Die Frachtlogistik war für CIO Christian Ley ein Anreiz zu zeigen, was die IT alles leisten kann. Gebietsspediteure und externe Dienstleister hatten Lieferungen unter Kontrolle, so dass der Automobilzulieferer mit Hauptsitz in Coburg wenig Einfluss auf die Steuerung hatte. Durchgängige Prozesse gab es nicht.
Das änderte sich dann im Lauf dieses Jahres, nachdem die IT ein neues Transport-Management-System entwickelte und im Konzern implementierte. Weil das Fracht-Management nun einmal eng mit den Geschäftsprozessen zusammenhängt, hat es eine kritische Bedeutung für das Business. Also musste das Projekt schnell, aber mit größter Sorgfalt zum Abschluss gebracht werden.
Dass die Entwicklung und Einführung binnen elf Monaten gelang, lag an Mut, Engagement und besten Voraussetzungen. Denn die notwendigen Basisarbeiten der IT waren abgeschlossen, das ERP-System vereinheitlicht, eine HANA-Plattform verfügbar und die Prozesskompetenz in der IT ausgeprägt. "Bei diesem Projekt haben wir gemerkt, wie wichtig es ist, dass unser ERP-System an allen Standorten gleich funktioniert und mit den gleichen Stammdaten arbeitet", sagt der CIO.
Für eine extrem schnelle Umsetzung war es für Ley zudem entscheidend, konsequent auf agile Methoden wie Scrum und Design Thinking zu setzen. Dass ein junger IT-Projektleiter dieses wichtigen Vorhabens schon nach kurzer Zeit im Unternehmen eine große Verantwortung und viel Gestaltungsfreiraum bekam, ist bei Brose keine Seltenheit.
Inzwischen managt Brose mit der Lösung rund 300 Lieferanten in Europa selbst. Ab Januar 2018 will das Unternehmen alle Standorte in der EU versorgen und rund 400 Lieferanten in Eigenregie steuern. Das Ergebnis: Die Kosten pro Frachtauftrag sinken, und Brose kann die Logistik auch in Zukunft komplett eigenständig optimieren.
Für SAP S/4HANA gut vorbereitet
Ende der 1990er Jahre hatte der Hersteller von mechatronischen Systemen für Türen, Sitze und Elektromotoren damit begonnen, SAP konzernweit einzuführen. Die ERP-Lösung ist das Trägerschiff des Unternehmens, darauf läuft fast alles: Produktionssteuerung, Vertrieb, Materialwirtschaft, Einkauf, Qualität, Änderungswesen, Rechnungswesen und HR. Rund 500 Prozesse deckt das System im Konzern ab.
"An allen 60 Standorten weltweit gibt es nur ein SAP-System, wodurch wir wenige Schnittstellen haben und weltweit eine Fachsprache sprechen", sagt Ley. Technologisch ist das System zudem fit: Für die anstehende S/4HANA-Umstellung ließ Ley das System einem Benchmark unterziehen. Das System zeigte Bestnoten und wurde auf Platz eins von 300 Installationen eingestuft.
Aber auch Video- und Telefonsysteme sowie das Windows-Umfeld hat die IT zentralisiert. Gemeinsame Strukturen, Daten und Prozesse laufen innerhalb einer einheitlichen IT-Architektur. "Diese Vereinheitlichung der Systeme war eine Voraussetzung für die Digitalisierung, die nun geschaffen ist", bilanziert Ley.
Jetzt habe Brose ganz neue Möglichkeiten, die Geschwindigkeit zu erhöhen und die Komplexität einzudämmen. Denn auf Basis der einheitlichen Grundlage lassen sich Systeme schneller integrieren. "Wir können eine Prozessänderung weltweit quasi auf Knopfdruck umsetzen", sagt Ley. Dass es funktioniert, habe zuletzt die Einführung des Transport-Management-Systems gezeigt.
SAP kann auch flexibel und agil sein
Doch widerspricht nicht solch ein mächtiges System dem Wunsch, schnell und flexibel agieren zu können? SAP-Systeme stehen ja nicht unbedingt im Ruf, besonders agil zu sein. Für CIO Ley ist das allenfalls ein theoretisches Problem. Es komme darauf an, das Template besonders gut zu durchdenken und zu bauen.
Das zentrale standardisierte System bedürfe allerdings ständig größter Aufmerksamkeit: "Wir brauchen einen maximalen Anspruch an Sorgfalt und Agilität, um kleine Änderungen schnell vornehmen und Ausfallzeiten minimieren zu können."
Darüber hinaus muss das System dem starken Wachstum des Autozulieferers standhalten. Erwirtschaftete Brose Anfang der 90er Jahre einen Umsatz von 400 Millionen Euro, so werden es 2017 voraussichtlich 6,4 Milliarden Euro sein. Bis zum Jahr 2020 sollen die Einnahmen auf acht Milliarden Euro steigen, mit Hilfe von Akquisitionen wären sogar zehn Milliarden Euro möglich, so die Prognosen von Brose.
Die IT-Organisation allein hätte allerdings wohl weder das ERP-System zentralisieren und standardisieren noch das Transport-Management-System so schnell einführen können. "Dafür braucht man Leute, die das Geschäft verstehen", fasst Ley kurz und knapp zusammen. Davon seien die Verantwortlichen schon zum Start des SAP-Projekts überzeugt gewesen. "Wir haben bewusst die stärksten Mitarbeiter zum Thema Prozessorganisation aus den Fachbereichen herausgezogen", blickt der CIO zurück. Diese Leute hätten nicht nur das Geschäft und die Abläufe gekannt, sondern auch die nötige IT-Affinität mitgebracht.
Mitarbeiter wecheseln fließend zwischen Fachbereich zur IT
Einige Fachbereiche waren laut Ley nicht begeistert davon, ihre besten Mitarbeiter für ein solches Projekt abzustellen. Doch schnell habe man gelernt, dass das Unternehmen von einem solchen Schritt profitieren könne. Noch heute arbeiteten einige der ehemaligen Fachbereichsspezialisten in der IT. Andere gingen wieder zurück in ihren Fachbereich, wo sie heute jedoch meistens eine andere Position einnehmen.
Durch die gesammelten Erfahrungen haben sie sich weiterentwickelt, so dass sie nun oft eine globale, verantwortungsvollere Stellung einnehmen. Aktuell kommt ein erheblicher Anteil der Mitarbeiter in der IT-Abteilung aus den Fachbereichen. "Uns ist ziemlich schnell klar geworden, was für ein wichtiges Asset dieser interne Austausch für das Unternehmen ist", hält Ley fest.
Dem pflichtet Thomas Spangler bei: "Wir kommen in Diskussionen viel schneller zum Punkt: Was braucht die Fachseite, und kann die IT liefern? Wir erkennen die Machbarkeit schneller." Als Geschäftsführer Technik und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung verantwortet Spangler in der Brose Gruppe weltweit die Zentralbereiche Entwicklung, Produktion und Qualität sowie Logistik und Werke.
"Für den Geschäftsbetrieb ist IT eine Kernfunktion geworden"
Er sei ein klassischer User, habe nichts mit IT zu tun und besitze auch kein Mitspracherecht bei IT-Entscheidungen. Doch eines sei Spangler klar geworden: "Bei mir hat sich in den vergangenen Jahren die Notwendigkeit ganz tief eingegraben, Prozesse IT-seitig so smart wie möglich umzusetzen." IT sei auch ein zentraler Faktor beim Abwägen von Chancen und Risiken: "Für den Geschäftsbetrieb ist IT eine Kernfunktion geworden." Heute treffen sich Ley und Spangler alle zwei Monate. "Ich will aus erster Hand erfahren, in welcher Richtung der CIO denkt", begründet Spangler. "Die Grenzen zwischen IT und Fachbereichen lösen sich komplett auf."
An anderer Stelle brechen noch mehr Silos auf, wenn sich bei Brose beispielsweise die bisher getrennt voneinander laufenden Bereiche Produktion und Entwicklung immer enger verzahnen. Nach einer organisatorischen Änderung arbeiten jetzt Fertigungsplaner und Produktentwickler Hand in Hand, so dass der Lebenszyklus eines Produkts viel eher beginnt und Erfahrungen aus der Produktion frühzeitig in die Entwicklung einfließen. "In der Serienproduktion kann man in der Branche kaum noch etwas verändern", sagt Spangler. "Aber vor dem Start of Production lässt sich noch sehr viel verbessern."
IT-Organisation angepasst
Die IT-Organisation hat diese Entwicklung längst angenommen. So nahmen im Shopfloor-Bereich die Verbindungspunkte zwischen Produktionssteuerungs-Systemen und Entwicklung, Simulation und Sensorik massiv zu. Deswegen hat Ley vor zwei Jahren seine Organisation angepasst und die von ihm geleitete Produktions-IT an Engineering und Simulation angehängt. "IT-Organisation und IT-Strategie folgen exakt dem, was wir für das Geschäft brauchen", betont Ley. Seitdem gibt es für die Entwicklung und Produktion auf der IT-Seite nur einen dezidierten Ansprechpartner, was die Arbeit für Spangler deutlich vereinfacht.
Verbessert hat sich die Zusammenarbeit auch innerhalb der IT, seit CIO Ley und die IT-Abteilung im März 2016 in den neuen Standort in Bamberg eingezogen sind. Seither sitzt die zuvor verteilte IT zentral an einem Ort zusammen, was die Abläufe deutlich vereinfacht und beschleunigt hat. Im Jahr 2013 hatte Ley den dritten Platz bei der Wahl zum "CIO des Jahres" in der Kategorie Großunternehmen mit dem Projekt "Next Generation Workplace" gewonnen.
Neues Digitalisierungsboard
Nachdem die Zentralisierung abgeschlossen ist und die Organisation angepasst wurde, geht es jetzt mit der weiteren Digitalisierung der Brose Gruppe voran. In einem Digitalisierungsboard treffen sich Führungskräfte aus IT und Fachbereichen, um die geschäftlichen Ziele mit den technologischen Möglichkeiten abzugleichen. Als wichtigste Treiber im Markt hat Brose autonomes Fahren, Elektrifizierung sowie Automatisierung und den Ausbau des China-Geschäfts identifiziert.
In Diskussionen unterzogen die 14 Mitglieder des Digitalisierungsgremiums alle eingebrachten Ideen aus dem Business einem Relevanzcheck und erstellten daraufhin den "Brose Digitalisierungsradar". Der ist wiederum unterteilt in sieben Prozesssektoren wie Einkauf, Entwicklung und Produktion, von denen jeweils mindestens ein Vertreter in dem Board sitzt.
Für jede dieser sieben Kernfunktionen leitete das Board Zielbilder ab, in denen genau beschrieben wird, wie sich Themen wie Supply-Chain-Management oder Collaboration bis zum Jahr 2020 und 2025 entwickeln könnten. Dabei hielten sie auch fest, welche Marktentwicklungen diese Annahmen rechtfertigen.
Anhand dieser Zielbilder entstehen nun Programme und Projekte. Während die IT schaut, ob diese Ziele mit Trends wie IoT, Analytics oder Machine Learning unterstützt werden können, folgen alle potenziellen Projekte auf Seiten der IT den definierten drei Grundthemen: Vernetzen, Automatisieren, Assistieren (im Sinne von Assistenzsysteme nutzen).
Als grundlegendes Kriterium für jedes vorgeschlagene Projekt gilt, welchen Mehrwert es dem Business liefert. Dabei prüft das Board drei Auswirkungen:
1. auf das Geschäftsmodell (Markt, Kunde, Produkt),
2. auf die Prozesseffizienz (Entwicklung, Produktion, Verwaltung),
3. auf die Führung und Zusammenarbeit (Führungsbilder, Fehlerkultur, agile Methoden).
Aktuell umfasst das Programm 86 Digitalisierungsprojekte. Wichtig ist für Technikchef Spangler, dass sich die Digitalisierungsprojekte auf alle sieben Bereiche gleichmäßig verteilen. Es dürfe nicht passieren, dass sich ein Fachbereich mit verspielten Extraprojekten durchsetze, während ein anderer noch mit Karteikarten arbeite. Für die richtige Verteilung sorgt das Board, was auch fast immer gelingt. Sollte es zu keinem Konsens kommen, greift eine strikte Governance, dann wird Top-down entschieden. Diese Governance verhindert auch, dass IT-Projekte vorbei an der zentralen IT umgesetzt werden.
Die Diskussionen im Board können sich bis zu einer Entscheidung durchaus in die Länge ziehen, was aber gut investierte Zeit ist. "Wir stecken oft viel Energie in die Vorbereitung einer Prozessveränderung", erläutert Spangler. "Dafür sind wir anschließend in der Umsetzung deutlich schneller und stringenter." Durch die Standardisierung könne sich die IT in der Umsetzung des Baukastens bedienen, wodurch viel Zeit gewonnen werde. Das Gesamtprojekt dauert deshalb nicht länger als andere Vorhaben, nur gibt es danach nicht mehr so viel zu fixen, weil im Vorfeld schon vieles bedacht und abgewogen wurde.
IT-Häppchen für alle
Damit Geschäftsleiter, Führungskräfte und alle anderen Mitarbeiter sachkundig mitdiskutieren können, brauchen sie Wissen über die IT und Verständnis für die Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung. Deshalb hat CIO Ley begonnen, komplizierte IT-Themen wie "Was ist HANA?" "Was ist Cloud?" oder "Was ist Deep Learning?" in kleinen Häppchen aufbereitet zu präsentieren. Das "Tapas" genannte Programm bietet die IT in drei Formen an: für IT-Anwender als Hilfe zur Einarbeitung in neue Themen, für die breite Masse der Mitarbeiter in Form von Präsenzveranstaltungen und seit Neuestem für die Geschäftsführung.
Damit soll sich bei allen die Beurteilungskompetenz für Technologien erhöhen. Im Konzern sollen alle unter denselben Begriffen auch das Gleiche verstehen. "Wir müssen raus aus der Situation, dass wir über verschiedene Buzzwords mit gefährlichem Halbwissen diskutieren", mahnt Ley.
Nach "dummen" Fragen fallen die Hemmschwellen
Ein "Tapa" dauert 15 Minuten und wird meist virtuell abgehalten, wobei zehn Minuten auf einen Kurzvortrag entfallen und fünf Minuten auf Fragen. Die Tapas sind Pflichtveranstaltungen. "Sonst erreicht man keinen ausgeglichenen und wachsenden Wissensstand", begründet Ley. Sobald jemand eine vermeintlich "dumme" Frage gestellt hat, fallen die Hemmschwellen bei den anderen Mitarbeitern, die dann selbst anfangen zu fragen. "Inzwischen ist IT als Werkzeug für Geschäftsprozesse zum Kernthema geworden, auch in den Köpfen hat sich das verankert", hält Spangler fest.
Das wird auch sehr wichtig sein. Denn die Komplexität von Fahrzeugmodulen und Plattformen für technische Bauteile wird enorm zunehmen. Nachfrageströmungen werden sich schneller verändern, und Märkte dürften sich weiter aufsplitten in Fahrzeuge für autonomes Fahren, Shared-Fahrzeuge, E-Autos oder Verbrenner. Spangler ist sich sicher: "Ohne IT-Werkzeuge werden wir das nicht mehr beherrschen."
CIO Ley sieht dem rapiden digitalen Wandel gut vorbereitet entgegen: Die IT-Infrastruktur ist ausgebaut, die Geschäftsführung ist sich der Bedeutung der IT bewusst, Mitarbeiter können zwischen den Fachbereichen wechseln, und selbst neue junge Leute können Projekte übernehmen, so wie beim Transport-Management. "Das sind ideale Bedingen für einen CIO", sagt Ley.