Zum ersten Mal seit Mario Draghi 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank wurde, fehlt er beim Weltwirtschaftsforum (WEF). Dennoch ist der Italiener allgegenwärtig. "Er ist quasi der Geist von Davos", sagt ein Manager. Angela Merkel hingegen ist ganz real. Eine unergründliche WEF-Regie hat es gewollt, dass sie am Donnerstag praktisch zeitgleich mit Draghi vor die Live-Kameras der Welt tritt: Der EZB-Chef in Frankfurt, die Kanzlerin beim Elitentreffen in den Schweizer Alpen.
So mancher im längst nicht ganz gefüllten Davoser Kongresszentrum kann der Versuchung nicht widerstehen, während Merkels Auftritt auf dem Smartphone die Eilmeldungen vom Main über die milliardenschweren Anleihenkäufe der EZB zu verfolgen. "Draghi ist nun mal derzeit die bedeutendste Persönlichkeit der Welt", hatte vorher der Chef der britischen Großbank HSBC, Douglas Flint, gesagt.
Doch die Kanzlerin denkt nicht daran, sich die Show stehlen zu lassen. Natürlich weiß sie längst, zumindest in groben Zügen, was Draghi zu verkünden hat. Schon vorige Woche soll er dem Vernehmen nach die mächtigste Politikerin Europas in die absehbare EZB-Entscheidung eingeweiht haben.
Ihre Skepsis, ja Abneigung hat der Italiener der Deutschen offenkundig nicht nehmen können. Daraus macht Merkel, flankiert von fast der Hälfte aller deutschen Kabinettsminister, in Davos keinen Hehl.
"Zeitkaufen" nennt sie das EZB-Programm. Dabei sei doch schon so viel Zeit vergeudet worden, bis in Europa endlich die - zumindest aus deutscher Sicht - dringend notwendigen Strukturreformen in Angriff genommen wurden. Von März an will die EZB eineinhalb Jahre lang jeden Monat Anleihen von Staaten und Unternehmen im Umfang von Anleihen von 60 Milliarden Euro aufkaufen, um die Wirtschaft zu stimulieren.
Die deutsche Regierung hält das für eine Ablenkung vom rechten Reformweg. Eine Verzerrung der Wettbewerbsfähigkeit, statt deren Stärkung, wie Merkel im live übertragenen Gespräch mit WEF-Gründer Klaus Schwab darlegt.
Angesichts rekordtiefer Zinsen sei die Welt doch schon längst "gut versorgt mit Liquidität". Viel zu groß - so die deutsche Logik - ist dadurch die Gefahr, das einzelne Länder die nötigen Reformen wieder schleifen lassen. Und eines Tages ein böses Erwachen erleben: Man solle sich nicht wundern, wenn durch eine ultralockere Geldpolitik verdeckten Leistungsunterschiede plötzlich wieder mit Macht ans Licht kommen.
Deutschland habe gezeigt, dass eine "wachstumsorientierte Konsolidierung des Haushalts möglich ist", sagt Merkel und verweist darauf, dass die Bundesrepublik nun erstmal seit 1969 keine neuen Schulden gemacht hat.
Es gebe in Europa bei der Geldpolitik wohl "zwei Glaubensrichtungen", meint Klaus Schwab. "Und es scheint, dass eine Glaubensrichtung nun gesiegt hat", sagt er mit Blick auf die EZB. "Es besteht das Gefühl, dass jetzt die Tore geöffnet sind."
Mag sein, aber Deutschland geht weiter seien Weg. Daran lässt die Kanzlerin in Davos keinen Zweifel: "Ich lege Wert darauf, dass wir unser Feld eher noch entschiedener bestellen, als dass wir uns darauf verlassen, dass das Zeitkaufen durch andere Maßnahmen uns irgendwie von dem Thema Strukturreformen befreien wird." (dpa/rs)