So mancher IT-Manager dürfte Jörg Munzel ob seines Einflusses auf die Geschäftsstrategie beneiden. Der 45-Jährige ist nicht nur CIO, sondern zugleich Leiter Unternehmensentwicklung der AutoVision GmbH. Die 2001 gegründete Tochtergesellschaft der Volkswagen AG agiert als Personal- und Prozessdienstleister und bedient neben dem VW-Konzern auch externe Kunden. Eher ungewöhnlich für einen CIO ist auch Munzels Ausbildungshintergrund. Als Historiker und Philosoph promovierte er über die "Genese der Informatik und Biotechnologie". Hinzu kam eine Strategie- und Management-Ausbildung an der Hochschule St. Gallen.
Das alles dürfte geholfen haben beim Strategieprojekt "AutoVision 2.0", dessen ehrgeiziges Ziel eine wetterfeste strategische Positionierung des Unternehmens war. Der zweifache Familienvater beschreibt das Vorhaben so: "Erstmalig wurde ab Anfang 2007 in der AutoVision eine integrierte Business- und IT-Strategie 'state of the art' entwickelt und über alle Geschäftsfelder, Bereiche, Funktionen und Prozesse umgesetzt." Erfolgsentscheidend sei das in diesem Kontext entwickelte "Tandemprinzip" von Business und IT gewesen, das einen Paradigmenwechsel eingeleitet habe. Die IT sollte nicht mehr nur Supportfunktionen erfüllen, sondern anerkannter Treiber für den Unternehmenserfolg sein. Seinen Mitarbeitern verdeutlichte der passionierte Harley-Davidson-Fahrer das Tandemprinzip mit einem griffigen Motto: "Gemeinsam auf einer Achse - aber auf unterschiedlichen Sitzplätzen - gewinnt man über harmonisiertes Treten mehr Kraft." Das Business sitze dabei als "Primus inter pares" vorn und lenke in Richtung Markt und Kunde. Munzel: "Die IT ist die Kraft im Hintergrund."
Hinter dem IT-Redesign des Personaldienstleisters stand eine zentrale Erkenntnis, erläutert der Manager. "Unternehmen gerade im B2B-Sektor können nur über eine integrierte Betrachtung von Business und IT wettbewerbsüberlegen weiterentwickelt werden." Dementsprechend sieht sein berufliches Selbstverständnis aus: "Ein guter CIO will das Business besser verstehen als die IT." Den Erfolg seiner Arbeit misst Munzel auf drei Ebenen: Auf der untersten Schicht geht es um den klassischen IT-Betrieb, der sich anhand von Parametern wie SLAs, Verfügbarkeit oder Kosten bewerten lasse. Eine Stufe darüber kommt die Prozesseffizienz in den Blick. Hier spielen Kennzahlen wie Durchlaufzeiten eine zentrale Rolle. Noch wichtiger ist für den CIO die dritte Ebene, auf der die entscheidenden Fragen lauten: Wie kann die Technik Geschäftsprozesse unterstützen? Kommt das Unternehmen durch IT wirklich voran? Lassen sich mit Hilfe von IT neue Geschäftsmodelle oder Geschäftsfelder entwickeln?
Vom Operator zum Innovator
Gemessen an diesen Ansprüchen können sich die Ergebnisse des Projekts AutoVision 2.0 sehen lassen: Von 2007 auf 2008 stieg der Umsatz des Dienstleisters um 23 Prozent, das Ergebnis um knapp 18 Prozent. Zugleich gelang es, die IT-Betriebskosten um mehr als ein Viertel zu senken. "2009 ist die AutoVision in die Top Five der größten Personaldienstleister in Deutschland gesprungen", stellt Munzel fest. Mindestens so wichtig wie solche harten Fakten sind ihm die "weichen" Ergebnisse seines Projekts: "Die IT-Strategieentwicklung und Umsetzung hat die Akzeptanz und Wahrnehmung durch die User in den Fachbereichen maßgeblich verändert." Das Image der IT habe sich vom "Operator" zum "Innovator gewandelt, der entscheidend zum Geschäftserfolg der Fachbereiche beitrage.
Dennoch kam auch der Leiter Unternehmensentwicklung nicht um einige grundlegende Hausaufgaben in der IT herum. Dazu gehörte der Aufbau von IT-Architekturkompetenz, der Wechsel von SAP 4.7 auf ERP 6.0 sowie die gestartete Einführung von CRM- und MIS-Lösungen. Auch ein zentrales Stammdaten-Management musste das 25-köpfige interne IT-Team erst etablieren.
Das Thema Outsourcing hat für die AutoVision GmbH eine besondere Bedeutung. Neben Bestandteilen der IT-Infrastruktur werden SAP-Anwendungen oder der Helpdesk von der Konzernmutter betrieben. Das Thema Cloud Computing sieht er kritisch: "Man kann auch innerhalb der Firewall Skaleneffekte realisieren", relativiert er ein Kernargument der Cloud-Protagonisten. Für AutoVision bilde letztlich der VW-Konzern eine Art Cloud. Weitergehende Pläne mit öffentlich zugänglichen Cloud-Infrastrukturen, wie sie etwa Amazon offeriert, hegt Munzel jedenfalls nicht: "Als CIO hätte ich große Bedenken, unternehmenskritische Anwendungen in die Cloud auszulagern."
Jörg Munzel, AutoVision
Position: CIO und Leiter Unternehmensentwicklung.
Branche: Personaldienstleistungen (7500 Mitarbeiter).
Ein CIO muss … das Business besser verstehen wollen als die IT.
Er liest gerade ... Die Bibel, insbesondere das Buch Levitikus und das Johannesevangelium.
Er ärgert sich über … Charakterlosigkeit.
Ein Leben ohne Blackberry ist für mich … Luxus und Notwendigkeit, die ich mir gönne.
Wichtigstes Projekt: AutoVision 2.0.
Beschreibung: Umsetzung der Anforderungen an die Informationstechnik im Zusammenhang mit der Unternehmensstrategie "AutoVision 2.0". Komplettes Re-Design der Aufbau- und Ablauforganisation, der Applikationen und Infrastruktur.
Projektbereiche: ERP; CRM; Business Intelligence; Datenqualität/-Management; Service-Management; IT-Governance; ECM, Dokumenten-Management, Archivierung; Wissens-Management; IT-Architektur ; Outsourcing; Mobile Computing; Projekt- und Portfolio-Management; Anwendungsentwicklung; Sonstiges: Organisation, Prozesse, ESS/MSS, digitale Workflows.
Kernprodukte: SAP 6.0, Persis, Microsoft Office Server-Produkte, Cognos TM1, Cursor.
IT-Umgebung: zirka 1100 Clients, zirka 2000 Anwender, zirka 70 Server-Systeme inhouse, SAP und Recruitung Plattform extern gehostet.
Herausforderungen: Ressourcen, Einflussveränderungen durch neue Governance/Prozesse/Funktionen/Budgetallokationen
Zeitrahmen: Ende 2007 bis Mitte 2009.
Projektmitarbeiter: zirka 30 in IT und Fachbereichen (IT-Mitarbeiter insgesamt 19 plus 5 Azubis/Studenten).
Projektbudget: zirka 2,5 Millionen Euro (IT-Budget allgemein 4,5 Millionen Euro).