Als am vergangenen Mittwoch die Münchener Stadträte über Linux versus Microsoft abgestimmt haben, hat keiner von ihnen mit einer solchen Öffentlichkeitswirkung rechnen dürfen: Es ging um 30 Millionen Euro, mit denen Linux auf Server und Clients migriert werden soll. So viel setzt Microsoft in ungefähr acht Stunden um, und so viel verfrühstückt der öffentliche Apparat in München an etwa drei Tagen. Trotzdem springen die General-Interest-Medien bereitwillig auf das Thema an, dass die Leser unserer Website bereits abschließend debattiert hatten. Warum?
Allein das Abstimmungsergebnis hat Unterhaltungswert: SPD, Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste, FDP, ÖDP, REP und PDS entschieden für Linux, nur die CSU votierte für MS. Symbolhafter konnte die Entscheidung gar nicht ausfallen. Eine etablierte Partei versucht, eine etablierte Firma zu schützen und der bunte Haufen pflegt natürlich den Graswurzel-Ansatz der Linux-Gemeinde.
Auf das Argument der CSU, bei Linux handele es sich um ein unausgegorenes und riskantes Software-Abenteuer, antwortet Oliver Strixner stellvertretend für die meisten Teilnehmer unserer Online-Debatte: "Die meisten Webhoster dieses Planeten setzen auf Linux-basierte Systeme, der OSS-Webserver Apache ist Weltmarktführer. Mittlerweile hat Linux auch im Client-Bereich aufgeholt. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, warum als Betriebsystem-Plattform Linux nicht die erste Wahl sein soll."
Auch ein nachgeordnetes Argument der CSU lässt sich entkräften: Die Bedenken der IT-Beauftragten der großen Referate wie des Sozialreferats oder Baureferats seien nicht berücksichtigt worden, mäkeln die CSU-Stadträte an. Das mag stimmen, gehört aber wohl bei jeder größeren Software-Migration dazu. Bedenkenträger gibt es immer. Einer unserer Debattenteilnehmer meint dazu: "Herr Ude, wechseln Sie. Und was das spätere Gerede über 'das wäre vorher nicht passiert' angeht ... das kennt doch jeder. Letztendlich werden nach einigen Jahren die Zahlen sprechen."
Für den überwiegenden Teil unserer Diskutanten stand bereits vor vier Wochen fest, dass eine Entscheidung für Linux, der Stadt München und vor allem seinem gebeutelten Haushalt gut tut. Dass die Washington Post den Vorfall jetzt als "Munich Revolution" betitelt, ist leicht übertrieben. In München hat noch nie eine Revolution stattgefunden. Die einzigen Versuche von 1919 und 1923 sind schief gegangen - Gott sei Dank. München ist auch nicht die erste Stadt die sich für Linux entschieden hat. Schwäbisch Hall migrierte früher - wenn auch nicht auf 14000 Computern.
Der "Mauerfall an der Isar" ist ebenso reißerisch, wobei Spiegel-Schreiber Klaus-Peter Kerbusk die Entscheidung der Münchener Lokalpolitiker richtig einsortiert und mit dem überzogenen Vergleich nur den Suse-Chef Richard Seibt zitiert. Dass ein Linux-Anbieter das Votum des Stadtrats gerne hochjubelt, liegt auf der Hand. Bei einem derzeitigen Marktanteil der Linux-Server von 26 Prozent (Quelle: IDC) und bei einem von mehreren Seiten prognostizierten Wachstum im Office-Bereich, ist das Auftauchen eines Pinguins in der Isar allerdings gar nicht so überraschend, wie Seibt glauben machen will. Eigentlich ist die Migration von Windows NT zu Linux und damit einhergehend der Wechsel auf eine Open Source Office-Lösung eher evolutionär statt revolutionär. Schade, dass bislang noch keine Städte wie Bremen oder Berlin auf die Idee gekommen sind. Wer wirklich pleite ist, sollte langsam zum Umdenken bereit sein.