Digitaler Vierjahresplan

Die Digitalstrategie 2020+ von Henkel

19.06.2017 von Rolf Röwekamp
Agile Startups wollen ein Stück vom Kuchen, neue Handelsplattformen fordern die Logistik, und althergebrachte Marketing-Strategien verfangen nicht mehr – der Konsumgüter- und Klebstoffkonzern Henkel reagiert auf die Herausforderungen mit der Strategie 2020+.
  • Was Henkel mit dem Riesenprojekt "One Global Supply Chain Horizon" erreichen will
  • Wie Robotics bei Massenprozessen zum Tragen kommt
  • Wie in der weltgrößten Klebstofffabrik IoT eingesetzt wird
  • Welche Arbeits- und Workplace-Konzepte intensiviert werden
Kein Chip hält ohne Klebstoffe zusammen: Henkel ist der weltgrößte Klebstoffhersteller, vor allem für die Industrie. Die Sparte erwirtschaftet die Hälfte des Konzernumsatzes.
Foto: Henkel

Wer Weichspüler, Haarspray oder Geschirrspül-Tabs bei Amazon kauft, der ordert meist einzelne Packungen oder kleine Gebinde. Das hat nicht nur auf den Handel, sondern auch auf die großen Konsumgüterhersteller Auswirkungen. Früher reichte es aus, die Produkte palettenweise an die Handelsketten zu liefern, anschließend übernahmen diese die Verteilung auf die Geschäfte. Läuft der Handel aber über E-Commerce-Plattformen, müssen die Hersteller ihre Lieferketten umstellen und die Stückzahlen Internet-fähig anpassen. Wer hier nicht schnell und flexibel die Belieferung mit den richtigen Losgrößen sicherstellen kann, wird in diesem Geschäft keine Rolle spielen.

Im Handel verändert die Digitalisierung für Tradi­tionsunternehmen wie Henkel die Arbeitsabläufe noch an weiteren Stellen. So schieben sich immer mehr Start­ups mit ihren Plattformen als neue Spieler zwischen Lieferanten und Endkunden. Sie stehen im direkten Austausch mit den Verbrauchern und erlangen so unmittelbar Einblick in das Kundenverhalten. Weniger groß sind die Risiken im Klebstoffbereich, wo der Hersteller überwiegend B2B-Geschäfte betreibt.

Das Marketing ändert sich

Auch die Marketing-Kanäle haben sich verändert. Vor allem jüngere Konsumenten sind über TV- oder Zeitschriftenwerbung kaum noch zu erreichen. Deshalb wandert die Werbung auf Webseiten und Social-Angebote, wo andere Gesetze gelten.

Insbesondere im Mode- und Kosmetikbereich spielen Blogger und Video-Blogger, auch Vlogger genannt, als Multiplikatoren eine wichtige Rolle. Oft sind sie richtige Stars mit Abertausenden von Fans oder Followern. Ihr Wort beeinflusst Kaufentscheidungen, weshalb Marketiers sie nicht ohne Grund als Influencer bezeichnen.

Die Henkel Digitalstrategie 2020+

Diese Entwicklungen hat das Familienunternehmen Henkel im Herbst 2016 mit einer neuen Strategie für die kommenden vier Jahre aufgegriffen. "Henkel 2020+" beinhaltet vier grundsätzliche Prioritäten: Wachstum vorantreiben, Digitalisierung beschleunigen, Agilität steigern und in Wachstum investieren. Das Pluszeichen soll zum Ausdruck bringen, dass diese strategischen Schwerpunkte auch weit über das Jahr 2020 hinaus Bedeutung haben werden.

Die Top CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

Hinter dem strategischen Schwerpunkt "Wachstum vorantreiben" steckt der Gedanke, näher an die Kunden heranzurücken, also die Customer Journey zu verbessern. Außerdem sollen neue digitale Technologien und Ser­vices das Geschäft vorantreiben. Mit dem Aspekt "in Wachstum investieren" ist unter anderem gemeint, die globale Supply Chain weiter auszubauen, um schneller und effizienter zu werden. Auf diese Weise sollen finanzielle Mittel für weiteres Wachstum freigesetzt werden.

Organisation umgebaut

Einen ersten wichtigen organisatorischen Grundstein legte Henkel vor vier Jahren, als der Konzern seine Shared Service Centers (SSCs) mit der IT-Organisation zu der Einheit Integrated Business Solutions (IBS) zusammenlegte. "Mit der IBS-Einheit haben wir das Prozesswissen und das IT-Know-how enger zusammengebracht", begründet Joachim Jäckle den Schritt. Seit der IBS-Gründung 2013 leitet Jäckle diesen Bereich, einen dezidierten CIO-Posten gibt es seitdem nicht mehr.

Prozesse weltweit vereinheitlichen

"Wir wollten unsere Prozesse konzernweit so einheitlich machen wie möglich", fügt der gelernte Volkswirt hinzu, der seine berufliche Laufbahn bei Henkel 1991 als Controller begann und anschließend diverse Posi­tionen im Finanzbereich bekleidete. "Dazu gehört auch, so viele Dinge wie möglich physisch in den Shared Service Centers zu bündeln." Weltweit betreibt Henkel sechs davon und beschäftigt dort insgesamt rund 3500 Mitarbeiter für den Bereich Finanzen, Business und IT.

Konzernweite Abläufe sind beispielsweise die Buchhaltungsprozesse Source-to-Pay (der Weg vom Lieferanten bis zur Zahlung) und Order-to-Cash (von der Kundenbestellung bis zum Zahlungseingang des Kunden und Verbuchung), die bereits in den SSCs gebündelt wurden. "Das sind große Massentransaktionsprozesse, die viel Potenzial für eine weitere Automatisierung bieten", erklärt Jäckle.

Robotics ist ein großes Thema

Tatsächlich ist Automatisierung ein weiterer Bestandteil der Konzernstrategie. Wo eine Systemautomatisierung sich nicht sofort umsetzen lässt, lassen sich inzwischen auch Aktivitäten an der Benutzeroberfläche automatisieren, ohne dass dafür aufwendig ins SAP-System eingegriffen werden muss. "Wenn wir diese Abläufe weiter zusammenbringen, dann können wir auch größere Prozessschritte automatisieren und verein­fachen", sagt Jäckle.

Bei Source-to-Pay und Order-to-Cash geschieht das schon im kleinen Rahmen, was nun weiter ausgebaut werden soll. Konkret hat Henkel beispielsweise im Bereich Order-to-Cash das Abgleichen und Korrigieren von Daten zwischen unterschiedlichen Applikationen bis hin zur Freigabe der Buchungen anhand festgelegter Regeln automatisiert. Das erfordert allerdings zunächst einmal viel Erfahrung und Fachwissen. Jäckle: "Diese Projekte laufen bei uns unter dem Stichwort Robotics, das ist ein großes Thema."

Auch in der Waschmittelherstellung sammelt IoT-Software Produktionsdaten, mit denen Analysen betrieben werden können.
Foto: Henkel

Supply Chain global vereinheitlicht

Je mehr Abläufe unternehmensweit vereinheitlicht und automatisiert werden, desto schneller kann Henkel am Markt agieren. Daher begann das Unternehmen 2015 mit der Einführung einer globalen Supply-Chain-Organisation. Unter der Bezeichnung "One!GSC Horizon" (One Global Supply Chain) konsolidierte Henkel die weltweiten SAP-Systeme und vereinheitlichte die Supply-Chain-Prozesse über alle drei Geschäftsbereiche hinweg. "Wir haben jetzt ein einheit­liches SAP-Template für die Supply-Chain-Prozesse", bilanziert Jäckle.

Ohne die Konsolidierung von Prozess- und IT-Verantwortung in der IBS wäre diese Standardisierung kaum möglich gewesen. Sie hat dazu geführt, dass sich alle Einheiten ständig austauschen und in gemeinsamen Gremien ihre Entscheidungen treffen. Saßen bislang die SCM-Steuerungseinheiten getrennt in ihren Geschäftsbereichen und kommunizierten wenig miteinander, so lenken sie heute die Supply Chain gemeinsam von zwei Hubs in Amsterdam und Singapur aus.

Foto: cio.de

In Europa läuft One!GSC mittlerweile, noch in diesem Jahr soll Nordamerika auf die Plattform migrieren. Erste Ergebnisse überzeugen: So konnte die Lagerhaltung effizienter gestaltet und die Einhaltung der SLAs gegenüber den Kunden deutlich verbessert werden.

Die grundsätzlichen Anforderungen an eine Supply Chain ändern sich durch die Digitalisierung allerdings erst einmal nicht: Es geht darum, die richtigen Waren in optimaler Qualität zum passenden Zeitpunkt in der vereinbarten Menge zum Kunden zu bringen. Wenn Lager und Regale beim Händler leer stehen, bedeutet das auch für den Lieferanten erheblichen Schaden.

Neue Anforderungen an die Lieferkette

Der boomende E-Commerce stellt weitere Herausforderungen an die Lieferkette: So werden die Liefereinheiten kleiner, und die Geschwindigkeit, in der geliefert werden soll, erhöht sich. Der Handel entwickelt sich immer stärker zu einem Realtime-Business, in dem der Kunde durch seine Bestellungen über Online-Plattformen die Lieferkette bis hin zur Produktion bestimmt. Deshalb sind schnelle, agile Prozesse gefragt, die am ehesten eine einheitliche Supply Chain liefern kann. "Heute arbeiten wir alle mit einer Methode, einem Template und einem Prozess. Darauf lassen sich weitere Automatisierungen aufsetzen", berichtet Jäckle.

Die Customer Journey begleiten

Um schneller liefern zu können, wäre es wichtig, möglichst früh viel über die Bedürfnisse und das Kaufverhalten der Endkunden zu erfahren. Doch anders als ein Auto- oder Hausgerätehersteller kann Henkel keine Chips oder Sensoren in Shampoo oder Waschmittel integrieren, um so Signale über Zustand und Verwendung einzufangen. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, mit Herstellern von Badezimmermöbeln zusammenzuarbeiten. Beispielsweise gibt es erste Spiegelschränke, die mit Hilfe eingebauter Sensoren erkennen, welche Produkte der Kunde mit welchem Füllstand bevorratet.

Wollte Henkel diesen Weg gehen, müssten Verträge mit den Möbelproduzenten und auch mit den Kunden her, die entsprechende Produkte kaufen sollen. Das Ganze ist noch unausgereift. "Dafür existieren noch keine Routinen und technischen Standards", sagt Jäckle. "Es gibt bisher nur Einzellösungen."

Joachim Jäckle Corporate SVP, Henkel: „Heute arbeiten wir alle mit einer Methode, einem Template und einem Prozess. Darauf lassen sich weitere Automatisierungen aufsetzen.“
Foto: Henkel

An einer solchen Einzellösung arbeitet Henkel zum Beispiel im Zusammenhang mit Waschmaschinen: Endkunden können beispielsweise über Buttons, die an der Maschine angebracht sind, auf Knopfdruck Waschmittel nachbestellen, der Online-Händler liefert. Hier stellt sich dann wieder die Herausforderung, dass die Produktmengen sehr kleinteilig werden.

Auch gibt es wenig Sinn, Endkunden verschiedene Buttons für Waschmittel und Entkalker anzubieten. Hier kommen produktunabhängige Startups ins Spiel, die digitale Einkaufslisten anbieten und Konsumenten am Ende komplette Einkaufskörbe nach Hause liefern. So kompliziert sich digitale Einzelbestellungen auch gestalten mögen, so klar ist, dass die Kunden solche oder ähnliche Services wünschen. Henkel hat sich deshalb in seiner Strategie 2020+ vorgenommen, vom Produkt- zum Serviceanbieter zu mutieren und Gesamt­lösungen anzubieten.

IoT-Software für Automatisierung

Auf eine ganz andere Reise mit schon konkreten Resultaten hat sich Henkel mit seiner Dragon Plant in Shanghai begeben. Ende 2013 eröffnete der Konzern auf einem 15.000 Quadratmeter großen Gelände die weltweit größte Klebstofffabrik, in der jährlich bis zu 428.000 Tonnen Klebstoffe produziert werden können. Henkel produziert unter anderem industrielle Kleber etwa für die Auto- oder die Chipindustrie.

In allen Maschinen und im Manufacturing Execution System (MES) stecken Sensoren, die beispielsweise Temperaturen messen oder den Durchfluss von Flüssigkeiten und Klebstoffen durch verschiedene Leitungen. Früher erfolgten solche Messungen nur in Stichproben durch die Qualitätsabteilungen. Heute ermöglichen die Sensoren eine kontinuierliche Überwachung. "An manchen Stellen erheben wir 200 Daten pro Sekunde pro Maschine", erläutert Jäckle.

IoT automatisiert sehr viele Prozesse in der weltweit größten Klebstofffabrik Dragon Plant in Shanghai.
Foto: Henkel

Die Daten aus den Produktionsprozessen sammelt die IoT-Software (Internet of Things) eines indischen Startups. "Mit diesen gewaltigen Datenmengen können wir Analysen fahren, die in der Vergangenheit nicht möglich waren", so Jäckle. So lasse sich früh erkennen, ob ein Produkt erfolgreich hergestellt werden kann oder ob schon am Anfang eines Herstellungsvorgangs die Konsistenz eines Rohstoffs nicht in Ordnung sei. Auch Predictive-Maintenance-Anwendungen laufen in einzelnen Bereichen.

Die exakte Messung möglichst aller Produktionsparameter führt dazu, dass der Ausschuss sinkt. Die Mitarbeiter müssen weniger nacharbeiten und produzieren effizienter. Durch die Automatisierung sind viele Produktionsanlagen mit Steuerungskonsolen ausgestattet worden. Die Dragon Plant kommt im Vergleich zu anderen Standorten mit weniger Personal aus. Jäckle: "Die Produktivität ist deutlich höher als in herkömmlichen Fabriken."

Jäckle sitzt jetzt im Open Space

Um schneller und agiler zu werden, müssen sich auch die Arbeitsweisen ändern und mit ihnen die Organisation. Jäckle legt Wert auf ein homogenes Team und hält nichts von der oft propagierten IT der zwei Geschwindigkeiten. Umso mehr kann er modernen Workplace-Konzepten abgewinnen: So hat die IBS gerade eine Open-Space-Umgebung ohne trennende Wände eingeführt, die die Zusammenarbeit im eigenen Bereich intensiviert. "Ich habe kein eigenes Büro mehr" sagt Jäckle, und räumt ein, dass dies auf seiner Führungsebene ziemlich einzigartig sei.

Die Mitarbeiter nutzen Skype for Business und Office 365 aus der Cloud, Festnetztelefone wurden abgeschafft. Außerdem lernen in der IBS nach und nach alle IT-Mitarbeiter agile Projekt-Management-Methoden und werden mit Design Thinking vertraut gemacht.

IBS hat eine Open-Space-Umgebung eingeführt. In informellen Areas können Meetings auch mit Hilfe von Robots abgehalten werden, über die Mitarbeiter zugeschaltet werden.
Foto: Henkel

Gemeinsam arbeiten Fachbereiche und IT in Projekten mit dem innovativen Problemlösungsansatz, so dass überall im Konzern "Inseln" entstehen, von denen aus sich agile Arbeitsweisen langsam, aber sicher flächen­deckend im Konzern ausbreiten sollen.

Smart Simplicity

Zu mehr Agilität soll auch der Punkt "Smart Simplicity" in der Strategie 2020+ verhelfen. Über die Zeit haben sich im Konzern zwangsläufig auch komplexe Abläufe eingeschliffen. Deswegen wird bei neuen Projekten jetzt immer gezielt nachgefragt, ob alle Genehmigungen, Berichtswege und Reportings wirklich sinnvoll und notwendig sind.

Künftige zentrale Themen

Den digitalen Kulturwandel hält Jäckle für eines der beherrschenden Themen in den kommenden Jahren. Daneben zählen zu den zentralen Vorhaben viele Projekte in den Bereichen Supply Chain, IoT und Analytics. Was sich hier als der jeweils richtige Weg erweisen wird, kann heute niemand mit Gewissheit sagen, darüber ist sich der IBS-Chef im Klaren: "Die strategisch größte Herausforderung ist, sich möglichst viele Optionen offenzuhalten und sich nicht zu früh auf einzelne Vorgehensweisen festzulegen."