein Offshore-Standort. Relativ schwach ausgeprägt sind demgegenüber andere Erwartungen. Nur etwa die Hälfte der Befragten setzen auf Individualisierung und Personalisierung bei der Produktpalette und auf niedrigere Transport- und Logistikkosten durch Regionalisierung.
Ein schneller Erfolg dürfte die digitale Fabrik in der Regel nicht sein. 48 Prozent rechnen damit, dass sich ihre Investitionen erst in fünf Jahren amortisieren, 26 Prozent erwarten einen Return-On-Investment in drei bis vier Jahren. "Nach der anfänglichen Euphorie vor einigen Jahren ist der Realismus zurückgekehrt", sagt Geissbauer. "Unternehmen planen ihre Investitionen sorgfältig, mit gezielten Initiativen und schätzen den ROI eher konservativ ein."
Effizienzsteigerungen um 12 Prozent erwartet
Die erwarteten Gewinne schätzen die Befragten im Durchschnitt sowohl hinsichtlich verbesserter Effizienz als auch beim Ertrag auf 12 Prozent. Von keinerlei Ertragssteigerungen gehen mit 22 Prozent recht viele Unternehmen aus. Besonders ausgeprägt ist mit 37 Prozent die Erwartung einer Effizienzsteigerung um 5 bis 10 Prozent.
Fehlende digitale Kultur und Fachkräftemangel
Die größten Hürden bei der Digitalisierung gibt es offensichtlich auf der Personalseite. 49 Prozent beklagen, dass ihre Mitarbeiter dem digitalen Wandel nicht offen gegenüber stehen. 52 Prozent meinen, dass ihrem Unternehmen eine echte digitale Kultur fehle. Die schlimmste Sorge scheint der Fachkräftemangel zu sein. "81 Prozent haben Schwierigkeiten, ihren Bedarf an qualifiziertem Personal zu decken", so PwC. "Dieses Manko wollen sie vor allem mit hohen Investitionen in die Aus- und Weiterbildung ihrer Belegschaft ausgleichen." Viele Befragte fordern aber auch eine Verankerung von technischem Wissen in der schulischen Bildung.
Von konstanter oder sogar wachsender Belegschaft gehen 56 Prozent der Befragten aus. Erwartungsgemäß steigen dürfte auf Sicht das Qualifikationsniveau in den Betrieben. In den kommenden fünf Jahren steigt laut Studie der Anteil an Mitarbeitern mit Hochschulabschluss in den befragten Unternehmen von 19 auf 24 Prozent, während jener von Mitarbeitern ohne berufliche Qualifikation im gleichen Zeitraum von 21 auf 17 Prozent sinkt.
"Es wäre ein großer Fehler, die Bedeutung des Menschen in der digitalen Fabrik zu unterschätzen", sagt Analyst Geissbauer. "Bei diesem Prozess müssen die Firmen ihre Mitarbeiter eng einbinden und mitnehmen."
Prozesse, Ressourcen und Produkte optimieren mit Data Analytics
Der PwC-Experte betont ferner die Bedeutung von Daten als Treiber der digitalen Fabrik. "Viele Unternehmen setzen Data Analytics bereits ein, um ihre Ressourcen und Prozesse zu optimieren", so Geissbauer. "Die verschiedenen Punkte innerhalb der Fabrik und im gesamten Ökosystem zu verbinden und Informationen intelligent zu nutzen, wird für Unternehmen elementar wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben." 30 Prozent der Befragten nutzen schon heute Datenanalysen, um ihre Prozesse und Produktqualität zu optimieren. 2022 soll der Anteil bei 65 Prozent liegen.
Der technologische Blick auf die digitale Fabrik findet deshalb nur mühsam halt, weil unter dem Begriff eine ganze Reihe an Einzeltechnologien zu subsummieren ist. "Bei den Konzepten steht Predictive Maintenance an erster Stelle", fasst PwC zusammen. 28 Prozent der Befragten planten ihre Wartung bereits heute vorausschauend. In fünf Jahren werde dieser Anteil bei zwei Dritteln liegen. "Bei den digitalen Technologien setzen die Unternehmen vor allem auf vernetzte Sensorik, 3D-Druck, Virtual/Augmented Reality, humanoide Roboter und Künstliche Intelligenz", so die Analysten weiter.
Mit Zahlen unterfüttert bedeutet das für die Schlüsseltechnologien, dass die Nutzungsrate bei vernetzter Sensorik in den kommenden fünf Jahren von 39 auf 64 Prozent steigt. Beim 3-D-Druck geht es von 18 auf 37 Prozent hoch, bei Virtual/Augmented Reality von 13 auf 33 Prozent. Deutlich geringer ist das Niveau bei humanoiden Robotern (von 12 auf 22 Prozent) und bei Künstlicher Intelligenz (von 9 auf 20 Prozent). Nahezu gar keine Rolle spielen für die befragten Anwender Drohnen - und daran sollte sich 2022 kaum etwas geändert haben.
2022 haben 60 Prozent eine digitale Fabrik
Bei Konnektivitätstechnologien und Big Data Analytics gibt es insgesamt einen enormen Verbreitungsanstieg - nicht nur bei der vorausschauenden Wartung. Einen ganz ähnlichen Sprung sieht die Studie bei Big Data-getriebenen Prozessen und der Qualitätsoptimierung. Die durch Daten ermöglichte Ressourcenoptimierung wird bereits heute von 52 Prozent der Befragten genutzt. 2022 sind es voraussichtlich 77 Prozent.
Eine vernetzte Fabrik und integrierte Planung haben heute jeweils rund 30 Prozent der Befragten, in fünf Jahren wird der Anteil um die 60 Prozent liegen. Mehr als zwei Fünftel werden 2022 digitale Zwillinge der ganzen Fabrik und ihrer Produkte nutzen - eine Verdopplung gegenüber dem heutigen Stand.
"Ziel der digitalen Fabrik ist die Fertigung von 'Losgröße 1'"
"Das Ziel der digitalen Fabrik ist die Fertigung von 'Losgröße 1' - das für jeden Kunden zu möglichst niedrigen Kosten maßgeschneiderte Produkt", lautet Geissbauers Fazit. "Dabei bekennen sich die Unternehmen klar zum Standort Deutschland und zur Produktion im Herzen von Europa - denn 93 Prozent der Befragten, die Ausbaupläne für ihre digitalen Fabriken haben, wollen diese Investitionen in den kommenden fünf Jahren zumindest teilweise in Deutschland tätigen."