Die Verfügbarkeit der Systeme, Server-Statistiken oder der erfolgreiche Abschluss von Projekten - Steve Randle nutzte lange Zeit die üblichen Instrumente, um den Erfolg seiner IT-Abteilung zu messen. Doch vor einem Jahr war das dem Vice President IT Operations beim Kommunikations-Dienstleister XO Communications nicht mehr genug. Randle erkannte, dass die Kommunikations-Beziehungen zwischen seinen Mitarbeitern wesentlich zum Erfolg seiner Abteilung beitragen - und er suchte nach einem Weg, sie zu dokumentieren und auszuwerten.
Er stieß auf die Social Network Analysis (SNA), auf Deutsch soziale Netzwerk-Analyse oder Analyse sozialer Netzwerke. Der IT-Manager erkannte darin ein Werkzeug, um das Funktionieren seiner Abteilung zu erklären und Raum für Verbesserungen aufzuspüren. Randle ist kein Einzelfall: Außer Sozialwissenschaftlern beschäftigen sich zunehmend auch Praktiker und Forscher aus der Wirtschaft mit der sozialen Netzwerk-Analyse. Soziale Netzwerke bestehen schließlich nicht nur innerhalb einer Familie oder eines Freundeskreises, sondern prägen auch Arbeitsbeziehungen und Geschäftsprozesse.
Der Austausch von Informationen ist ein zentrales Merkmal der heutigen Arbeitswelt. Und gerade der immer stärkere Einsatz von Informationstechnologie zum Datenaustausch macht die soziale Netzwerkanalyse für Firmen interessant, wie etwa die Wissenschaftler vom Seminar für Wirtschaftsinformatik und Informations-Management an der Universität Köln schreiben.
Steve Randle verteilte in seiner IT-Abteilung zunächst einen simplen Fragebogen. Vier Dinge wollte er von jedem Mitarbeiter wissen: An wen wendet sich ein Angestellter, wenn er Hilfe bei einem schwierigen Problem braucht oder über Ideen diskutieren möchte? Auf wen ist der Angestellte angewiesen, um seine Arbeit erledigen zu können? Außerdem wollte er wissen, mit wem jeder Mitarbeiter am häufigsten kommuniziert und wen der einzelne als wertvollste Kontaktperson in der IT-Abteilung ansieht. Als Antwort auf jede Frage konnten die Mitarbeiter bis zu drei Kollegen aus der Abteilung nennen.
Auf der Grundlage der Antworten entwickelte Steve Randle spezielle Netzwerk-Diagramme, so genannte Soziogramme. Die Knoten des Netzwerks standen dabei für die Mitarbeiter, die Verbindungen zwischen ihnen spiegelten die Kommunikation zwischen ihnen wider. In einem der Schaubilder wurden die Knoten in verschiedenen Größen dargestellt - je nachdem, wie viele Verbindungen zu Kollegen der entsprechende Mitarbeiter hatte. "Das hat mir auf einen Blick gezeigt, wer innerhalb meiner Abteilung eine zentrale Stellung einnimmt", berichtet Randle.
Tiefe Einblicke in informelle Vorgänge
Der Ansatz von Randles sozialer Netzwerk-Analyse klingt einfach. Möglich wäre es auch, statt einer Mitarbeiterbefragung Daten aus dem Mail- oder Telefonverkehr zu erheben. Kern der sozialen Netzwerk-Analyse ist immer die Erfassung und Auswertung der Beziehungen zwischen den Akteuren, weniger deren individuelle Eigenschaften. Die Erfassung von Informationsflüssen auf diese Art kann nach Ansicht der Wirtschaftsinformatiker von der Uni Köln firmen-interne Abläufe in einer "noch nicht gekannten Qualität und Aktualität" darstellen. Vor allem informelle Vorgänge könnten so sichtbar gemacht werden.
Wie bedeutsam solche "informellen Vorgänge" sein können, verdeutlichen die SNA-Experten Rob Cross und Andrew Parker. Sie stellen eine Abbildung des sozialen Netzwerks in einem Unternehmen dem Organigramm derselben Firma gegenüber. Deutlich wird, dass selbst ein Mitarbeiter, der auf der Hierarchie ziemlich weit unten steht, für den Informationsfluss innerhalb des Betriebs durchaus eine wichtige Schnittstelle darstellen kann. Diese Überraschung erlebte auch Steve Randle. "Die Analyse hat einige Leute als besonders wichtige Mitarbeiter herausgestellt, von denen ich es gar nicht gedacht hätte", sagt er.
Mitarbeiter aus der Isolation führen
Auf der anderen Seite konnten auch isolierte Mitarbeiter ausfindig gemacht werden. Als Randle vor dem Weggang einer Führungskraft die Diagramme wieder hervorzog, entdeckte er einen Mitarbeiter, der laut dem Schaubild nur zu dem scheidenden Manager regelmäßigen Kontakt hatte. Um den Angestellten besser zu integrieren, brachte Randle ihn bei informellen Treffen mit anderen Team-Mitgliedern in Kontakt.
Dass der offensichtlich besonders aktive Kommunikator allerdings nicht in jedem Fall ein Gewinn für ein Unternehmen ist, betonen Cross und Parker. Ein Mitarbeiter, der als Drehscheibe fungiere, könne sich auch zum Flaschenhals für den Informationsfluss entwickeln. Habe die Netzwerk-Analyse einen solchen Knotenpunkt identifiziert, sei es deshalb ratsam, bewusst alternative Kommunikationswege zwischen anderen Mitarbeitern herzustellen.
Steve Randle konnte mit der sozialen Netzwerk-Analyse nicht nur einen Überblick über das Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Mitarbeitern gewinnen. Aus den Aufzeichnungen konnte er auch herauslesen, dass die für das Firmennetzwerk zuständige Unterabteilung sowohl auf Management- als auch auf Ebene der einzelnen Mitarbeiter gut mit allen anderen Teams der IT-Abteilung vernetzt war. Das war für Randle besonders wichtig, weil auf die Netzwerk-Abteilung alle anderen angewiesen sind.
Silos aufbrechen
Andernorts machte Steve Randle Silos aus, die weitgehend abgeschottet von anderen arbeiteten. So gab es Arbeitsgruppen, die für Schlüsselprojekte in der IT-Abteilung verantwortlich waren, aber unzureichend mit dem Rest der Fachabteilung kommunizierten. Um des Erfolgs der Projekte willen regte Randle auch in diesem Fall gezielt die Verständigung zwischen den Betroffenen an.
Harald Katzmair vom auf soziale Netzwerk-Analyse spezialisierten Forschungs- und Beratungsunternehmen FAS-Research betont, dass eine Netzwerk-Analyse durchaus dazu beitragen könne, Teams in einem Unternehmen zu motivieren. Sei die Struktur des Informationsflusses erst einmal sichtbar gemacht, lasse sich daraus gut Potenzial für Verbesserungen erkennen.
Diskussionen anregen
Das Hauptziel der Social Network Analysis war für Steve Randle zunächst, innerhalb des Managements überhaupt die Diskussion über die Kommunikation und Zusammenarbeit der Mitarbeiter anzuregen. Das gelang ihm aufgrund der objektiv erhobenen Daten, die die Analyse erbracht hat. Nun wolle er systematisch die interne Kommunikation verbessern, die Zusammenarbeit stärken und so eine effektivere Mannschaft aufbauen. Das Vorhaben könnte gelingen. Harald Katzmair etwa betont, dass mit einer Netzwerk-Analyse die Kommunikation dramatisch an Effizienz und Effektivität gewinnen könne.
Bei XO Communications soll die Analyse auch Grundlage für Entscheidungen bei der Personalplanung sein. Randle will die Auswertung heranziehen, um zu sehen, welche Kommunikationsstränge gefährdet sein könnten, wenn zentrale Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Der IT-Manager will mithilfe der Daten erkennen, welche Mitarbeiter er am besten an Schnittstellen einsetzen sollte.