Nach Scheitern der E-Rechnung

Die E-Signatur war Unsinn

06.09.2011 von Johannes Klostermeier
Die Gleichstellung der digitalen Rechnung mit der Papierrechnung ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Über die Folgen spricht Martin Bartonitz von Saperion im Interview mit unserer Schwesterpublikation CIO.
Martin Bartonitz, Produktmanager bei Saperion, hält gar nichts von der digitalen Signatur bei elektronischen Rechnungen.

Martin Bartonitz, Produktmanager beim ECM-Anbieter Saperion, hat eine klare Meinung zu dem Hin und Her um das Gesetz: „Leider ist wieder einmal eine sinnvolle, weil kostensparende Gesetzesänderung im Parteiengezerre verzögert worden. Am ärgerlichsten stellt sich die Situation für Unternehmen dar, die im Vertrauen auf die Annahme durch den Bundestag bereits Rechnungen ohne qualifizierte digitale Signatur angenommen haben. Sie müssen jetzt darauf vertrauen, dass das Gesetz noch rückwirkend in Kraft tritt. Für sie wäre es ein Desaster, wenn sich die Steuerprüfung für diese Rechnungen die Vorsteuer zurückholt. Im Sinne unserer Volkswirtschaft bleibt zu hoffen, dass bald eine Lösung gefunden wird.“

Vor allem Technologie-Lieferanten haben profitiert

CIO.de: Warum gab es denn bislang den Zwang zur qualifizierten Signatur beim Versand von elektronischen Rechnungen?

Martin Bartonitz: Wenn ich mir den Verlauf über die vergangenen acht Jahr anschaue, dann waren es besonders die Technologielieferanten, die davon profitierten. Vor allem die Smartcard-Anbieter und die sieben großen Anbieter, die die Public-Key-Infrastruktur dahinter aufgebaut haben. Sie sind auch heute noch in der TeleTrusT organisiert. Ich habe bisher niemanden gefunden, der mir für den elektronischen Rechnungsaustausch den Mehrwert der qualifizierten Signatur gegenüber der Papierrechnung erklären konnte.

Zum einen soll ja die Nachweisbarkeit der Integrität seit dem Zeitpunkt des Signierens sichergestellt werden. Das heißt, das Dokument, das ich hier habe, ist genau das, was zum Zeitpunkt des Signierens vorlag. Nur was nützt mir das, wenn jemand diese Rechnung selbst fingieren wollte?

Wenn ich eine solche Rechnung bekomme, werde ich also genau das Gleiche machen, was ich mit der Papierrechnung mache. Ich prüfe zuerst die formalen Anforderungen an die Rechnung gemäß Umsatzsteuergesetz. Danach interessiert mich, ob mir diese Summe überhaupt in Rechnung gestellt werden durfte. Habe ich die Leistung oder das Produkt erhalten? Und da hilft mir auch die Signatur nicht weiter.

Die wichtigen Fragen beantworte die Signatur bei Rechnungen gar nicht.
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Zum anderen: Die Signatur zeigt mir die Authentizität, also wer die Rechnung signiert hat. Doch eine Antwort auf die Frage, ob derjenige denn überhaupt die Rechnung stellen durfte, gibt sie mir nicht. Der Empfänger muss also immer selbst prüfen: Durfte dieser Absender mir diese Rechnung schicken, habe ich von ihm auch die Leistung oder die Ware erhalten? Pragmatisch gesehen muss das gleichgestellt werden. Auch der Steuerprüfer wird sich eher auf die Rechnungsdaten im Vergleich von Dokument und Datenverarbeitung verlassen.

Den Preis für unnötige Technologie zahlt der Verbraucher

Wir müssen weg von der teuren Technik mit der elektronischen Signatur, für die man Gerätschaften und Software kaufen muss. Das ist ein volkswirtschaftlicher Schaden, der da entsteht. Denn den Preis für diese unnötige Technologie zahlt letztlich der Verbraucher.

CIO.de: Wie kam es denn zu der Regelung, die bisher galt?

Martin Bartonitz: Es handelt sich um erfolgreichen Lobbyismus. Technologielieferanten mit einer komplizierten Technologie haben Sicherheiten versprochen. Die andere Seite, die das interpretieren sollte, die hatte davon keinen blassen Schimmer, weil sie die Technologie nicht verstanden hat. Die sagte sich: Die Anbieter werden das schon wissen.

Die Technologie ist ja auch hervorragend, aber sie sollte dann bitte in den richtigen Anwendungsfällen eingesetzt werden. Etwa wenn zwei Personen einen Vertrag miteinander schließen, so wie sie es mit einer Unterschrift machen. Oder wenn ein Antrag gestellt wird. Aber doch nicht bei einer Rechnung, bei der ich etwa im Falle maschinell erstellter Rechnungen gar keine Unterschrift brauche.

CIO.de: Ist jetzt die Gegenlobby erstarkt?

Martin Bartonitz: Es gab jetzt wohl genügend Gegenstimmen, insbesondere auf der hohen europäischen Ebene. In den EU-Gremien hat man wohl inzwischen erkannt, dass dort mit Kanonen auf Spatzen geschossen wurde.

Andere Länder sind noch weiter über das Ziel hinaus geschossen

CIO.de: War das EU-weit so Usus oder nur bei uns?

Martin Bartonitz: Es gab sogar ein paar Länder wie Spanien und Italien, die noch weiter geschossen haben. Die haben gesagt, wir wollen auch noch einen qualifizierten Zeitstempel haben. Der „Zeitpunkt“ ist gerade für den Steuerprüfer gar nicht so unwichtig. Die andere Absicherung ist dagegen überflüssig, weil wie erwähnt jedes Unternehmen seine internen Prüfungen durchführen wird, bevor es irgendetwas zahlt – sowohl bei der Papier- als auch bei der elektronischen Rechnung.

CIO.de: War das Problem nicht auch, dass sich die elektronische Signatur nicht so schnell verbreitet hat wie gedacht?

Martin Bartonitz: Ja, bei entsprechender Verbreitung einhergehend mit günstigeren Preisen und einfacheren Verfahren hätte man vielleicht das Gesetz nicht geändert. Aber auch wenn die Software und die Signaturkarten kostenfrei gewesen wären, muss der Aufwand für den Betrieb aufgebracht werden. Es gibt also immer auch interne Aufwände der IT, aber eben keinen wirklichen Mehrwert dafür. Wenn ich keinen Mehrwert habe, warum soll ich es denn dann machen? Im Bereich der ELENA-Verfahren oder der Gesundheitskarte passt das Verfahren ganz gut. Da möchte ich aber auch sicherstellen, dass genau die Person, die es betrifft, mir bestätigt, dass es ihre Daten sind.

Einsparungen im Milliardenbereich möglich

CIO.de: Wie hoch sind die eingesparten Kosten, wenn das Verfahren jetzt tatsächlich wegfallen würde?

18 Milliarden Euro jährlich europaweit mögliche Einsparungen durch E-Rechnungen?
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Martin Bartonitz: 18 Milliarden Euro jährlich europaweit sind an Einsparungen möglich. In Deutschland liegt der Betrag auch im Milliardenbereich. Fünf Prozent des Gesamtvolumens an Rechnungen betrug das Volumen auf elektronischem Weg bisher. Mit der Änderung wird fast jeder seine Rechnungen elektronisch verschicken, denn er müsste ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er dann noch einmal Porto dafür bezahlen würde.

Die Rechnung liegt ja in der Regel schon elektronisch vor. Das Ausdrucken, Kuvertieren und Frankieren kann ich mir sparen. Die Rechnung kommt am besten gleich mit lesbaren Rechnungsdaten, die man dann ins System einlesen kann. Da rechnet man mit einer Einsparung von 80 Prozent der Gesamtprozesskosten vom Absender zum Empfänger. Diese Zahlen fußen auf einer EU-Studie Ende des letzten Milleniums.

CIO.de: Ist das eine Gefahr für E-Postbrief und De-Mail?

Martin Bartonitz: Ich glaube, dass es eine große Motivation von De-Mail und E-Postbrief war, den elektronischen Rechnungsverkehr mitbetreuen zu dürfen. Dieses Geschäftsfeld bricht dann weg, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass nach wie vor das Wichtigste des Verfahrens die interne Prüfung der Rechnungsdaten ist – und nicht der Rest drum herum.

Bei E-Postbrief und De-Mail bricht dann einiges weg

Da bricht einiges weg. Es macht ja bei einer Rechnung auch keinen Sinn nachzuweisen, ob sie versandt worden ist. Wenn ich meine Zahlung nicht bekomme, schicke ich irgendwann eine Mahnung hinterher. De-Mail und E-Postbrief kosten Geld, ich kann Rechnungen auch selber kostenlos per E-Mail verschicken. Einen Mehrwert hätte ich dann, wenn mir De-Mail und E-Postbrief ein elektronisches Archiv zur Verfügung stellen.

Denn was nicht richtig sauber bedacht worden ist, ist die Aufbewahrung. Ich muss die elektronische Rechnung im Originalformat aufbewahren. Dazu braucht der Empfänger ein GoBS-konformes elektronisches Aufbewahrungsverfahren (Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme). Das ist schon ein Aufwand, mit dem kleinere Firmen überfordert sind. Ich hätte es so gehandhabt: Druckt es aus und heftet es in den Papierorder ein. Ich bin gespannt, ob seitens des Gesetzgebers noch eine solche Empfehlung kommt.

CIO.de: Kann der Empfänger es nicht einfach ausdrucken und dann behaupten, es sei per Post gekommen?

Martin Bartonitz: Das geht, wenn sie als Absender kleinere Firmen haben. Diese Dokumente kennt kaum ein Prüfer. Wenn es aber Dokumente der großen Firmen wie etwa der Telekom sind, dann weiß der Prüfer sehr wohl, dass diese elektronisch eingegangen sind.

CIO.de: Das Gesetz ist jetzt erst einmal im Bundesrat gescheitert. Was bedeutet das konkret?

Martin Bartonitz: Ich meine, dass diese Regelung kommen muss. Ich weiß aber nicht genau, wie lange die Verzögerung dauern darf, damit sie noch rückwirkend in Kraft treten kann. Diejenigen Firmen, die mit der elektronischen Rechnung ohne Signatur schon angefangen haben, befinden sich in einer Grauzone. Ich meine aber, man soll doch die Kirche im Dorf lassen. Da bin ich Pragmatiker und sage: Liebe Steuerprüfer, akzeptiert es doch so, wie es gewesen ist. Ich kenne aber auch die unabhängigen Richter. Da kann dann durchaus ein pingeliger dabei sein, der entscheidet, dass das Finanzamt durchaus im Recht ist, wenn es dann die Vorsteuer zurückverlangt.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.