Digitaltechnik

Die Hightech-Worker

29.05.2007 von Anne Preissner
Längst hängt der Erfolg heutiger Führungskräfte auch davon ab, wie intelligent sie moderne Digitaltechnik nutzen und in ihren Unternehmen einsetzen. Wir stellen junge Top-Manager vor und zeigen, wie sie auf der elektronischen Klaviatur spielen, um weltweit und jederzeit "on the job" zu sein.

Ohne Hast zuckelte der Hausbote über den Firmenflur, schob sein Rollwägelchen vor sich her und verteilte - stets zu einem Schwätzchen aufgelegt - die aktuelle Post. Tag für Tag stapelten sich auf dem Schreibtisch von Achim Berg (43) Kundenanfragen, interne Mitteilungen und Arbeitsdokumente - ein Albtraum für den aufstrebenden Informatiker, der Papierkram höchst lästig fand.

Wie in der Kölner Dependance des französischen Rechnerherstellers Bull, bei dem Berg seine Karriere startete, ging es Anfang der 90er Jahre in fast allen Unternehmen zu. Die Schneckenpost dominierte, das Fax galt als ultimative Beschleunigungsmaschine, das Handy war ein Privileg der Chefetage, und das Internet kannte keiner.

Für Berg, seit Februar Chef von Microsoft Deutschland, kam der Siegeszug von E-Mail, Handy, Web & Co. einem persönlichen Befreiungsschlag gleich. "Heute bin ich voll elektronisch organisiert, Papier ist bei mir so gut wie passé", schwärmt er.

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Auch privat lebt der Vertriebsprofi total vernetzt. Vor drei Jahren ließ er sein Bonner Privathaus in einen Hightech-Tempel umwandeln - von der biometrisch zu öffnenden Eingangstür bis hin zum handygesteuerten Garagentor.

Virtuelle Virtuosen wie Berg sind Vorreiter des Digital Living. Souverän nutzen sie die elektronische Klaviatur, um weltweit und jederzeit "on the job" zu sein. "Die Arbeitsmöglichkeiten haben sich in den vergangenen zehn Jahren stärker verändert als in jeder Dekade zuvor", resümiert Ben Verwaayen, CEO von British Telecom.

Das Tempo des Wandels beschleunigt sich. Globalisierung und Outsourcing verstärken den Trend zum verteilten Arbeiten quer über Kontinente. Längst hängt der Erfolg heutiger Führungskräfte auch davon ab, wie intelligent sie moderne Digitaltechnik nutzen und in ihren Unternehmen einsetzen.

PDA als bevorzugtes Arbeitsmittel

"Als wir vor zwei Jahren unsere Ideen vom mobilen Büro vermarkten wollten, gehörten wir zur Avantgarde. Heute sehen wir uns fast schon in der Rolle des Brötchenbäckers um die Ecke", beschreibt Nokia-Manager Martin-Hannes Giesswein (33) den rasanten Siegeszug drahtloser Office-Lösungen.

Fast zärtlich streichelt der Deutschland-Chef der Sparte "Enterprise Solutions" seinen handtellergroßen PDA (Personal Digital Assistant) und nennt ihn liebevoll "mein Arbeitspferd". Nur selten benutzt er noch sein Notebook - auspacken, einloggen, auf den Verbindungsaufbau warten? Viel zu aufwendig! Allenfalls im Hotel klappt er seinen Laptop auf, um Präsentationen vorzubereiten.

Drei bis vier Tage pro Woche ist Giesswein unterwegs. Mithilfe seiner Vertriebsmannschaft betreut er 86 Partnerunternehmen in Deutschland, hält Kontakt mit seiner Spartenchefin Mary McDowell in New York und den Verantwortlichen im Nokia-Hauptquartier in Espoo bei Helsinki.

Sein nächstes Ziel ist immer nur einen Klick entfernt. Das auf dem Gerät installierte Programm sichert ihm jederzeit Zugriff auf firmeninterne und externe Informationen. Wie sehen die aktuellen Verkaufszahlen aus? Klick. Wie hoch sind gegenwärtig die Gebote meiner laufenden Ebay-Auktion? Klick.

Giesswein, gebürtiger Österreicher, ist kein E-Junkie, sondern ein E-Profi. Online liest er auf seinem PDA die Tageszeitungen seiner bevorzugten Ferienregion Kärnten, täglich blättert er die von ihm favorisierten Tageszeitungen und Nachrichtendienste durch: "Ich liebe es, immer einen Informationsvorsprung zu haben."

Dank spezieller Software behält er jederzeit die Übersicht, ob seine engsten Mitarbeiter ansprechbar sind. Bestimmte Symbole auf seinem Smartphone signalisieren ihm: Der Kollege telefoniert, will bei der Arbeit nicht gestört werden, schreibt gerade eine E-Mail oder ist verfügbar. "Die automatisierte Kommunikation zwischen zwei Geräten erspart mir zahlreiche vergebliche Kontaktversuche", lobt Giesswein.

Meist verzichtet der Nokia-Manager auf die Begleitung eines Technikers, wenn er Partner oder Kunden besucht. Giesswein stellt nur die mobile Erreichbarkeit des Experten sicher und kontaktiert ihn, falls er fachlichen Rat oder spezielle Unterlagen benötigt.

So effizient wie Giesswein nutzen heute alle Nokianer, die nicht in der Produktion arbeiten, ihre mobilen Helfer. Jeder Büro- und Vertriebskollege ist mit einem Gerät ausgestattet, das auf seine speziellen Kommunikationsbedürfnisse zugeschnitten ist. Das scheint selbstverständlich bei einem Hersteller von Mobiltelefonen - doch auch beim Handyriesen reifte die Erkenntnis, dass mobile Lösungen Wettbewerbsvorteile bringen können, relativ spät.

Vor knapp sechs Jahren setzte das Umdenken ein. Eine firmeninterne Erhebung hatte ergeben, dass durchschnittlich die Hälfte aller Mitarbeiter nicht am Arbeitsplatz saß, sondern auf Reisen, in Meetings oder im Hause unterwegs war. Pro Monat waren die Schreibtische gerade mal 36 Stunden besetzt - und die Kollegen nicht erreichbar.

Eine unglaubliche Verschwendung von Ressourcen, befand der damalige Nokia-CEO Jorma Ollila (56). Sein Entschluss, das Werbemotto "Connecting People" stringent im eigenen Konzern umzusetzen, war schnell gefasst.

Vor der Umsetzung standen jedoch die Bedenkenträger - auch im Management: Mobile Technik sei viel zu komplex und unsicher, so ihre Befürchtung. Die Produktivität könne durch virtuelle Zusammenarbeit spürbar abnehmen, warnten sie. Und nicht zuletzt würden hohe Mobilfunkkosten die Einsparungen durch weniger Büroraum auffressen.

"Keiner der Einwände hat sich im Rückblick als richtig erwiesen", resümiert Giesswein. Die Reduzierung der festen Arbeitsplätze zugunsten von "geteilten Schreibtischen" mit WLan-Anbindung (Shared Desks) erhöhte die monatliche Auslastung der fixen Büros auf 160 Stunden. Allein im Unternehmensbereich Nokia Networks wurden nach Firmenangaben durch Einsatz mobiler Lösungen bei Reparatur und Wartung pro Jahr fünf Millionen Euro eingespart.

Reduzierte Kapitalkosten und geringerer Zeitaufwand, höhere Kundenzufriedenheit und schnellere Markteinführung neuer Produkte - neben quantifizierbaren Vorteilen zeigten sich auch versteckte Pluspunkte: besser fundierte Entscheidungen, effektivere Zusammenarbeit und größere Kreativität.

Nokia ist in Europa freilich noch die Ausnahme. Die meisten Unternehmen der Alten Welt setzen moderne Hard- und Softwaretechnologie noch sehr zurückhaltend ein, verglichen mit US-Firmen wie IBM oder Coca-Cola .

Kein ROI ohne Reorganisation

Vor allem die deutschen Unternehmen hinkten den US-Vorreitern um rund drei Jahre hinterher, klagt George Colony (53), CEO der Technologieberatung Forrester Research. Viele ältere Chefs hätten zu wenig Bezug zur IT und bremsten jüngere, technikaffine Manager und Mitarbeiter. Ein Deus ex Machina sei der Einsatz neuester Technik allerdings nicht, warnt Colony: "Der positive Effekt verpufft, wenn nicht gleichzeitig Firmenorganisation und Abläufe umgestellt werden."

Die Gefahr, in der elektronischen Datenflut unterzugehen, droht insbesondere Managern. Allein 100 bis 200 E-Mails harren oftmals täglich der Beantwortung. Die Furcht der Empfänger, etwas Wichtiges zu verpassen oder nicht rechtzeitig zu reagieren, nimmt zu.

"Wenn mir ein Mitarbeiter des Öfteren nachts eine Mail schickt, obwohl er den ganzen Tag gearbeitet hat, mache ich mir als Vorgesetzter Sorgen um ihn und spreche ihn an", sagt Giesswein. Regelmäßig organisiert Nokia für die Belegschaft Time-Management-Seminare, damit alle Beschäftigten die Balance zwischen Berufs- und Privatleben halten können.

Ein hehres Unterfangen. Ist doch bei Managern der einst verpönte Angriff auf Wochenenden und Feiertage längst üblich. Zahlreiche Führungskräfte checken spätestens am Sonntagabend ihre elektronische Post, um Montagmorgen à jour zu sein.

Digitale Kommunikation mit Tücken

Die jüngsten Offerten mancher Fluggesellschaften, während interkontinentaler Reisen Online-Verbindungen zur Verfügung zu stellen, werteten zahlreiche Verantwortliche als zusätzliche Verletzung ihrer Privatsphäre, so die Erfahrung von Ralph Hinderberger, Geschäftsführer der Management-Beratung "User Experience Management".

Strikte Disziplin im Umgang mit digitalen Dienern hält Microsoft-Manager Achim Berg deshalb für unumgänglich. Er checkt während der Arbeitszeit alle zwei Stunden seine Mails, um der elektronischen Versklavung vorzubeugen. Und mindestens einen Tag in der Woche hält er sich von seinen Geräten fern.

Kleine Kniffe sorgen für Übersicht. Der ehemalige T-Com-Bereichsvorstand sortiert die eingegangenen Botschaften farblich nach Wichtigkeit des Absenders und nach Exklusivität. Ex-Telekom-Vorstandschef Ricke und dessen Kollegen trugen bei Berg Magenta. Besonders suspekt sind Berg die CC-Anhänge. "Wer mir öfter unwichtige Nachrichten zukommen lässt, bei dem frage ich nach, warum ich auf seinem Verteiler stehe", erzählt er.

Die Tücken digitaler Kommunikation liegen für Berg ausgerechnet in der von ihm sehr geschätzten Schnelligkeit des Datenaustausches. Da Manager sich in Windeseile mit den unterschiedlichsten Themen befassen müssten, steige die Gefahr, unzureichende oder gar falsche Entscheidungen zu treffen, befürchtet er.

Was im E-Mail-Kreuzfeuer kaputtgehen kann - das persönliche Gespräch, das konzentrierte Abarbeiten von Aufgaben -, soll nun die Technik wieder heilen. Ein Ort, an dem weltweit verstreute Manager zumindest virtuell wieder zusammenfinden, ist die Videokonferenz.

Systeme der neuesten Generation, wie sie etwa von Cisco oder Microsoft entwickelt wurden, schaffen inzwischen eine Atmosphäre, die fast einem physischen Treffen gleichkommt: Räume und Besprechungstische wachsen optisch zusammen; in Lebensgröße sitzen sich die Teilnehmer zwischen New York und Tokio gegenüber.

Längst arbeiten Forscher daran, Büros digital so aufzurüsten, dass Konferenzteilnehmer - etwa Architekten und Bauherren - aus verschiedenen Orten Pläne in Echtzeit verändern können. Für Lars Hinrichs (30), Mitgründer und CEO des Internet-Businessclubs Xing (früher: OpenBC) gehört Videoconferencing zum Alltag. Die 2003 gegründete Firma unterhält Büros in Hamburg, Zürich und Peking. Jeden Freitag versammeln sich die 70 Mitarbeiter in ihren jeweiligen Konferenzräumen und reden miteinander. "Ein fabelhaftes Medium, um den Zusammenhalt zu stärken und Doppelarbeit zu vermeiden", lobt er.

Hinrichs liebt nicht nur virtuelle Treffen und das jeweils neueste elektronische Gerät. Er ist vor allem ein begnadeter Verkäufer und heftiger Nutzer seines sozialen Netzwerks Xing. Rund 1.600 geschäftliche Kontakte unterhält er selbst. Die Zahl der Kontakte erhöhe die Chance, auf die richtigen Geschäftspartner, Job-Anbieter oder Experten zu treffen, so Hinrichs. Selbst Dax-Vorstände und hochrangige IBMler vertrauten inzwischen seiner Erkenntnis: "Ein Netzwerk schadet nur dem, der es nicht hat."

Schon träumt der Xing-Chef von der nächsten Stufe sozialen Networkings: Ein intelligentes Netz wertet die Daten der E-Community aus und schlägt den Mitgliedern eigenständig neue Kontakte vor.

Hinrichs Web-Börse trifft den Nerv digitaler Nomaden. Fixe Arbeitszeiten und unbefristete Arbeitsverhältnisse werden zu Relikten des vordigitalen Zeitalters. Tom Groth (39), Chefvisionär des Computerherstellers Sun, prophezeit, dass viele Wissensarbeiter in Zukunft als Freiberufler von zu Hause aus und projektbezogen für mehrere Firmen arbeiten werden. "Diese Menschen organisieren sich komplett selbst."

Was der Mensch dann noch bräuchte, seien Kleinstcomputer, die möglichst alle elektronischen Kommunikationsformen beherrschten, aber so leicht zu bedienen seien wie etwa Apples neues Mobiltelefon iPhone. Klein, kräftig, mit großer Bandbreite und einer noch größeren Fähigkeit, sich den begrenzten Technikkenntnissen des normalen Nutzers anzupassen, so stellt sich Sun-Vordenker Groth das Lieblingswerkzeug des digitalen Lebensstils vor.

Achim Bergs Wünsche sind noch schlichter: mehr Akkulaufzeit bitte!

Wie vernetztes Mobiliar die Zusammenarbeit fördert

"Be there now", ruft René Obermann (43) seinen Führungskräften zu, wenn er bei Besprechungen digitale Absenz vermutet. Ein Problem, das nicht nur den Telekom-Chef plagt. Ausgerüstet mit Notebooks oder PDAs, folgen so manche Sitzungsteilnehmer weniger den Ausführungen des jeweiligen Referenten, sondern nutzen die Zeit, um Mails zu beantworten, im Web zu surfen oder ein Spiel zu starten.

Mit neuen Konzepten versucht das Darmstädter Fraunhofer Institut IPSI im Verbund mit der ETH Zürich und dem niedersächsischen Büromöbelhersteller Wilkhahn seit Ende der 90er Jahre, Digitaltechnik sinnvoll in Meetings einzusetzen. Da sich die Erledigung individueller Aufgaben bei leitenden Mitarbeitern meist in die Bahn, das Flugzeug oder das Heimbüro verlagert hat, wandelt sich auch der Charakter von Bürogebäuden.

"Die Firmensitze der Zukunft werden in erster Linie Orte der Kommunikation und Kooperation sein", prognostiziert Norbert Streitz, Gründer und langjähriger Leiter des Forschungsbereichs "Smart Environments of the Future" am Fraunhofer Institut. Geradezu anachronistisch kommen ihm derzeitige Formen des Meinungsaustausches vor: Flipchart-Erläuterungen, Powerpoint-Monologe oder Metaplan-Kärtchen. "Die Vorteile moderner Technik werden bei Weitem nicht genutzt", kritisiert er.

Streitz' Vision: Sogenannte "kooperative Gebäude", die, von unsichtbaren Computern gesteuert, neue Formen der Zusammenarbeit ermöglichen - sowohl innerhalb einer Firma als auch mit externen Teilnehmern. Im Vordergrund stehen Displays, die den Zugriff auf Informationen erlauben, deren Inhalte per Finger oder Stift verändert werden können und die sich vernetzen lassen.

Erste Produkte haben die Fraunhofer-Forscher zusammen mit Wilkhahn bereits zur Serienreife gebracht. Das Unternehmen Foresee, 2005 von Wilkhahn ausgegründet, vermarktet interaktive Tische sowie digitale Flipcharts. Noch im Entwicklungsstadium sind "sprechende Wände" - hochauflösende Plasmabildschirme, die sich mit Audio- und Videotechnik verknüpfen lassen.

Was futuristisch anmutet, birgt unmittelbaren Nutzen: In Echtzeit können Konferenzteilnehmer - etwa Architekten, Projektleiter und Bauherren - von verschiedenen Standorten aus Änderungen an den Vorlagen vornehmen und auf nötige Informationen zugreifen. Per Knopfdruck werden die Ergebnisse der Besprechung allen Beteiligten elektronisch zugesandt.

Käufer findet Foresee-Geschäftsführer Frank Sonder für seine Produkte derzeit vor allem außerhalb Westeuropas - in Korea, Dubai und Russland. Immerhin, auch Siemens, Bertelsmann und ein Autozulieferer aus dem Süddeutschen konnten sich bereits für interaktives Mobiliar erwärmen.