Herr Kienbaum, die Commerzbank präsentiert sich in ihren neuen Werbespots als reuige Sünderin, die aus den Fehlern der vergangenen Jahre ihre Lehren gezogen hat. Hat die Finanzkrise in den vergangenen fünf Jahren wirklich etwas in den Köpfen der Banker verändert?
Jochen Kienbaum: Natürlich sind die Banker nicht über Nacht zu anderen Menschen geworden. Aber sie haben ihre Lektionen aus der Krise durchaus gelernt, davon bin ich überzeugt.
Was macht Sie da so sicher?
Jochen Kienbaum: Wirtschaftsunternehmen können auf Dauer nicht gegen Öffentlichkeit, Gesetzgeber und Verbraucher operieren. Die Gesellschaft muss einer Unternehmung Nützlichkeit zusprechen, ansonsten beginnt sie zu sterben. Die Umbauprozesse in vielen Häusern sind Ausdruck dieser Einsicht.
Ist das verwunderlich? Schließlich gelten die Banken als Hauptschuldige der Krise.
Jochen Kienbaum: Deshalb verändert sich die Branche. Und zwar von innen und außen - durch einen selbstkritischen Neuanfang einerseits und externe Regulierung andererseits.
Gilt das nur für den Bankensektor?
Jochen Kienbaum: Nein, das trifft auf sämtliche Branchen zu. Es geht um nachhaltige Ertragskraft in Kombination mit höchster Seriosität und hohem Verantwortungsbewusstsein.
Suchen die Unternehmen seit der Krise denn auch andere Typen von Führungskräften?
Jochen Kienbaum: Ja. Heute ist eher der besonnene Unternehmertypus mit Risikogespür gefragt. Die Zeit der Ertragsmaximierer, die immer auf ihren persönlichen Nutzen achten, ist vorbei. Erfahrung ist wichtiger als Ehrgeiz.
Warum?
Jochen Kienbaum: Gefragt sind Manager, die eine nachhaltige und langfristige Entwicklung garantieren.
Welcher aktuelle CEO passt denn in dieses Bild?
Jochen Kienbaum: Zum Beispiel Martin Winterkorn als CEO von VW. Er hat es geschafft, die Innovationskraft von VW konsequent zu stärken, Markt- und Zukunftstrends aufzunehmen und gleichzeitig eine möglichst krisensichere Aufstellung des Unternehmens zu gewährleisten, auch in Form von Finanzkraft. Nur mit solchen Eigenschaften können Unternehmen das Vertrauen des Marktes sowie der Öffentlichkeit zurückgewinnen und Leistungsträger dauerhaft binden.
Eine neue Ausgewogenheit
Welche Unternehmen haben diesen Weg eingeschlagen?
Jochen Kienbaum: Die Deutsche Bank zum Beispiel. Sie baut nicht nur den Konzern selbstkritisch um, sie verändert ebenso die Unternehmenskultur.
Das klingt so, als setzten die Unternehmen wieder auf ältere, erfahrene Kandidaten. Ist der Jugendwahn vorbei?
Jochen Kienbaum: Ja, zum Glück. Es herrscht eine neue Ausgewogenheit.
Hat der integere Hasenfuß also den hungrigen Wolf verdrängt?
Jochen Kienbaum: Nein, so eindimensional darf man das nicht betrachten. Risikofeindlichkeit führt ebenso in den Ruin wie Risikoexzesse. Die Unternehmen brauchen auch hier eine gesunde Mischung - auch im Hinblick auf die verschiedenen Altersstufen.
Wer mischt denn in dieser Hinsicht besonders geschickt?
Jochen Kienbaum: BMW ist einer der Vorreiter. Der Autobauer hat vor einigen Jahren ein Demografieprogramm aufgelegt, das sich mit den Folgen des Alterungsprozesses auseinandersetzt.
Die viel zitierte "Diversity"...
Jochen Kienbaum: Genau. BMW hat deren Vorteile erkannt. Der Konzern sieht altersgemischte Teams auch als Teil der Personalentwicklung und des Wissenstransfers.
Und wie sieht es bei Mittelständlern und Familienunternehmen aus?
Jochen Kienbaum: Dort ist der Wunsch nach Kontinuität noch stärker. Das geht sogar so weit, dass sie Top-Managern häufig eine Residenzpflicht vorschreiben.
Was verbirgt sich denn dahinter?
Jochen Kienbaum: Diesen Arbeitgebern ist es besonders wichtig, dass sich ihr Management mit dem Unternehmen identifiziert, anstatt eine Söldnermentalität an den Tag zu legen. Da ist die Bereitschaft der Manager, den Wohnsitz und damit den Lebensmittelpunkt samt der ganzen Familie an den Firmensitz zu verlagern, ein wichtiges Signal.
Das Privatleben als Indiz für die Führungsstärke?
Jochen Kienbaum: Genau. Volatile Lebensverhältnisse werfen Fragen auf, in Bezug auf Integrität, Stabilität und soziale Kompetenzen. Deshalb stellen sich die Unternehmen Fragen zur Person. Übernimmt der Manager auch privat Verantwortung? Kann er langfristige soziale Beziehungen aufbauen? Oder ist er eher ein auf Selbstoptimierung ausgerichteter Narzisst?
Finanzvorstände als CEOs
Haben sich die Anforderungen an Manager und Unternehmen in den USA ebenfalls geändert?
Jochen Kienbaum: Es gab Zeiten, da wollte man dort den aggressiven, erfolgshungrigen, rein profitorientierten Manager, um dem Druck der Kapitalmärkte und den Interessen der Anteilseigner zu entsprechen. Heute hat man auch dort erkannt, dass man Werte nicht im Quartal, sondern über Generationen erschafft. Das ist ein langsamer Prozess, der selbst bei Apple erkennbar ist.
Inwiefern?
Jochen Kienbaum: Apple-Chef Tim Cook hat auf der Hauptversammlung im Februar betont, dass das Unternehmen auf eine langfristige Entwicklung und die Herstellung der besten Produkte ausgerichtet ist. Er lässt sich durch die starken Kursverluste nicht von seinem Weg abbringen, den ja auch die Aktionäre mitgehen: Sie haben sämtliche acht Aufsichtsräte im Amt bestätigt.
In den vergangenen Monaten haben immer mehr ehemalige Finanzvorstände den CEO-Posten in großen Konzernen übernommen, zum Beispiel Joe Kaeser bei Siemens. Welche Anforderungen erfüllen die Finanzexperten besser?
Jochen Kienbaum: Sie haben einen ausgeprägten Sinn für verantwortbare Geschäfte. Außerdem müssen sie in Kategorien langfristiger Wertschöpfung denken und für nachhaltiges Unternehmertum stehen.
Eigenschaften, die auch hervorragend zu einem CEO passen.
Jochen Kienbaum: Genau. Außerdem müssen beide in Szenarien denken und planen. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass Rahmenbedingungen über Nacht fundamental anders aussehen können als am Tag zuvor.
Quelle: Wirtschaftswoche