Die Lufthansa Systems (LH Systems) ist heute wesentlich mehr als nur eine aus organisatorischen Gründen ausgegliederte IT-Abteilung ihrer Muttergesellschaft, der Lufthansa. 1995 aus der IT-Abteilung der Lufthansa heraus entstanden ist sie seitdem selbständig am Markt aktiv. Der Grund für diese Abspaltung war damals eine geänderte Strategie der Lufthansa: Die einzelnen Geschäftsfelder sollten in ihren jeweiligen Branchen oder Arbeitsfeldern selbständig agieren können – unter Beibehaltung ihrer Service-Funktionen für die Lufthansa.
Der Spin-off der LH Systems kümmert sich inzwischen nicht nur um die IT der Mutter Lufthansa, sondern auch um die anderer Fluggesellschaften. CIO Jörg Liebe sieht darin keinen Widerspruch, wie er im Gespräch erläutert. Ähnlich wie mit der Ausgründung der LH Technik habe sich damals der Konzern bewusst dafür entschieden, diesen Weg zu gehen. Die Kernkompetenz der Lufthansa sowie der konkurrierenden Luftfahrtgesellschaften liegt laut Liebe nun einmal nicht in der IT – diese ist nur ein unterstützender Faktor wie viele andere.
Outsourcing oder Ausgründung tangierten eben nicht die Kernkompetenz, was eine Kontrolle und ständige Überprüfung der Tätigkeit des Dienstleisters nicht ausschließe. Insofern sei die Trennung von Lufthansa und Lufthansa Systems eigentlich nichts Besonderes. In vielen Industrien gebe es solche firmenübergreifenden Kooperationen.
Etwas weniger als 60 Prozent des Umsatzes von LH Systems werden gegenwärtig mit Gesellschaften aus dem Lufthansa-Konzern getätigt, zum Beispiel mit der Swiss oder der Austrian Airline. Die übrigen etwas mehr als 40 Prozent kommen aus dem Geschäft mit anderen international tätigen Airlines oder von Kunden aus bestimmten, luftfahrtfernen Industriebereichen. Etwa 300 Airlines weltweit stehen heute auf der Kundenliste der Lufthansa Systems, dazu kommen etwa weitere 150, vor allem deutsche Unternehmen.
Wie Liebe eingesteht, gab es ursprünglich durchaus langwierige interne Diskussionen, ob man für unterschiedliche Kunden den gleichen Höchstleistungsstand an IT garantieren dürfe. Das Ergebnis zeige aber, dass das durchaus funktioniere – gemäß dem ursprünglichen Beschluss von 1995. Man bringe zwar viel Know-how und Erfahrung in die Geschäftsbeziehungen mit anderen Airlines ein, umgekehrt fließe aber das dort gewonnene Wissen wieder zurück zur Lufthansa.
IT für die Lufthansa, IT für die Konkurrenz
Auf die Frage, ob es da nicht einen Widerspruch gebe, denn schließlich müsse die Lufthansa Systems die IT-Interessen ihrer Muttergesellschaft befriedigen, zusätzlich aber auch die von ebenfalls weltweit operierenden ausländischen Fluggesellschaften, antwortet Liebe freimütig: "Wir kommen uns da nicht in die Quere. Es war ja genau die Positionierung, die mit der Ausgründung 1995 beabsichtigt war, ähnlich wie übrigens bei Lufthansa Technik, Lufthansa Cargo oder LSG Sky Chefs. Man wollte damals das jeweilige Know-how nicht nur für Lufthansa Passage, sondern explizit auch für andere Airlines einsetzen."
Von einem Gegensatz der Interessen will man also nichts wissen. Auf die Bemerkung des Autoren, man wolle die jeweils beste IT für die Lufthansa machen, aber auch für andere Fluggesellschaften, antwortet Liebe knapp: "Korrekt."
Liebe ergänzt: "Aus unserer Tätigkeit für den Lufthansa-Konzern können wir sehr viel Know-how in die anderen Projekte einbringen. Umgekehrt können wir aber auch von dort wieder viel Wissen und Fähigkeiten in unsere Leistungen für den Lufthansa-Konzern zurückführen." Coopetition statt simple Konkurrenz. Letztlich biete man eine weltweit aufgestellte IT-Dienstleistung für große Teile der Luftfahrtindustrie. Nicht vergessen sollte man in diesem Zusammenhang, dass jeder Kunde aus der Air Industry seine besonderen Service Level Agreements (SLAs) mit Lufthansa Systems vereinbart hat und darüber hinaus über eigene IT-Mannschaften verfügt, die die Arbeitsteilung steuern und überwachen.
Virtualisierung gehört laut Liebe schon sehr lange zu den Aktivitäten der LH Systems: "Hinzu kommt seit etwa zwei Jahren das Thema Cloud und Cloud Computing, das uns sehr intensiv beschäftigt. So haben wir in unseren Rechenzentren bei den Server-Infrastrukturen im Microsoft-Umfeld einen Virtualisierungsgrad von nahezu 80 Prozent und im Unix/Linux-Umfeld auf Basis von VMware sogar einen Virtualisierungsgrad von über 90 Prozent erreicht." Man sei jetzt dabei, mit Hilfe von VMware weltweite lokale Cloud-Dienstleitungen aufzubauen. Dazu gebe es so genannte vCloud-Datacenter-Zertifizierungen für Rechenzentren, die sowohl im Hinblick auf die eingesetzte IT-Infrastruktur als auch in Bezug auf die im Betrieb eingesetzten Verfahren und Prozesse Kompatibilität garantierten. Liebe: "Daher können wir nun die gesamte Entwicklung und die Tests für Cloud-Lösungen in unseren Umgebungen vornehmen. In einem weiteren Schritt rollen wir dann nur noch diese Lösungen vor Ort aus."
Mit Hilfe der VMware-Tools müsse man jetzt nicht mehr so genau überprüfen, ob man bei der Arbeit mit einem Rechenzentrum in einem anderen Land alle lokalen Gesetzesbestimmungen und alle unternehmensinternen Regeln und SLAs en détail erfülle. LH Systems hat laut Liebe zusammen mit VMware eine Art Patchwork erstellt, das man schnell auf den lokalen Gegebenheiten aufsetzen könne. Liebe führt dazu aus: "Wir können also die komplette Entwicklung an einem Ort durchführen und dann sozusagen in das Ziel-Rechenzentrum an einem anderen Ort oder auch weltweit verteilt implementieren und dort in zertifizierten Umgebungen laufen lassen. Damit können wir sehr schnell für unsere Kunden IT-Ressourcen an nahezu jedem Ort als Infrastructure-as-a-Service oder Software-as-a-Service bereitstellen."
Cloud statt Outsourcing
Mit solchen Cloud-Angeboten will die LH Systems ihre Position auf dem Markt halten und ausbauen. Schließlich springen jetzt fast alle Service-Provider auf den Cloud-Zug auf, und gleichzeitig treten immer mehr neue Player auf, die ihren Anteil vom Service-Kuchen haben wollen. Liebe verweist auf ein Pilotprojekt für die eigenen Cloud-Ambitionen, mit dem man für Flugkapitäne aktuelles Kartenmaterial und tagesgenaue Airport-Informationen zur Verfügung stellt. Das sei besonders dann wichtig, wenn sich plötzlich aufgrund neuer Wetter- oder sonstiger Bedingungen etwas an einem bestimmten Flughafen geändert habe. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Bisher sind auch im Normalbetrieb alle 28 Tage neue Karten auf Papier verteilt worden – ein enormer Aufwand, mit dem zudem nie alle Piloten rechtzeitig erreicht wurden. Digitalisierung und sichere Verteilung der neuen Karten tragen laut Liebe zur Sicherheit des Flugverkehrs bei.
Mit einer eigenen App werden diese Informationen jetzt regelmäßig den Piloten zur Verfügung gestellt. Zurzeit handelt es sich dabei um ein Datavolumen von 400 bis 600 Megabyte, erklärt Liebe, das in einem Zeitfenster von zwei Tagen verteilt werden muss. LH Systems verschickt das jetzt nicht mehr von einem Rechenzentrum aus, sondern verteilt es auf verschiedene Stationen in einem cloud-ähnlichen Prozess.
Liebe präzisiert: "Es geht nicht nur um dieses eine Projekt, sondern es ist zugleich unser Pilotprojekt für zukünftige Vorhaben. Wir wollen mit diesem technologischen Verfahren in der Lage sein, in einem Rechenzentrum in der Nähe des Kunden IT-Rechenleistungen oder Applikationen anbieten zu können. Wir denken je nach Service-Konzept an eine ganze Bandbreite von Aktivitäten." Die Dienstleistungen können direkt im jeweiligen Rechenzentrum vor Ort zur Verfügung gestellt werden. LH Systems übernimmt das Management für die abgerufenen Anwendungen, und zwar aus einem dafür spezialisierten Rechenzentrumsbetrieb.
Inzwischen werde sogar das Management für das eigene Rechenzentrum der LH Systems in Kelsterbach bei Frankfurt von der Ferne aus Budapest durchgeführt. Damit habe man entsprechende Erfahrungen in das neue Projekt einbringen können. Diese eingespielten Fern-Überwachungsaktivitäten tragen dazu bei, die Anforderungen an Security oder Ausfallsicherheit zu erfüllen.
Lokale IT-Angebote - zentral gesteuert
LH Systems entwickelt also eine vordefinierte Infrastruktur auf der Software-Seite, die dann analog zum Ausrollen neuer Anwendungen oder Updates auf Desktop-PCs auf ausgewählte Rechenzentren überspielt wird – je nach Kundenwunsch. Viele Unternehmen ziehen es vor, berichtet Liebe, IT-Dienstleistungen von einem Rechenzentrum in ihrer Nähe zu beziehen – wegen Compliance-Rücksichten, aber auch aus einem Misstrauen heraus, wie es um die Qualität von Rechenzentren in anderen Ländern bestellt sei.
In der Letzten Zeit hat man eine Reihe von Rechenzentren vCloud-gemäß durch VMware zertifizieren lassen, so dass man den Kunden eine globale Auswahl in Sachen geografische Nähe bieten kann. Laut Liebe sind die VMware-Lösungen die Basis für die Virtualisierungsinfrastruktur bei LH Systems. Für das heimische Data Centre in Kelsterbach hat man ebenfalls mit VMware eine Zertifizierung durchgeführt, um die neuen Services auch hierzulande anbieten zu können.
LH Systems hat sich mithin gemeinsam mit VMware ein Instrument geschaffen, um zeitgemäß mit Cloud-Angeboten weltweit operieren zu können. Neue Kunden irgendwo auf dem Globus lassen sich auf diese Weise zügig in diese zertifizierte Infrastruktur integrieren. Man muss laut Liebe nicht jedes Mal bei Null anfangen, sondern kann auf dieser Basis aufsetzen.
Notwendige regionale oder landesspezifische Abweichungen auf der Software-Seite sind in der Luftfahrtindustrie nicht gerade selten, führt Liebe aus: "Diesen können wir jetzt viel schneller gerecht werden." Klassische Vorzüge der Server-Virtualisierung wie das Abfangen von Lastspitzen oder Hochverfügbarkeit seien ein weiterer positiver Effekt.
Man sieht sich als Anbieter von private oder "Community-Cloud" für die Airlines und Industrie-Kunden. Darüber hinausgehende Pläne in Richtung Public Cloud hat man derzeit bei LH Systems nicht, berichtet Liebe. Mit der Virtualisierung setze man den alten Outsourcing-Ansatz fort, allerdings mit der Möglichkeit, jetzt ganz andere Preisvorteile für die Kunden geben zu können. Man beobachtet ausführlich, so Liebe, den Markt für Public-Cloud-Angebote, um gegebenenfalls bestimmte Modelle in die eigenen Private-Cloud-Ansätze aufnehmen zu können.
Amazon gibt den Takt vor
"Konkret heißt das", so fährt Liebe fort, "dass man zum Beispiel bestimmte Storage-Kapazität aus der Cloud übernehmen kann. Kauft man direkt Storage-Kapazität bei einem Hersteller ein, muss man fast immer feststellen, dass die Preise nach einem Jahr wieder um 20 bis 25 Prozent gesunken sind, die Abschreibung der Kosten aber über die nächsten Jahre auf Basis der ursprünglichen "Einstandskosten" erfolgt. Bei Storage aus der Cloud bezieht man immer nur die tatsächlich genutzte Menge, und das zu Tagespreisen."
Amazon S3 mit seinen Skalierungsmöglichkeiten und seinen günstigen Preisen hat seine Wirkung auf Provider im Business-Umfeld nicht verfehlt. An vielen Fronten, ob bei HP, British Telecom, Colt, T-Systems oder LH Systems, arbeitet man intensiv daran, mit vergleichbar attraktiven Angeboten die Kundengunst (zurück) zu gewinnen. Wie das Rennen ausgehen wird, ist zurzeit noch offen. Wer wirklich die Nase vorn hat, wird sich zeigen – Amazon hat sich jedenfalls schon vom amerikanischen Markt, wo man sehr viele Kunden hat, emanzipiert und strebt eine weltweite Position an.
Diese Entwicklung setzt international Maßstäbe. Klassische Outsourcer und neue Cloud-Provider müssen sich nolens volens am Erfolg von Amazon orientieren. Das weiß auch Liebe. Und weil man eine starke Stellung im Aviation-Sektor hat, kann man natürlich mit diesem Pfund etwas wuchern. Direkte Konkurrenten gibt es hier nun mal nicht so viele. Jedenfalls nicht im Augenblick.