Lothar Hirschbiegel will nicht mehr. Nicht mehr IT-Berater sein und Tag für Tag erleben, wie die Konkurrenz brutaler, die Margen schlechter und die Qualität der Projekte mieser werden. Wenn es überhaupt welche gibt. Effizienz steigern? "Das hat natürlich nur Sinn, wenn das Unternehmen noch ein laufendes Geschäft hat, das ich effizienter machen kann." Strukturen optimieren? "Warum sollte jemand Strukturen anpassen, von denen jeder weiß, dass es sie in zwei Jahren nicht mehr gibt?"
Es brauchte nur ein halbes Jahr, um aus dem Ex-CIO und IT-Berater aus Überzeugung einen Flüchtenden zu machen. Hirschbiegel, promovierter Physiker, hat viele leitende IT-Funktionen bekleidet, unter anderem als CIO von SMS Demag und Bereichs-CIO bei Siemens. Dann, von 2005 bis Anfang 2008, betreute er ein komplexes IT-Projekt an der Fernuni Hagen. Seitdem ist er freier IT-Berater. "Bis Ende 2008 lief das Geschäft eigentlich gut, da kann ich mich nicht beschweren. Aber danach ging die Spirale richtig nach unten."
Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Die IT-Berater kämpfen anno 2009 gleich mit zwei Problemen: Erstens ist da die Finanzkrise, viele Kunden haben keinen Cash für Projekte. Zweitens erleben wir einen Paradigmenwechsel weg vom aufwendig angepassten System hin zur Unisex-Lösung aus der Leitung oder aus der Schachtel. Lothar Hirschbiegel zum Beispiel hatte „in den vergangenen sechs Monaten keine einzige Anfrage für eine CRM-Implementierung. "Die meisten Unternehmen machen so etwas jetzt in Eigenregie."
Zu leiden haben darunter neben freien Beratern die Systemhäuser, glaubt Johannes Truttmann, CIO der Krombacher-Brauerei: "Die haben jetzt richtig Probleme, ich gehe davon aus, dass einige Systemhäuser im Moment zweistellige Umsatzrückgänge verkraften müssen." Neueinführungen fallen aus Geldmangel ganz weg oder werden eben mit Bordmitteln, will sagen ganz ohne Consultants, gestemmt. Und auch bei Investitionen in vorhandene Strukturen sparen die Kunden Beratertage ein. "Wir sehen uns sehr genau an, ob wir diese und jene Modifikationen unserer IT-Systeme wirklich brauchen oder ob sie nur Nice-to-have sind", sagt zum Beispiel Michael Rödel, CIO von Bionorica, einem führenden Hersteller pflanzlicher Arzneimittel.
Ein Drittel weniger SAP-Lizenzen
Das trifft natürlich auch SAP-Implementierer, die zudem den drastischen Einbruch beim Lizenzverkauf verkraften müssen: Zwischen Januar und März setzten die Walldorfer rund um den Globus ein Drittel weniger Lizenzen ab als ein Jahr zuvor. Und wer keine Lizenzen kauft, der braucht auch keine Berater, um die neuen Systeme anzupassen. Thomas Jürgens, Geschäftsführer des Systemhaus-Beratungsgeschäfts bei TDS, einem der größten SAP-Dienstleister: "Es ist zwar noch kein laufendes Projekt gestoppt worden, aber vieles wird jetzt auf unbestimmte Zeit nach hinten verschoben. Außerdem verlangen die Kunden bei aktuellen Projekten, dass wir die Aufwandtreiber so weit wie möglich rausnehmen. Alle wollen, dass wir die Systeme so nahe wie möglich am Standard installieren."
Ohne Aufwandtreiber aber sinkt der Aufwand, und bei weniger Aufwand braucht man auch weniger Berater. Statt 70 bis 80 Prozent wie zu guten Zeiten hat TDS nach eigenen Angaben in manchen Bereichen nur noch eine Auslastung von 50 Prozent. "Der eine oder andere Berater hat auch mal einen Tag gar nichts zu tun", räumt Thomas Jürgens ein.
Betroffen von der Krise sind natürlich auch Hochschulabsolventen, die ihren Einstieg in die IT-Beratung planen. Wobei die großen Consulting-Firmen, die in den vergangenen Jahren die Kandidaten regelrecht angesaugt haben, keinen Einstellungsstop verkünden, sondern mit einem Trick arbeiten. Dietmar Fink, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Rheinbach: "Ich erlebe es im Moment häufig, dass Studenten, die schon einen Arbeitsvertrag auf dem Tisch haben, von den Unternehmen gebeten werden, ihren Einstieg um drei oder vier Monate zu verschieben. Dabei hofft der Arbeitgeber, dass der Kandidat sich in der Zwischenzeit etwas anderes sucht und man den vorhandenen Vertrag nicht von sich aus auflösen muss."
Standardisierungsdruck
Je größer die Krise, desto konsequenter die Verdrängung: Accenture, renommiertes Beratungshaus mit starkem SAP-Standbein, möchte mit Hinweis auf irgendwelche Regeln der Börse in New York gar nichts sagen. Und Jan Grasshoff, Leiter SAP Global Delivery weltweit bei SAP, "sieht den Umsatzeinbruch in unserem Bereich nicht, weil es genug Geschäft gibt, das den Rückgang bei den Lizenzen ausgleicht".
IBM will eigentlich nicht mehr über die Krise sprechen, tut es dann aber doch. Roland Werner, Partner bei IBM Global Business Services, räumt ein, dass auch seine Leute Standardisierungsdruck zu spüren bekommen. "Wir halten das allerdings nicht immer für richtig", sagt Werner. "Die Lösung muss zum einen budgetschonend sein, zum anderen aber auch für den Fachbereich akzeptabel. Individuelle Geschäfte brauchen individuelle Lösungen." Weil Appelle alleine vielleicht nicht genügen, motiviert IBM Mittelständler noch auf andere Art dazu, in den Ausbau ihrer IT-Infrastruktur zu investieren: mit Geld. Werner: "Wir stellen verstärkt Kredite bereit, natürlich nach entsprechender Risikoprüfung."
Aufräumen und entrümpeln
Wie die Zukunft der IT-Beratung aussehen könnte? Zwei Trends werden von den Anbietern genannt. Erstens: Application Portfolio Management, zu deutsch aufräumen und entrümpeln. Roland Werner, Partner bei IBM Global Business Services: "Es gibt zu viele Anwendungen. Die Unternehmen haben zum Teil in den vergangenen Jahren einen regelrechten Zoo aufgebaut, und den gilt es jetzt zu bändigen." Dazu gehört auch, wo möglich den Service Level herunterzufahren und den Betreuungsaufwand zu senken: "Es braucht nicht alles Gold Level."
Der zweite Trend ist ein alter Bekannter, der in jeder Krise als Heilsbringer gefeiert wird: Outsourcing. "Durch den Kostendruck ist das Thema überall wieder auf der Agenda", sagt Tobias Ortwein vom Marktforschungsunternehmen PAC. Allerdings scheint der alte Name "Outsourcing" unter Imageproblemen zu leiden, stattdessen spricht IBM von "Global Sourcing", SAP nennt es "Global Delivery": Jan Grasshoffs gleichnamige Abteilung kümmert sich mit insgesamt 1400 Beratern darum, innerhalb von IT-Projekten die Möglichkeiten des globalen Einkaufs auszuloten und "Arbeitspakete rund um den Globus zu verteilen".
"Ich will kein Politiker sein"
Die Vermittlung preiswerter Programmierer als Zukunft der IT-Berater? Sicher nicht für alle. Und für Lothar Hirschbiegel schon gar nicht, denn der will gar kein Berater mehr sein. Sondern CIO. Sogar in einem Großkonzern würde er wieder anheuern, obwohl er weiß, "dass man da vom Techniker zum Politiker umgeformt wird und ich kein Politiker sein will". Und dass "von 100 innovativen Ideen höchstens fünf jemals umgesetzt werden". Alles ist besser als IT-Berater. Denn mit dem Berufsstand verhält es sich seiner Meinung nach ein wenig "wie mit dem Heizer auf der E-Lok: Er wird irgendwann schlicht überflüssig."
Bleibt zu hoffen, dass Hirschbiegel bei seinem Jobwechsel nicht vom Regen in die Traufe kommt. Schließlich gibt sich die Krise alle Mühe, auch die Arbeitsbedingungen der IT-Leiter nachhaltig zu verändern. Wie sagte doch Roland Werner, Partner bei IBM Global Business Services: "In Aufschwungphasen hat der CIO große Entscheidungsspielräume gehabt, zum Beispiel wenn es um Budgets ging. Heute entscheidet bei Investitionen egal in welchem Bereich fast immer der CFO."