Analysten-Kolumne

Die Fehler der Anbieter im SOA-Hype

18.03.2009
Unternehmen setzen SOA bisher hauptsächlich für die interne Integration ein. Die neue Herausforderung besteht darin, eigene Systeme mit SaaS-Anwendungen zu integrieren. Erste Hersteller bieten deshalb eine Integrationsinfrastruktur als Integration-as-a-Service an. Forrester nennt es Platform-as-a-Service.
Forrester-Analyst Stefan Ried: "SOA ist kein Experiment mehr, sondern ist endlich erwachsen geworden."

In Zeiten in denen besonders die Europäer mehr jammern als sie es eigentlich nötig haben, macht man gerne für alles die Wirtschaftssituation verantwortlich. Wird der klassische Benzinmotor aussterben oder sogar bald, wie die Glühlampe, von der EU verboten, weil es in diesem Jahr der Autobrache schlechter geht als in den vorigen Wachstumsjahren? Nein, sicher nicht.

Das perfektionierte Know-How der Fahrzeughersteller ist ein unentbehrlicher Wettbewerbsvorteil beim Bau von Hybridfahrzeugen, die einen kompakten Benzinmotor enthalten. Genauso verhält es sich mit der Service-orientierten Architektur (SOA). Wer glaubt, dass SOA wie ein gealterter Dinosaurier von der plötzlichen Rezession erschlagen wird, hat einfach nicht bemerkt, dass sich dieses Architektur-Konzept inzwischen zu einem extrem weit verbreiteten Infrastruktur-Paradigma etabliert hat und massiv weiter entwickelt. Es macht viele Business Cases erst möglich.

Evolution eines Infrastruktur-Paradigmas

SOA ist kein Experiment mehr, sondern ist endlich erwachsen geworden. Rekapitulieren wir die wichtigsten Schritte über die letzten Jahre um zu verstehen wo die Reise hin gehen wird (siehe Grafik unten).

Wie sich das SOA-Paradigma entwickelt hat.

Das SOA-Paradigma verstehen

Die ersten Jahre der SOA-Diskussion waren wichtig, um überhaupt zu verstehen, worum es geht. Parallel mit den Experimenten entstanden die wichtigen Standards für die grundlegende Kommunikation (SOAP), und in einer zweiten Welle für SOA-Sicherheit. Eine Umfrage von Forrester Research im November 2008 unter globalen Unternehmen zeigt, dass die Benutzung von Service-basierter Kommunikation inzwischen allgegenwärtig ist:

By your best estimate, for how long has your firm been using Web services (application messaging based on SOAP or REST)?

We do not use SOAP or REST

10,8%

4+ years

24,7%

2-3 years

31,3%

Less than 2 years

33,1%

Die meisten großen Anwender und Hersteller haben SOA also verstanden. Letztere haben allerdings den Hype so weit getrieben und Kunden nicht einmal in der Annahme gebremst, SOA würde als solches schon einen Business Case ergeben.

SOA-Infrastrukturen professionalisieren

Der zweite Fehler war ohne Zweifel anzunehmen, dass die Flexibilität einer lose gekoppelten SOA-Landschaft einfach zu beherrschen wäre. Die Branche musste das im nächsten Schritt lernen (siehe Grafik auf Seite 1).

Erst in den letzten zwei Jahren haben die Werkzeuge zum professionellen Management einer SOA-Landschaft wie zum Beispiel SOA Lifecycle Management Repositories eine Produktreife erreicht, die mit dem Reifegrad traditionelle IT-Management-Software vergleichbar ist. Parallel haben Anwender ihre neue SOA-basierte Generation der IT-Infrastruktur den Ansprüchen einer echten Enterprise IT angepasst.

Ein Indiz dafür ist die Verwendung von Sicherheitsmechanismen. Bereits 30 Prozent der befragten in der oben genanten Studie benutzen heute bereits sichere Web-Service-Kommunikation (WS-Security). Weitere 27 Prozent planen dies oder untersuchen gerade die technischen Möglichkeiten dazu. Ein weiteres Indiz der fortschreitenden Professionalisierung der eingesetzten SOA-Landschaften ist die erfolgreiche Mischung von Produkten verschiedener Hersteller oder kommerzieller mit Open-Source-Produkten in föderativen Szenarien.

All das sollte uns aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die reine Einführung einer SOA-Infrastruktur in den meisten Fällen noch keinen Business Case darstellt.

SOA-Wendepunkt 2009

Das Jahr 2009 begannen 89 Prozent aller Großunternehmen mit der Nutzung von Web Services. Eine beeindruckende Zahl von 31 Prozent gibt sogar an, eine firmenübergreifende SOA-Strategie zu haben. Trotz dieser starken Benutzung ist das Jahr 2009 ein entscheidender Wendepunkt in der Evolution des SOA Paradigmas.

SOA macht Business Cases erst möglich

Der Druck, dass jedes IT Projekt einen nachprüfbaren Wertbeitrag zum Unternehmenserfolg haben muss, wird in diesem Jahr noch weiter wachsen. Zu Erinnerung: Nur ein sparsames Auto zu besitzen ist auch noch kein Business Case. Der Aufbau einer Car-Sharing-Gemeinschaft kann jedoch mit einem klaren wirtschaftlichen Vorteil rechnen, auch wenn traditionelle Autos dies erst möglich machen.

Entsprechend dieser Analogie ist im Laufe des letzten Jahres die Erkenntnis gewachsen, dass bestimmte IT-Projekte mit direktem wirtschaftlichem Wertbeitrag deutlich effektiver und überhaupt rentable umsetzbar sind, wenn dem Unternehmen eine SOA-Infrastruktur zu Grunde liegt. Die Automatisierung von Geschäftsprozessen mit Business Process Management Systemen (BPM) ist sicher das Vorzeigebeispiel. Zwischenzeitlich haben aber auch Business Intelligence (BI) und Business Activity Monitoring (BAM) Projekte gemerkt, dass der Durchbruch zum wirtschaftlichen Erfolg durch eine gemeinsame Nutzung einer SOA-Infrastruktur zu erreichen ist.

Letztlich wird dieses Jahr auch das Verarbeiten von großen Zahlen von unkorrelierten Geschäftereignissen (BEP) die SOA-Landschaften mit Business Cases versorgen.

Cloud Computing ist der nächste Innovationsschub - für SOA

Neben der indirekten wirtschaftlichen Rechtfertigung von SOA-Investitionen, wartet bereits die nächste Herausforderung für die zukünftige Integrations-Technologie und verspricht ein großer Innovationsschub auch im Bereich SOA zu werden. Der Trend Software nicht mehr zu kaufen und selbst zu betreiben, sondern als Service aus dem Netz zu beziehen hat weitreichende Folgen.

Während service-orientierte Architekturen in größeren Firmen bis heute hauptsächlich für die Integration der verschiedensten System innerhalb des Unternehmen eingesetzt wurden, besteht die neue Herausforderung in der Integration zwischen den eigenen Systemen und den SaaS-Anwendungen außerhalb des Unternehmensnetzes. Forrester spricht von einer Legacy/Cloud Integration.

Wenn ein Teil der zu integrierenden Systeme bereits in der "Wolke" und nicht mehr im Unternehmen steht, ist es auch plötzlich eine berechtigte Frage, ob die Integrationsinfrastruktur selbst nicht auch als Service bezogen werden kann. In USA begründen bereits die ersten Firmen wie Boomi.com ihr gesamtes Geschäftsmodell auf Integration-as-a-Service.

Für Hersteller von Geschäftsanwendungen stellt sich bereits die nächste Frage. Lohnt es sich überhaupt noch in die Erstellung von Infrastruktur zu investieren, oder sollte man das nicht sehr wenigen Spezialisten (wie zum Beispiel Longjump oder Apprenda) oder großen SaaS-Anbietern wie Salesforce.com mit Force.com überlassen? Obwohl die SAP vor Kurzen das intellektuelle Eigentum der PaaS-Firma Coghead gekauft und entscheidende Mitarbeiter übernommen hat, gibt es noch kein PaaS-Angebot aus Walldorf.

Anfang des Jahres konnte zum Beispiel der reine SaaS-ERP-Anbieter Netsuite sein Angebot um einige wichtige Bestandteile einer PaaS-Architektur erweitern. Möchte sich ein Hersteller jedoch wirklich nur auf die Erstellung von Geschäftslogik konzentrieren und diese als SaaS-Anwendung zum Kunden bringen, sind seine Anforderungen an eine Applikations-Plattform erheblich. Forrester’s Platform-as-a-Service (PaaS) Referenz-Architektur fasst die Anforderungen zusammen (siehe Grafik 2 unten).

PaaS-Referenz-Architektur.

Viele der Plattformkomponenten im mittleren Teil des Bildes stellen die Weiterentwicklung von heutigen SOA-Infrastrukturprodukten dar. Als eine der größten Herausforderungen für Hersteller betrachtet Forrester die Fähigkeit, eine große Zahl von unabhängigen Mandanten parallel verarbeiten zu können und diesen gesamten Technolgie-Stack überschaubar zu integrieren. Ein Provider-Portal bietet eine administrative Oberfläche für den unabhängigen Hersteller von Geschäftsanwendungen (ISV).

Entsprechend bietet ein ebenfalls neues Subscriber-Portal die Oberfläche für End-Kunden, sich verschiedene Geschäftsanwendungen auf der gleichen Plattform zusammen zu setzen und die Datenintegration mit bestehenden Anwendungen zu konfigurieren. Im Gegensatz zu einer traditionellen SOA-Umgebung sollte eine Platform-as-a-Service Umgebung nicht nur bestehende Anwendungen miteinander verbinden können, sondern ganz besonders einen Container für neue Geschäftslogik anbieten. Sowohl 3GL- als auch 4GL-Sprachen sind dabei möglich.

PaaS ersetzt SOA nicht - wird aber wichtiger Teil im Cloud Computing

PaaS wird SOA nicht ersetzen, stellt aber einen weiteren Evolutionsschritt für das gesamte Infrastruktur-Paradigma dar und wird sich zu einem der wichtigsten Infrastruktur Komponente im Cloud Computing entwickeln. Ähnlich wie heute bei SOA, wird die PaaS-Infrastruktur alleine keinen Business Case darstellen. Treiber werden die SaaS Anwendungen sein, die entweder öffentlich zugänglich sind, oder in Zukunft PaaS-Installationen in Private Clouds großer Konzernnetzwerke bevölkern werden.

Stefan Ried ist Senior Analyst und Vendor Strategy Professional im Frankfurter Büro von Forrester Research.

Lesen Sie hierzu auch den Beitrag von PAC-Analystin Melanie Mack: SOA - Totgesagte leben länger