Forrester beschäftigt sich nicht mehr mit IT", konstatierte der CEO des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens nonchalant - um auf Nachfrage einzuräumen, dass das sicher eine Frage der Definition von IT sei. Gemeint sei in erster Linie die interne, nicht zweckgebundene Informationstechnik, die sich vor allem um Kosten und Kontrolle sorgt. Die werde durch Virtualisierung und Auslagerung in die Cloud tatsächlich immer weniger geschäftsentscheidend.
Deshalb habe sich Forrester schon vor etwa zwei Jahren entschieden, seine Marktforschung für CIOs und die für Marketing-/Strategie-Manager zusammenzuführen, so Colony. Wie der Chef dieser integrierten Research-Abteilung, Cliff Condon, erläutert, wollen die Berater damit für ihre Kunden ein Zeichen setzen: "Auch bei Euch sollten die beiden Bereiche enger zusammenarbeiten."
Es dreht sich um die Kunden der Kunden
Der Endkunde an sich wird bekanntermaßen immer einflussreicher und selbstbewusster: Vor allem die jüngeren und tendenziell mobileren Kunden vergleichen Preise auf Tastendruck, bringen ihre Kritik in öffentlichen Foren zum Ausdruck und kaufen da ein, wo es ihnen passt. Laut Forrester ordern 22 Prozent der europäischen Käufer mindestens einmal im Monat Waren im Ausland.
Um seiner neuen Aufgabe gerecht zu werden, betreibt Forrester daher mittlerweile auch Umfragen, in deren Mittelpunkt die Kunden der Kunden stehen. Dazu zählt der "Customer Experience Index". In dessen Rahmen wurden kürzlich wieder rund 950 Marken weltweit auf Kriterien wie Wert der Kundenerfahrung, Leihttigkeit im Umgang, Loyalität der Kunden und "Freude beim Kauferlebnis" (Enjoyability) abgeklopft. Von den 60 deutschen Marken am besten abgeschnitten hat im vergangenen Jahr übrigens der DM Drogeriemarkt.
Und wo ist die Technik dafür?
Das klingt nun tatsächlich nicht mehr nach Technik. Oder? Schon wieder ein Trugschluss! "Früher oder später wird jedes Unternehmen quasi zu einem Softwareanbieter", so der Vordenker des Marktforschungs- und Analystenhauses. Mit anderen Worten: Um Kunden zu gewinnen, zu bedienen und zu behalten, wird immer mehr Informationstechnik notwendig. Nur eben nicht die Art, die vor allem um sich selbst kreist.
Ob man die nun immer noch IT oder - wie Forrester es zur Unterscheidung von der internen Rationalisierungstechnik tut - Business Technology (BT) nennt, ist sicher Geschmackssache. Wie Colony einräumt, sind die Grenzen zwischen IT und BT ohnehin fließend: So zähle beispielsweise "Privacy" zu den BT-Themen, während die ebenfalls im Security-Bereich beheimatete Firewall eindeutig IT sei.
Die BT, sprich: die kundenzentrierte Technik, bildet nach der Forrester-Definition quasi eine Wolke an der Schnittmenge ganz unterschiedlicher Unternehmensfunktionen. Involviert seien darin sowohl die Marketing- und Strategie-Manager, soweit sie sich mit Technik befassen, als auch die verschiedenen IT-Verantwortlichen (Architektur, Infrastruktur, Security etc.) in mehr oder weniger großem Umfang.
Warum der CDO keine Zukunft hat
Und wer soll die Verantwortung dafür tragen? Jedenfalls kein Chief Digital Officer, so Colony: "Der ist allenfalls eine kurzfristige Randerscheinung." Das Hauptmanko dieser ursprünglich von Forrester-Mitbewerber Gartner definieren Position ist wohl die Konkurrenz, in die sie zwangsläufig gerät: Sie steht zwischen CIO und Chief Marketing Officer (CMO) und wird von beiden als existenzbedrohend wahrgenommen. Grundsätzlich hält der Forrester-Chef wenig davon, sich immer neue Positionen auszudenken. "Eine schlechte Idee" sei auch der Chief Technology Marketing Officer, den einige Unternehmen bereits installiert haben. In den meisten Fällen mangele es diesen Managern an Technikverständnis, kritisiert Colony.
Wer bleibt also übrig? Für Forrester ist die Sache klar: Der CIO muss das Steuer übernehmen, wenn auch im Verein mit dem CMO. Wohlgemerkt: ein CIO, der seinen Elfenbeinturm verlassen hat und sein Budget zunehmend von IT nach BT umschichtet. Derzeit sind die Techniketats der Unternehmen im Durchschnitt zu 77 Prozent der guten alten IT und nur zu 23 Prozent der BT gewidmet, räumt Colony ein. Aber das ändere sich rasant.
Eine zweite CIO-Agenda
Derzeit übt die herkömmliche IT noch eine Art "Schwerkraft" aus, die sich lähmend auf die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen auswirke, haben Colony und seine Leute beobachtet. Diese "IT Gravity" gelte es zu überwinden. Aber nicht, indem der CIO die IT aufgebe, sondern indem er sich eine "zweite Agenda" zulege, die er zudem ständig ausbaue. Eine Agenda, bei der der Kunde ganz oben stehe.
Darüber hinaus müssten CIO und CMO kooperieren, fordert Colony: "Weil es so viele Überschneidungen gibt, ist es absolut nicht sinnvoll, wenn das Thema von zwei unabhängigen Gruppen vorangetrieben wird." Dritter im Bunde muss laut Forrester ein CEO sein, der "im positiven Sinn vom Kunden besessen" ist und dafür sorgt, dass seine beiden BT-Verantwortlichen sinnvoll kooperieren.
Allerdings sei derzeit nur ein kleiner Teil der CIOs, in Europa ganze zehn Prozent, willens und fähig, die damit verbundenen Veränderungen zu tragen, dämpft der Forrester-Chef etwa aufkommende Euphorie im CIO-Lager. Doch die Änderungen seien unvermeidlich. Zwar forderten die Marktauguren schon seit zwei Jahrzehnten eine IT, die sich am Business orientiere. Doch erst die zunehmende Macht der Kunden habe das unausweichlich gemacht.