Ralf Schneider würde gerne einkaufen wie Autobauer oder Lebensmittel-Discounter: "Die bekommen so attraktive Konditionen, weil sie jederzeit ihre Waren woanders kaufen können - und das auch rigoros tun", schwärmt der CIO der Allianz-Gruppe, der weltweit Gleiches durchsetzen will. Nur anders als bei Kotflügeln oder Nudeln ist es in der IT sehr viel schwieriger, den Hersteller zu wechseln. "Gemessen am zentralen Einkauf der Automobilhersteller oder der Discounter stehen wir noch ganz am Anfang der Entwicklung", räumt der CIO ein, der gleichzeitig Vorstandsmitglied der Shared Service Organisation des Versicherers ist, der Allianz Managed Operations & Services SE (AMOS).
Immerhin, erste Erfolge liegen vor: "Durch unseren Multi-Sourcing-Ansatz, den wir bisher nur im Bereich Anwendungsentwicklung und Wartung durchgehend realisiert haben, sparen die Allianz-Gesellschaften weltweit jährlich einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag ein", erläutert Peter Burri, Leiter Global IT Sourcing & Procurement. Multi-Sourcing bedeutet dabei, den auf mehrere hundert Dienstleister angewachsenen Supplier-Pool auf acht feste Lieferanten zu reduzieren und ihre Zusammenarbeit bestmöglich zu koordinieren. In der Bündelung dieser Volumina steckt, wie man an den Angaben von Burri erkennt, enormes Potenzial.
Aufgrund des Erfolgs, den die bisher ausgehandelten globalen Rahmenverträge und die Benennung der global tätigen IT-Dienstleister gebracht haben, ist das Verfahren seit Anfang dieses Jahres auch auf den Bereich IT-Infrastruktur ausgedehnt worden.
Die Unternehmensdaten der Allianz SE
Unternehmen |
Allianz SE |
Hauptsitz |
München |
Umsatz |
106.451 Millionen Euro (für 2010) |
Mitarbeiter |
149.436 |
IT-Kennzahlen |
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IT-Mitarbeiter |
circa 10.000 weltweit (21.07.2011) |
IT-Budget |
circa 2,3 Milliarden Euro weltweit (2010) |
CIO |
Ralf Schneider |
IT-Benutzer |
241.000 |
Die vier strategischen Plattformen
Heute ist die Applikationsvielfalt der Allianz jedenfalls auf vier strategische Business-Plattformen reduziert. Im Bereich Kernversicherungssysteme und Customer Interaction setzt die Versicherungsgruppe auf drei selbst entwickelte Applikationen: ABS für Europa, Opus für Asien sowie ePac für die iberischen Länder und Südamerika. Die Portale für die Kundenkommunikation basieren auf Open-Source-Software. Im Bereich ERP & Finance setzt man im Wesentlichen auf die SAP-Plattform, und das Thema Business Intelligence (BI) bearbeitet die Allianz mit der Plattform des amerikanischen Anbieters SAS. Außer den gesetzten Plattformanbietern SAP und SAS haben IT und zentraler Einkauf weitere sechs global agierende IT-Dienstleister als Lieferanten im Bereich Anwendungsentwicklung und Wartung gelistet.
Für den Bereich Kernversicherungssysteme sind das neben Accenture und Capgemini die beiden in Indien beheimateten Lieferanten Hindustan Computer Limited (HCL) und Tata Consultancy Services (TCS). Im Aufgabengebiet ERP & Finance verlässt sich die Allianz auf Accenture, Ciber, IBM und für Spezialbereiche SAP. Um das Thema BI kümmern sich als strategische Partner Accenture, Capgemini, TCS und der Plattformanbieter SAS, auch hier wiederum für spezielle Bereiche. Um jedoch auch genügend IT- und Implementierungs-Know-how im eigenen Haus zu behalten, schreiben die hausinternen Multi-Sourcing-Regeln vor, dass künftig 20 Prozent jedes fremdgesourcten Projekts vom internen Dienstleister der Allianz in Indien geleistet werden.
Schneider und Burri ergänzen sich in ihrem Treiben offensichtlich gut. Während Schneider mit Organisationstalent und Durchsetzungsvermögen die IT-Strategie entwickelt und ihre globale Umsetzung und Einhaltung sicherstellt, versteckt der gelernte IT-ler Burri sein Einkaufs-Know-how hinter gut sitzender schweizerischer Verbindlichkeit. Man kann sich gut vorstellen, dass die beiden jeden noch so ausgekochten Vertriebsverantwortlichen ins Schwitzen bringen. Diesen kombinierten Vendor-Schreck hat die Allianz zum Programm erhoben. Durch den Schulterschluss zwischen IT und zentralem Einkauf kann sie den Wunsch der Tochtergesellschaften auf Qualität zu angemessenen Preisen besser durchsetzen.
Dabei hilft ihr die enorme Einkaufsmacht. Die Versicherungsgruppe hat im Jahr 2010 rund 2,3 Milliarden Euro für IT ausgegeben. Die 250 operativen Einheiten verfolgen eine einheitliche Strategie: „Wir haben uns vorgenommen, die bestmöglichen Economies of Scale, Skill and Scope zu heben“, postuliert Schneider und pocht auf Professionalität, Disziplin und Komplexitätsreduktion.
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Professionalität bedeutet dabei, dass IT und Einkauf sich auf die Dinge konzentrieren, die sie beherrschen. "IT-ler sind entgegen ihrer Selbsteinschätzung meistens keine guten Verhandler, und Einkäufer sind keine IT-Spezialisten", so Schneider.
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Disziplin heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass sich alle weltweit verteilten Organisationseinheiten der Allianz-Gruppe an den einmal gewählten Weg, die Methode und die Regeln halten.
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Komplexitätsreduktion bedeutet, verbindliche Standards einzuführen und den früheren Zoo an Plattformen und Anwendungen auf eine global handhabbare Menge zu reduzieren. "Komplexität skaliert nicht", spricht Schneider.
Der IT-Einkauf überlässt dabei nichts dem Zufall. Die Allianz hat 3500 verschiedene Preispunkte festgelegt, die obendrein für jedes Land voneinander abweichen können. In der Ukraine zum Beispiel schlägt die Programmierstunde anders zu Buche als in Österreich. Rahmenverträge mit Multi-Sourcern und Plattformanbietern weisen Preisobergrenzen, aber keine garantierten Abnahmevolumina auf.
Bei Projektausschreibungen werden die gelisteten Lieferanten gebeten, dezidierte Kostenvoranschläge einzureichen. "Die Entscheidung, sie als Multisourcer bei uns zu listen, ist praktisch nur die Eintrittskarte für das konkrete Bietverfahren. Deshalb haben wir auch pro Domäne vier Lieferanten", berichtet Burri. Das einheitliche Dienstleistungsportfolio hat einen weiteren Vorteil: "Wenn wir beispielsweise von einem Business-Architekten sprechen, dann meint die gesamte Allianz Welt inklusive ihrer Zulieferer das Gleiche." Einheitlichkeit auf dieser Ebene erleichtert den Wechsel von einem Provider zum anderen, bestätigt Schneider.
SAP und SAS schwer auszutauschen
Die Allianz-Töchter in den rund 70 Ländern kontrollieren ihre Lieferanten über Ratecards. Einem ähnlichen Controlling werden die externen Mitarbeiter unterzogen. Unter dem Punkt "Thought Leadership" bewerten die Verantwortlichen, ob ein Projekt vom Dienstleister ausreichend mit erfahrenen Experten besetzt ist. Minutiös ausgearbeitete Rahmenverträge enthalten alle notwendigen Regeln und rechtlichen Vorgaben. "Der Aufwand dafür ist gerechtfertigt, wenn das Unternehmen die Möglichkeit eines Anbieterwechsels jederzeit aufrechterhalten kann", erläutert Schneider. Verliere ein Unternehmen die Fähigkeit zu wechseln, gerate es automatisch in eine schlechtere Verhandlungsposition.
Bei den Plattformanbietern SAP und SAS kann die Allianz nicht ohne Weiteres wechseln. Aber selbst da lässt sich Schneider nicht einschüchtern: "Wenn wir langfristig mit einem Anbieter kooperieren, dann muss er uns auch einiges bieten. Wir machen auch deutlich, dass wir uns als Kunde die Möglichkeit zum Wechsel nicht nehmen lassen." Zuletzt hat das IBM getroffen. Die Allianz habe beschlossen, vom Mainframe unabhängiger zu werden und gleichzeitig Mainframes unter Linux laufen zu lassen. "Beide Entscheidungen haben unsere Position in Verhandlungen zum Beispiel mit IBM sicherlich nicht geschwächt", sagt Schneider.
Services nicht einheitlich definiert
Bei Dienstleistern ist der Wechsel zwar prinzipiell einfacher, setzt aber standardisierte Services voraus, Transparenz über die Leistungserbringung, eine einheitliche Sprache und eine genaue Dokumentation. Erst nachdem diese Hausaufgaben erledigt waren - das nahm rund acht Monate in Anspruch -, waren IT und zentraler IT-Einkauf auf Augenhöhe mit den Lieferanten. "Beide Seiten müssen sich umstellen", ist Schneider überzeugt. Noch vermisst der CIO bei seinen Vendoren die gleiche globale Durchgängigkeit wie in seiner Organisation. So gebe es in den verschiedenen Landesorganisationen noch unterschiedliche Aussagen zu den gleichen Anfragen, und auch die Profit- und Loss-Verantwortung für die verschiedenen Projekte sei nicht immer transparent. "Im Prinzip müssen die sich genauso global aufstellen wie wir, aber hier sind wir auf gutem Weg."
Die Vendoren stellen nur eine Seite der Gleichung dar, die andere Seite bilden die Organisationseinheiten der Allianz, die internen, nationalen Kunden der globalen IT. Sie kauften früher unabhängig IT-Dienstleistungen und -Produkte ein. Das habe in der Gruppe etwa zu 80 unterschiedlichen Mail-Systemen geführt, berichtet Schneider schaudernd.
Heute arbeiten mindestens 90 Prozent der Mitarbeiter mit einem einheitlichen System. Zwar verlieren die Organisationseinheiten ein Stück Entscheidungsfreiheit, dafür gewinnen sie aber durch das seit 2009 eingeführte Multi-Sourcing-Verfahren etliche Vorteile. "Für sie wird IT billiger und einfacher", behauptet Schneider. Außerdem lasteten auf den lokalen Einheiten verschiedene Herausforderungen, denen mit Unterstützung der globalen IT und des zentralen Einkaufs besser begegnet werden kann.
"Das Versicherungsgeschäft ist lokal, aber die dafür notwendige Infrastruktur und Plattformen müssen global ausgerichtet sein, sonst können wir unseren Effizienz- und Kostenzielen nicht gerecht werden", betont Schneider. Auch den wachsenden Anforderungen hinsichtlich Verfügbarkeit, Qualität und Sicherheit müsse man auf lokaler Ebene effektiv gerecht werden. Um die niedrigeren Kosten für die Organisationseinheiten transparent zu machen, wird für jedes Migrationsprojekt ein Business-Case gerechnet. Danach müssen sich die Kosten für die Organisationseinheiten innerhalb von fünf Jahren durch gesunkene Betriebskosten amortisieren.
Dem Gespann Schneider und Burri zufolge wird ihr Konzept auf weitere IT-Bereiche ausgedehnt. Mit dem Sektor Infrastruktur wurde bereits begonnen, andere IT-Gewerke werden folgen. Schneider und Burri jedenfalls sind felsenfest entschlossen, für Augenhöhe zwischen IT-Lieferanten und Anwenderunternehmen zu sorgen. Vielleicht wird ja Schneiders Vision vom IT-Einkauf à la Autoindustrie schon früher Realität, als den IT-Dienstleistern lieb ist.