Change Management ist kein Projektthema, sondern eine unternehmensweite Aufgabe quer durch alle Hierarchien, meint Stefan Oldenburg von der Hamburger Gesellschaft für Veränderungsmanagement. Der stete Wandel lässt sich daher nicht einfach als Budgetposten im Projektplan unterbringen.
CIO: Was ist Change Management: eine Aufgabe im Projekt oder eine unternehmensweite Verpflichtung?
Stefan Oldenburg: Man muss Change Management unbedingt als unternehmensweite Aufgabe über alle Ebenen hinweg verstehen. Das fängt bei der Geschäftsleitung an und geht bis zum einzelnen Mitarbeiter, wenn auch mit unterschiedlichen Verantwortungsgraden.
Je höher man in der Hierarchie geht, desto größer die Verantwortung für Change Management. Auf Dauer kann kein Unternehmen - egal, wie groß und aus welcher Branche - ohne Veränderungen überleben. Das hat mit veränderten ökonomischen Bedingungen zu tun, aber auch mit konkreten Problemen, etwa Kunden, die nicht angemessen bedient werden oder Prozessen, die nicht richtig laufen.
CIO: Die Aufgabe, Change Management zu betreiben, ergibt sich also nicht nur, weil ich etwas verändern möchte, sondern ist die Voraussetzung dafür, damit sich überhaupt etwas verändern kann?
Oldenburg: So ist es. Change Management hat eine aktive und eine reaktive Komponente. Was man gemeinhin kennt, ist die reaktive: Da kommt was auf uns zu und irgendwie müssen wir damit klarkommen. Das ist zwar richtig, reicht aber nicht aus.
Im Prinzip muss jeder einzelne schon im Vorfeld schauen - als Führungskraft mit höherer Verantwortung allemal -, wo Veränderungen angestoßen werden müssen. Das aber ist ein proaktiver Prozess.
CIO: Ist das nicht banal: Jeder muss sich ändern, wir müssen unser Unternehmen an veränderte Bedingungen anpassen... Das würde sicher jeder unterschreiben. Aber was ist das Besondere eines Change Managements?
Oldenburg: Sie haben Recht, das kann zur Banalität werden. Das Besondere entsteht dann, wenn ich mich aktiv um die Gestaltung des Wandels kümmere. Das ist aber nicht selbstverständlich.
Veränderungen werden nur sachlogisch betrachtet
CIOs und Führungskräfte im IT-Bereich sind da besonders gefährdet. Hier gibt es das Phänomen, Veränderungen vor allem technisch zu beurteilen, wir nennen das "sachlogisch". Da gibt es Systeme und Prozesse, ein neues Release oder den Roll-out einer neuen Lösung.
Solche Projekte sind oft nach rein logischen Gesichtspunkten mit der linken Gehirnhälfte konstruiert. Dahinter steckt die Vermutung, dass man das, was man will, auch versteht und es einfach nur machen muss. Das endet zum Beispiel in der "Einsicht", dass am Ende der Einführung neuer Technologien nur die Anwender entsprechend schulen muss, damit nachher alles richtig läuft. Um die Nutzer neuer Lösungen muss man sich dabei keine großen Gedanken machen, weil die Dinge bereits durch die Sachlogik vorgegeben sind.
CIO: Sachlogik heißt: Es ist durch wirtschaftliche Bedingungen vorgegeben zu sparen oder effizienter zu werden und daher nicht wichtig, sich um die Akzeptanz der Anwender zu kümmern?
Oldenburg: Ja. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die menschliche Komponente. Und insofern muss Change Management immer auch Teil eines jeden Projekts sein, nicht nur große Unternehmensaufgabe. Jede Veränderung, besonders solche mit IT-Bezug, betrifft die Arbeit von Menschen. Die Mitarbeiter sind grundsätzlich eher wenig begeistert von Veränderungen, weil sie Ängste und Sorgen auslösen: Schaffe ich die neue Arbeit, verstehe ich das neue System oder ist gar mein Arbeitsplatz gefährdet, weil die neue Technologie meine Arbeit überflüssig macht?
Es reicht nicht, Change Management als Budget-Posten im Projekt zu definieren
Diese Sorgen muss ich als Projektleiter von vorneherein im Blick haben. Und da reicht es nicht, unter Punkt 8.5 im Budgetplan für das Projekt einen Posten zu definieren. Wobei es schon ein Fortschritt wäre, das Thema Change überhaupt mit den Mitarbeitern zu verbinden, schon das ist keine Selbstverständlichkeit.
CIO: Also gehört Change Management so ins Projekt, dass die Verantwortlichen von vorneherein im Kopf haben, wie sich neue Technologien im Unternehmen auswirken?
Oldenburg: Das und vor allem: wen es betrifft. Da geht es darum, auch die Bedarfslage der Anwender zu erfassen, nicht nur die sachlogischen Indikatoren. Normalerweise kommen Impulse für Veränderungen gerade in der IT durch neue technische Möglichkeiten und Angebote, die sich daraus ergeben. Aber wenn man in die Welt durch die Brille eines Anwenders schaut, ergeben sich naturgemäß auch andere Blickwinkel.
Letztlich ist das Psychologie, die zum Projekt dazu gehört: die Menschen zu befragen, wie sie als Anwender eines Systems zurecht kommen. Aber es ist wichtig für die Entscheidungsfindung, nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu beschließen. Für diese Einbeziehung ist zudem wichtig, so früh wie möglich für Information, Kommunikation und Transparenz über ein Projekt zu sorgen.
CIO: Wie wichtig ist die Psychologie im Projekt?
Oldenburg: Es gibt beide Seiten: die sachlogische und die psychologische. Ein Projekt hat ja zunächst einmal eine rationale Zielsetzung: Man will zum Beispiel Prozesse verkürzen oder eine bestimmte Datenqualität gewinnen, und am Ende möchte man die Ziele mit Zahlen belegen. Das ist eine sachlogisch gegebene und möglichst gute Problemlösung.
Mitarbeiter tragen Veränderungen mit oder leisten passiven Widerstand
Und dann gibt es die andere Seite, wo man sich damit beschäftigt, wie die Menschen betroffen sind. Die Mitarbeiter eines Unternehmens haben eine bestimmte Interessenlage, bei einer Veränderung mitzumachen oder im schlimmsten Fall in den passiven Widerstand zu gehen. Daher muss es ebenso das Ziel eines Projekts sein, auf dieser menschlichen Seite Akzeptanz und Commitment für neue Technologien zu erreichen.
Dieses Commitment muss ich aber von vorneherein im Blick haben. Ich kann nicht einfach eine Veränderung planen, dann in die Realisierung gehen und irgendwann später - wenn sich zum Beispiel Widerstände zeigen - an das Thema Commitment denken. Dann kriege ich das nicht mehr hin.
CIO: Glauben Sie, dass CIOs oder IT-Leiter dieser ambitionierten Aufgabe gewachsen sind?
Oldenburg: Darüber maße ich mir kein pauschales Urteil an. Aber gerade weil die IT eher technisch und sachlogisch geprägt ist, wird man dort häufiger darauf stoßen, dass diese Grundhaltung fehlt. Das ist zwar ein generelles Problem in allen Unternehmensbereichen, aber der IT-Bereich ist da schon besonders gefährdet.
CIO: Was macht einen guten Change Manager aus?
Oldenburg: Ein guter Veränderungsmanager hat immer die Dualität von Sachlogik auf der einen und Psychologik auf der anderen Seite im Blick. Aber es gibt noch eine zweite Brücke zu schlagen: die zwischen oben und unten. Das Oben steht für die Gesamtaspekte, die ein Unternehmen als Ganzes betreffen, zugespitzt gesagt: für die Perspektive der Geschäftsleitung. Unten steht die Sichtweise des einzelnen Mitarbeiters, die aber genau so wichtig ist, weil sich bei ihm alle großen Anforderungen und Lösungen in der Praxis bewähren müssen.
CIO: Viele Studien sprechen davon, dass die meisten Projekte scheitern. Wie kommt das?
Oldenburg: Man muss da zunächst mal differenzieren: Scheitern heißt ja nun nicht, dass alles komplett in die Hose geht, sondern dass einzelne Ziel nicht erreicht werden. Ein Projekt gilt als gescheitert, wenn es zu lange dauert oder mehr Ressourcen und Budget verschlingt, als man sich vorher gedacht hat. Man muss also auch definieren, was scheitern heißt.
Der menschliche Faktor wird zu wenig berücksichtigt
Wenn man sich nun anschaut, warum einzelne Ziele nicht genau erreicht werden, dann ist in den wenigsten Fällen eine schlechte Planung daran Schuld. Fast immer aber stößt man in der Analyse solcher Projekte aber darauf, dass der menschliche Faktor nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
CIO: Also letztlich darauf, dass das Change Management nicht erfolgreich war?
Oldenburg: Es gibt ja durchaus Menschen, die von Change Management reden, aber nur die technische Seite meinen, statt ein ganzheitlichen Verständnis davon zu pflegen. Das Scheitern entsteht zum Beispiel daraus, dass man eben keine Transparenz schafft, nicht genügend kommuniziert und über neue Technologien informiert.
Viele Projektbestandteile ähneln einer Blackbox: Niemand sieht, was passiert. Von diesem Phänomen sind nicht nur die künftigen Anwender betroffen, sondern auch Projektverantwortliche und -Mitarbeiter. Auch in den Projektteams ist zu Beginn eines Projekts vieles im Unklaren und Ungefähren. Da gibt es dann die Haltung, dass man nicht über etwas informieren kann, was man selber noch nicht weiß.
CIO: Das ist doch vernünftig, über unklare Fragen nicht noch mehr Unruhe in das Unternehmen zu bringen.
Jede nicht gelieferte Information sorgt für Gerüchte
Oldenburg: Leider bekommt diese Haltung dann aber oft eine Eigengesetzlichkeit: Jede nicht gelieferte Information fördert Gerüchte. Und kaum etwas schadet einem Projekt mehr als unbestätigtes Gerede. Letztlich geht der Schuss nach hinten los, wenn man meint, die Betroffenen schützen zu müssen, weil man selber noch nicht alles weiß.
Man kann Mitarbeitern ohne weiteres sagen, dass man selber noch nicht alle Dinge eines Projektes kennt. Wenn ich in Einzelfragen noch kein Allwissen habe, muss ich aber vermitteln, in welcher Schrittfolge sich Projektteam und Gesamtunternehmen der Lösung einzelner Fragen und Probleme nähern.
CIO: Dem Wandel im Unternehmen haftet aufgrund möglicher Auswirkungen auf den Arbeitsalltag der Mitarbeiter oder auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes insgesamt ein negatives Image an. Wie schaffe ich es, Change positiv zu definieren?
Oldenburg: Wenn es im Unternehmen eine Kultur für Veränderungen gibt, stellen sich viele dieser Fragen gar nicht. Das geht - verkürzt gesagt - nur mühselig und über praktische Übungen. Eine Change-Kultur kann man nicht beschließen oder durch Leitbilder schaffen.
Kultur ist das, was durch das aktive Handeln von Verantwortlichen und Mitarbeitern über einen gewissen Zeitraum geprägt wird. Erleben die Mitarbeiter dagegen einen Unterschied zwischen den Leitbildern und der Realität, entstehen die Ängste und Sorgen vor dem Wandel.
CIO: Und das Positive?
Bei Change geht es nicht immer um Personalabbau und Sparmaßnahmen
Oldenburg: Nun ist es ja zum Glück so, dass es in Unternehmen nicht immer nur um Einsparungen und Personalabbau geht. Es gibt ja auch Firmen, die so stark expandieren, dass deshalb Veränderungen in der Struktur und den Prozessen nötig sind. Hinter diesen Veränderungen steckt dann die Botschaft, dass es dem Unternehmen gut geht und dass etwas unternommen wird, um einzelne Mitarbeiter zu entlasten.
Zudem ist die Expansion eines Unternehmens oft damit verbunden, dass die einzelnen Mitarbeiter eine Menge Überstunden schieben müssen, um das über die Bühne zu bringen. Dann kann Change bedeuten, dass man über veränderte Strukturen die einzelnen Mitarbeiter entlastet. Und das ist ja etwas außerordentlich Positives.
CIO: Aufgrund seiner oft technisch geprägten Sichtweise ist der CIO vielleicht nicht die Idealbesetzung als Change Manager. Bei wem findet der IT-Leiter denn qualifizierte Hilfe?
Oldenburg: In der Regel in der Personalabteilung. Wenn die beiden sich zusammentun, wäre das eine gute Sache. Personalverantwortliche haben einfach ein größeres Verständnis für die menschliche Seite einer Entscheidung.
Neulich hat uns ein Kunde angerufen und uns um Hilfe bei einem IT-Projekt gebeten, an dem schon ein dreiviertel Jahr gearbeitet wurde. Nun kam man endlich auf die Idee, das Projekt auch den Mitarbeitern zu vermitteln. Das Pikante daran war, dass es nicht die IT- sondern die Personalabteilung des Unternehmens war, die uns in Eigeninitiative angerufen hat. Das Thema Change Management war noch gar nicht bis ins Projektteam vorgedrungen, und es ging bei der Anfrage darum, wie man die IT-Abteilung von der Notwendigkeit der Change-Prozessgestaltung überzeugen könnte.
CIO: Dabei trägt doch die IT-Abteilung in ihren Projekten für das Change Management eine besondere Verantwortung, gerade weil diese Projekte sich meistens so stark auf das Unternehmen auswirken.
Es liegt im Interesse des CIO, Change Management zu betreiben
Oldenburg: Das stimmt doppelt: Einerseits sind die Auswirkungen von IT-Projekten in der Regel unternehmensweit über mehrere Abteilungen hinweg zu spüren. Andererseits sind gerade hier einzelne Maßnahmen für die Mitarbeiter nur schwer verstehbar. Niemand kann nachvollziehen, was in den grauen Kisten auf dem Schreibtisch passiert. Bei Veränderungsmaßnahmen im Kundengeschäft ist das ganz anders, das versteht jeder.
Auch die Ängste, dass durch ein technisches System menschliche Arbeit überflüssig werden könnte, ist bei IT-Projekten höher als anderswo im Unternehmen. Es liegt also im Interesse des CIOs, Change Management zu betreiben. Nur, wenn ich die Mitarbeiter mitnehme, wird ein neues System am Ende auch funktionieren.
Der Personal- und Organisationsentwickler Stefan Oldenburg ist geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Gesellschaft für Veränderungsmanagement.
5 Tipps für Ihr Change Management
(von Stefan Oldenburg, HGVM Hamburger Gesellschaft für Veränderungs-Management )
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Machen Sie sich bewusst, wie Sie selbst auf Veränderungen von anderer Seite reagieren und seien Sie ehrlich zu sich selbst. Haben Sie solche Veränderungen bisher eher als Chance oder eher als lästig oder sogar bedrohlich erlebt? Auch bei Ihren Mitarbeitern wird es beide Fälle geben. Und wenn Sie selbst eine anstehende Veränderung vor allem als Chance sehen, aber davon ausgehen müssen, dass viele Ihrer Mitarbeiter diese Ansicht nicht teilen, dann besteht Ihre Aufgabe vor allem darin, zu informieren, zu erklären und Verständnis zu schaffen.
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Wann sind Menschen überhaupt bereit, sich zu verändern? Hierfür gibt es nur zwei Situationen. Entweder ist die Veränderung nötig, um drohendes Unheil abzuwenden (Push-Situation). Dann bedarf es vor allem offener Information und Klarheit über die drohenden Folgen im Fall des Nichthandelns. Hier ist also Sachlichkeit gefordert. Oder die Veränderung schafft die Möglichkeit, ein hoch attraktives Ziel zu erreichen (Pull-Situation). Dann ist vor allem Begeisterungsfähigkeit wichtig, damit alle etwas von der Motivation abbekommen, sich auf den Weg zu machen. Das heißt, in diesem Fall ist es erforderlich, dass Sie Ihre Mitarbeiter auch emotional mitnehmen.
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In jedem Fall sollten Sie darauf achten, wichtige Meinungsträger einzubeziehen, und zwar unabhängig von deren Funktion und hierarchischer Position. Hier geht es allein um den Einfluss im Rahmen des Flurfunks. Je mehr jemand als Kritiker bekannt ist, umso mehr sollten Sie sich um ihn oder sie kümmern. Übrigens: Manchmal haben diese Menschen richtig gute Gedanken. Und wenn sie ernst genommen werden, haben sie auch keine Veranlassung, sich als Untergrundkämpfer zu betätigen.
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Mit einmal informieren ist es nicht getan. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, in regelmäßigen Abständen darüber zu informieren, was gerade Sache ist und wo Ihr Projekt steht. Ganz besonders dann, wenn kritische Umstände auftauchen. Ihre Mitarbeiter sprechen ohnehin darüber. Besser, Sie nehmen auf die Kommunikation Einfluss. Und warten Sie nicht darauf, dass Ihnen selbst alles restlos klar ist. Dann haben sich in der Zwischenzeit schon so viele interessante Gerüchte gebildet, dass die wahre Information nur noch geringe Aufmerksamkeit findet und Sie vor allem mit der Gerüchtebekmpfung ausgelastet sind.
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Planen Sie Ihr Projekt so, dass Sie an einigen Punkten schnell erste Erfolge schaffen (sogenannte Quick Wins). Das ist gut für die Stimmung, zeigt den Skeptikern, dass Veränderungen auch etwas bringen, und fördert die Motivation für die schwierigeren Schritte.