Der CIO am Scheideweg

Die Enterprise-IT muss sich zur digitalen Fabrik wandeln

10.06.2015 von René Büst
Mit dem fortschreitenden Einzug der digitalen Transformation und dem Aufkommen neuer Megatrends wie dem Internet of Things (IoT), steht der CIO nun endgültig vor dem Scheideweg. Konnten Aussagen wie „die IT ist der Business-Enabler“ in der Vergangenheit noch mit einem genervten Lächeln als "eine dieser Phrasen" ignoriert werden, hat die Realität mittlerweile jeden IT-Lenker auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Keine Frage, die Stelle des CIOs ist nach wie vor von zentraler Bedeutung. Allerdings steht er nun vor der Herausforderung, die Enterprise-IT als Dienstleister für seine internen Kunden zu verstehen, um es dem Unternehmen damit zu ermöglichen, die externen Kunden mit neuen digitalen und hybriden Produkten zu erreichen. Dies funktioniert nur, wenn er das "Digitale Unternehmen" als Ganzes betrachtet, und seine Enterprise-IT als "Digitale Fabrik" umstrukturiert.

Vom IT-Lenker zum Leiter einer digitalen Fabrik. Die Stellenbeschreibung des CIOs ändert sich mit der Digitalisierung.
Foto: Creativa Images_shutterstock.com

Dinge am Laufen halten war Gestern

Im Laufe der letzten drei Dekaden haben IT-Abteilungen weltweit Unmengen an IT-Systemen entwickelt, eingeführt, aktualisiert und abgelöst. Sie haben ihr Unternehmen förmlich digitalisiert, indem sie ERP- und CRM-Systeme, File-Server, Office-Lösungen und selbstentwickelte Applikationen eingeführt und am Laufen gehalten haben. Ein anderer Stellenwert wurde ihnen bis heute nicht zugesprochen. Die IT-Abteilung war schlichtweg die Instandhaltung für den IT-Maschinenraum, mit dem sich kein anderer Kollege beschäftigen wollte oder besser gesagt beschäftigen konnte.

Heute ist plötzlich alles anders. Mit dem Aufkommen der "Consumerization of IT" und dem immer einfacher werdenden Zugriff auf IT-Ressourcen, kann mittlerweile jeder Mitarbeiter ein iPhone oder eine SaaS-Applikation bedienen. Schlimmer noch, plötzlich schreien alle nach der digitalen Transformation. Dies stößt in den meisten IT-Abteilungen auf Unverständnis. Digital transformieren? Schließlich wurden digitale Systeme in den letzten 30 Jahren eingeführt und unter eigener Kontrolle am Laufen gehalten. Der Begriff "Digitale Transformation" ist in der Tat ein wenig irreführend, insbesondere dann, wenn man selbst seit Jahrzehnten in der IT beschäftigt ist und in der Zeit sämtliche Entwicklungen miterlebt hat.

Die Digitale Transformation beschreibt den fundamentalen Wandel von Unternehmen hin zu einer vollständig vernetzten digitalen Organisation. Auf Basis von neuen Technologien und Applikationen werden hierbei immer mehr Prozesse und Prozesselemente umgestaltet und an Anforderungen wie Echtzeit und Vernetzung der digitalen Ökonomie angepasst. Es geht dabei also um die enge Verzahnung ganzer Prozess- und Lieferketten innerhalb des Unternehmens, sowie mit Partnern, Lieferanten und Kunden.

Schlussendlich geht es aber auch um eine engere Kundenbeziehung und ein optimiertes Kundenverständnis, über die Gestaltung und das Angebot einer besseren und vor allem dem Kunden angemessenen Customer Experience. Die Digitale Transformation beeinflusst somit die Kunden- und Geschäftsbeziehungen und verändert beziehungsweise bringt neue Wertschöpfungsketten hervor. Unter diesem Einfluss haben Unternehmen die Chance neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Für die IT-Abteilung geht es also mittlerweile um viel mehr, als nur den Status Quo zu erhalten und einfach nur die Dinge am Laufen zu halten. Die IT muss sich als strategischer Partner und Business Enabler verstehen und eng mit den unterschiedlichen Fachabteilungen zusammenarbeiten, um deren Bedürfnisse und Anforderungen zu verstehen. Insbesondere im digitalen Zeitalter und während der digitalen Transformation kann dies für ein Unternehmen zu einem strategischen Wettbewerbsvorteil werden.

Dieses Stimmungsbild zeichnet sich ebenfalls unter den deutschen Unternehmen ab. Ergebnisse der Crisp Research "Digital Business Readiness" Studie haben gezeigt, dass ein Großteil der befragten Unternehmen die eigene IT-Abteilung als Strategen (34 Prozent) beziehungsweise Ideengeber (21 Prozent) im Rahmen ihrer digitalen Transformation sehen.

Rolle der IT bei der Digitalisierung
Foto: Crisp Research AG

Die Erwartungen an die IT-Abteilung sind dementsprechend hoch, was noch einmal dadurch verstärkt wird, dass mehr als die Hälfte der Befragten (58 Prozent) die Digitale Transformation als ein IT-Paradigma verstehen. Damit stehen die IT-Abteilung und der CIO unter Zugzwang, als Enabler und Ideengeber für digitale Prozesse und Arbeitsweisen in den anderen Unternehmensbereichen aufzutreten. Das aus gutem Grund. Hidden Champions, gar Weltmarktführer finden sich in vielen Branchen der deutschen Wirtschaft wieder. Jedoch ist es notwendig, dass genau diese Unternehmen sich dem digitalen Wandel besonders intensiv widmen, um ihre Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit in Zukunft zu erhalten oder diese im Idealfall sogar zu stärken.

Das Internet of Things und das Industrial Internet stehen sinnbildlich für die Digitalisierung sämtlicher Branchen. Neue smarte Produkte werden entwickelt oder existierende "analoge" Geräte werden mit Sensoren ausgestattet und damit "smart" erweitert und in die digitale Wertschöpfungskette aufgenommen. Mit ihren klassischen Organisationsformen und den technischen IT-Strukturen ist heutzutage keine IT-Abteilung mehr in der Lage diesen Wandel mitzugehen und zeitgerecht und innovativ auf die Anforderungen aus den Fachabteilungen zu reagieren und den Kunden damit proaktiv neue Produkte und Lösungen zu bieten. Die digitale Transformation erfordert auch ein Umdenken und einen radikalen Wandel innerhalb der IT-Abteilungen. Ein Schritt dieser Transformation ist die Veränderung der Enterprise-IT hin zu einer "digitalen Fabrik".

Aufbau einer sogenannten Digital factory
Foto: Crisp Research AG

Von der Enterprise-IT zur digitalen Fabrik

Mit dem reinen Aufbau und Betrieb der IT-Umgebungen in Form von Standard-Applikationen und den dafür notwendigen Plattformen und Infrastrukturen schaffen CIOs für ihr Unternehmen keinen direkten Mehrwert. In diesem Fall sind sie lediglich die unterstützende Kraft im Hintergrund, ohne Einfluss auf das Geschäftsmodell respektive den Geschäftserfolg zu haben.

Diejenigen CIOs, die mit selbstentwickelten Applikationen in der Vergangenheit bereits aktiv am Unternehmenserfolg teilgenommen haben, gehören zu den innovativen Köpfen ihrer Zunft, müssen ihre Ansätze aber dennoch überdenken. Denn Applikationen und andere IT-Lösungen wurden in der Vergangenheit vollständig auf statische Prozesse ausgerichtet. Die heutigen Kundenerwartungen, neue Geschäftsmodelle sowie Lösungen für das Internet of Things verfolgen ein dynamisches Verhalten - quasi in Echtzeit - und müssen entsprechend in sämtlichen Prozessen und der User Experience berücksichtigt werden.

Um diese Herausforderungen auf technischer Seite zu stemmen, sollten IT-Abteilungen aus ihrem Silo-Denken herauskommen und sich zu einer unternehmenseigenen digitalen Fabrik, der "Digital Factory", transformieren.

Im Zentrum der Digital Factory befindet sich eine Cloud-basierte IT-Umgebung, die anhand von Infrastructure-as-a-Services (IaaS) und/ oder Platform-as-a-Services (PaaS) das "digitale Kraftwerk" der Fabrik darstellt. Das Kraftwerk beherbergt eine "Application Platform", auf der die Anwendungen entwickelt und betrieben werden, sowie eine "Analytics Engine" zur Auswertung und Aufbereitung von Daten. Die daraus resultierenden Informationen stehen den Anwendungen auf der Application Platform zur Verfügung.

IaaS-, SaaS- und Managed-Cloud-Angebote
Deutsche Business-Cloud-Portale punkten mit Sicherheit
Die Datenskandale der letzten Zeit haben die Vorbehalte gegen die Cloud in mittelständischen Unternehmen eher verstärkt als verringert. Dem wollen deutsche Cloud-Provider entgegentreten. Sie punkten mit sicheren lokalen Rechenzentren ohne Abhörrisiko und Infrastrukturdiensten speziell für kleinere und mittelständische Betriebe.
CenterDevice
Das im Mai 2011 in Bonn gegründete Unternehmen CenterDevice GmbH stellt seinen Nutzern Cloud-Speicher zusammen mit Werkzeugen zur Online-Zusammenarbeit zur Verfügung, ist also kein reiner IaaS-Anbieter. Der Service unter dem Namen "Find & Share" ermöglicht das Auffinden und Teilen von Daten und Dokumenten, deren Bearbeitung sowie Präsentation aus dem Browser heraus.
Janz MittelstandsCloud
Janz IT legt mit seiner MittelstandsCloud Wert auf die regionale Verankerung. Das Paderborner Systemhaus betreibt ein eigenes Rechenzentrum auf eigenem Grund und wirbt mit Datenschutz und Verträgen nach deutschem Recht.
Lufthansa Systems CloudLounge
Die Lufthansa und Public-Cloud-Angebote? Klingt seltsam, stimmt aber. Das Spinoff Lufthansa Systems kümmert sich nicht nur um die IT der Mutter, sondern auch um die anderer Fluggesellschaften und Branchen. Schon länger hat der IT-Dienstleister Private- und Hybrid-Cloud-Services im Portfolio. Diese werden neuerdings - basierend auf "VMwares vCloud Director" - um öffentliche IaaS-Dienste ergänzt und dem Mittelstand unter dem Namen CloudLounge angeboten.
Nionex
Die Nionex GmbH, ein Tochterunternehmen des Bertelsmann-Konzerns mit Sitz in Gütersloh, stellt seit 2009 kleinen und mittelständischen Unternehmen Infrastructure-Services zur Verfügung. Die Bertelsmann-Tochter nutzt zwei TÜV- beziehungsweise ISO-zertifizierte Data Center in Nordrhein-Westfalen für ihre Cloud- Services.
ProfitBricks
ProfitBricks ist ein reiner IaaS-Anbieter aus Berlin, gegründet von zwei ehemaligen 1&1-Vorstandsmitgliedern. Das Unternehmen betreibt zwei Rechenzentren, eines in Karlsruhe, das andere in Las Vegas in den USA. Beide Data Center sind nach Unternehmensangaben weder physisch noch virtuell verbunden, so dass kein Datenaustausch stattfindet.
QSC
Die Kölner QSC AG bietet mittelständischen Unternehmen eine breite Palette an ITK-Services - von der Telefonie über Datenübertragung bis zu IT-Outsourcing und -Consulting. Die TÜV-geprüften Rechenzentren stehen in Nürnberg und München und werden nach deutschem Datenschutzrecht von der QSC Tochter IP-Exchange geführt.

Mit der Application Platform lassen sich vollständig neue Produkte entwickeln oder bestehende digitalisieren, also zum Beispiel mit einem Sensor oder einer "smarten Einheit" erweitern. Versorgt wird das digitale Kraftwerk mit intern vorhandenen und/oder externen digitalen Ressourcen wie Daten oder Cloud Services, wodurch eine hybride Umgebung entsteht.

Die in dem Kraftwerk entstandenen digitalen beziehungsweise digitalisierten Produkte wie Mobile Apps, SaaS- oder IoT-Lösungen und Engagement Solutions beliefern die Digital Factory wiederum kontinuierlich mit Daten, die zu einer Verbesserung der Produkte führen oder neue entstehen lassen. Die Integration der Digital Factory mit typischen Enterprise Business Lösungen wie ERP- oder CRM-Systemen sollte zudem berücksichtigt werden, um aus existierenden Daten einen Mehrwert zu erzielen und mit bestehenden und neuen Kunden besser und vorrausschauender zu interagieren.

Zum Business Enablement der digitalen Fabrik gehört es ebenfalls, den internen Kunden einen on Demand Self-Service Zugriff zu ermöglichen, damit diese zu ihrem Zeitpunkt des Handelns auf die notwendigen Ressourcen wie Rechenleistung, Speicherplatz, Microservices, Entwicklungsplattformen oder anderweitige SaaS-Tools zurückgreifen können. Dies unterstützt sie bei der Verbesserung ihrer Produktivität. Der Einsatz einer Cloud-Umgebung als Basis der Digital Factory ist hierfür die ideale Grundlage.

Digitale Fabrik als Grundlage für das digitale Unternehmen

Im digitalen Zeitalter ist die IT-Abteilung gefordert, einen maßgeblichen Beitrag zum Produkt zu leisten und bei dessen Entwicklung, Verbesserung sowie der Prozessoptimierung zu unterstützen. Nur damit ist ein Unternehmen heute und zukünftig in der Lage, seinen Kunden eine optimale User Experience zu bieten und mit innovativen und höherwertigen Services zu beliefern. Dafür ist eine klare radikale Linie erforderlich. Das bedeutet sich selbst zu hinterfragen und alles zu überdenken. Denn die alten, eingefahrenen Strukturen funktionieren in einem digitalen Unternehmen nicht mehr.

Bitkom über die Digitalisierung der Arbeitswelt
Arbeiten von zu Hause aus
Im Arbeitsalltag wollen deutsche Entscheider ihre Mitarbeiter lieber im Büro sitzen sehen, als sie ins Home Office zu schicken. Das zeigt eine Studie des Branchenverbandes Bitkom mit dem Titel „Digitalisierung der Arbeitswelt“. Rund 1.500 Geschäftsführer und Personalentscheider verschiedenster Branchen haben daran teilgenommen.
Anwesenheit ist oft Pflicht
In drei Vierteln der Unternehmen (75 Prozent) besteht nach wie vor Anwesenheitspflicht für alle Mitarbeiter.
Bedeutung des Büroarbeitsplatzes
Sieben von zehn Befragten sind denn auch davon überzeugt, dass der klassische Büroarbeitsplatz in seiner Bedeutung konstant bleiben wird.
Home Office nicht vorgesehen
Hier haben die Autoren der Umfrage nach den Gründen geforscht. Fazit: Knapp zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) erklären, die Arbeit vom Home Office aus sei "generell nicht vorgesehen".
Künftig mehr Freie
Ohne eine Flexibilisierung der Arbeitsplatzstrukturen wird es aber nicht gehen. Denn 31 Prozent der Befragten wollen künftig stärker als bisher mit freien Mitarbeitern kooperieren.
Vorteile externer Spezialisten
In solche Kooperationen setzen die Befragten große Erwartungen. 73 Prozent erwarten, dass das Innovationstempo steigt. 67 Prozent freuen sich auf einen interessanteren Arbeitsalltag.
Chancen der Digitalisierung
Grundsätzlich schreiben die Befragten der Digitalisierung große Vorteile zu.

Moderne Unternehmen sind heute zumeist Technologieunternehmen, unabhängig von der Branche, unterstützt durch IT. Mit einer klar formulierten Cloud-Strategie bilden CIOs eine Grundlage für das digitale Unternehmen. Ihren internen und externen Kunden ermöglichen sie damit einen unkomplizierten, aber vor allem schnelleren Zugriff auf IT-Ressourcen wie dynamische Infrastrukturen, Plattformen und weitere Cloud-Services und erhöhen damit die Gesamtproduktivität als auch das Kundenerlebnis. Auf Basis einer Digital Factory lassen sich neuartige digitale und hybride Produkte -zum Beispiel für das Internet of Things - sowie Services und Prototypen effizienter herstellen.

Die IT-Abteilung muss sich von einem Instandhalter zu einem "Product Center" weiterentwickeln. Dazu gehört es, neue Produkte mit zu entwickeln oder bestehende digital zu erweitern. Die Digital Factory ist die technologische Basis für diese Transformation.

Beispiele aus der Praxis zeigen, dass Unternehmenslenker diese Bedeutung erkannt haben.

Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Volvo präsentiert auf der MWC in Barcelona die Technologie "Slippery Road Alert ".
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Das Fahrzeug erkennt eine glatte Fahrbahn und meldet es in die Volvo-Cloud.
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Die Technologie zum Reagieren auf Glatteis ist schon in aktuellen Fahrzeugen mit ASR und ESP vorhanden. Durchdrehende Räder oder ein Ausbrechen des Autos soll so verhindert werden.
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Der "Slippery Road Alert" meldet dieses Ereignis nun eben der Volvo-Cloud.
Volvo Connected Cars kommunizieren über die Cloud
Kommen andere Volvos mit Cloud-Anbindung an der glatten Stelle vorbei, so erhalten sie eine Warnung.

Für die Einführung einer Digital Factory ist jedoch weit mehr notwendig als nur eine technische Neustrukturierung. CIOs sollten sich hierfür auf die folgenden Themen konzentrieren: