Welche disruptiven Technologien die Wirtschaftswelt in den nächsten 18 bis 24 Monaten am stärksten verändern werden, zeigt der aktuelle Deloitte Report "TechTrends 2019". Im Interview spricht Peter Ratzer, Partner und Leiter Technology bei Deloitte Consulting, über die wichtigsten Ergebnisse und die neue Rolle der CIOs.
Was sind die zentralen Kernaussagen der aktuellen "TechTrends"-Studie mit dem Titel "Beyond the digital Frontier"?
Ratzer: Die bedeutendsten Entwicklungen sind derzeit AI-fueled organizations, Intelligent Interfaces, Experiential Marketing, Serverless Computing, Advanced Connectivity und DevSecOps. Entscheidend für den Unternehmenserfolg ist heute, diese Vielzahl von technologischen Innovationen nicht mehr als Einzelthemen zu sehen, sondern sie intelligent miteinander zu kombinieren. Denn nur in ihrem Zusammenspiel können sie die Digitalisierung auf ein neues Level bringen.
Das zeigt sich besonders in innovativen AI-fueled Organizations, bei denen Künstliche Intelligenz ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie ist. Hier wurde der Wechsel weg von der Verwendung dieser Technologie in isolierten Piloten hin zu größeren KI-Systemen bereits vollzogen. Diese Firmen stellen kognitive Technologien ganz klar in den Mittelpunkt ihres Geschäfts- und IT-Betriebs. Dabei werden Kernsysteme, Prozesse und Geschäftsstrategien neu gestaltet, um das AI-Potenzial im gesamten Unternehmen auszuschöpfen.
Wie verändert sich dadurch die Rolle der CIOs?
Ratzer: Traditionell haben CIOs einen Großteil ihrer Zeit damit verbracht, Altsysteme zu warten. Doch KI, ML und andere kognitive Tools treiben die Automatisierung nicht nur im IT-Ökosystem, sondern im gesamten Unternehmen voran. Deswegen werden sich CIOs künftig stärker darauf konzentrieren, die digitale Transformation als zentralen Bestandteil der Firmenstrategie zu gestalten und umzusetzen.
Das bietet dem CIO die Möglichkeit, seine eigene Rolle neu zu definieren. Er wird vom Chief Information Officer zum "Chief Insight Officer" - der als Organisator, Moderator und Katalysator für fundierte, datenbasierte Entscheidungen auf Unternehmensebene verantwortlich ist.
Welche Neuigkeiten gibt es bei Intelligent Interfaces?
Ratzer: Intelligent Interfaces schaffen neue Wege, wie Mensch, Maschine und Daten interagieren. Obwohl derzeit Sprachtechnologien in diesem Bereich dominieren, ist eine Vielzahl weiterer Lösungen auf dem Vormarsch. Dazu zählen etwa Computer Vision, Gestensteuerungsgeräte, Eye-Tracking-Plattformen, bioakustische Wahrnehmung, Emotion Detection oder Muscle-Computer-Interfaces. Heute kombinieren diese Schnittstellen die neuesten Techniken im Bereich Human-Centered Design mit Machine Learning, Robotics, IoT sowie mit Augmented und Virtual Reality.
Auch das Marketing steht durch den Einsatz disruptiver Technologien vor einem Umbruch. Wie zeigt sich das?
Ratzer: Channel-fokussierte Lösungen wie Websites, soziale und mobile Plattformen, Tools für das Content-Management und Suchmaschinenoptimierung werden bald nicht mehr das Maß der Dinge sein. Durch neue Ansätze können Unternehmen personalisierte, kontextbezogene und dynamische End-to-End-Erlebnisse für einzelne Kunden erstellen. Das hilft emotionale Verbindungen zu Produkten und Marken aufzubauen und damit die Kundenbindung zu erhöhen.
Traditionell zielte das Marketing darauf ab, den Willen der Verbraucher im Sinne des Verkäufers zu beeinflussen. Künftig werden sich die Ziele und Methoden des Verkäufers an die spezifischen Kundenerwartungen anpassen. Deshalb stellen viele Unternehmen aktuell ihre Zusammenarbeit mit Werbeagenturen auf den Prüfstand und holen die Datenmanagement- und Kundenbindungsprozesse wieder vermehrt ins eigene Haus zurück.
Welche nachhaltigen Trends zeichnen sich bei Serverless Computing, Advanced Connectivity und DevSecOps ab?
Ratzer: In der nächsten Stufe des Serverless Computing weisen die Cloud-Anbieter den Unternehmen Rechenleistung und Speicher nach deren Bedarf automatisch zu. Bisher mussten Firmen dies noch manuell durchführen. In automatisierten NoOps- oder LessOps-IT-Umgebungen werden nur noch sehr kleine Teams für die Verwaltung benötigt. Das senkt die Kosten.
Auch Advanced Connectivity erreicht ein neues Level. Die wachsende Anzahl von mobilen Geräten, Sensoren und Cloud-Anwendungen sowie explodierende Datenmengen erfordern jedoch eine erweiterte Konnektivität und Bandbreite. Niedrigere Latenzzeiten zwischen Sensoren, Cloud und Geräten können etwa durch 5G oder Edge Computing bei der Industrie-Automatisierung sichergestellt werden.
Der Trend zu DevSecOps bezieht sich auf das ganzheitliche Ineinandergreifen von IT-Entwicklung und Sicherheit. Statt Security-Aspekte wie bisher erst nachträglich auf Produkte und Prozesse anzuwenden, werden sie nun schon von Anfang an ins Prozessdesign integriert. So erhöht DevSecOps nicht nur die IT-Sicherheit, sondern verkürzt auch die Markteinführung neuer Produkte.
Vor zehn Jahren haben Sie die erste "TechTrends"-Studie durchgeführt. Was sind die größten Unterschiede von damals zu heute?
Ratzer: In der letzten Dekade hat die Innovationsgeschwindigkeit immens zugenommen. Früher konnten Firmen noch einen Wettbewerbsvorteil erzielen, wenn sie Innovationen in Angriff nahmen, die bereits im Gange waren. Diese Art des reaktiven Ansatzes reicht jedoch nicht mehr aus. Heute müssen Unternehmen immer einen Schritt voraus sein.
Mein wichtigster Rat: Viele Firmen machen den Erfolg der digitalen Transformation immer noch an einzelnen Technologien fest. Doch es geht nicht darum, digitale Innovationen in einzelnen Machbarkeitsstudien zu verherrlichen. So ersetzt man nur echten Fortschritt durch Aktivismus. Um erfolgreich zu sein, muss die digitale Denkweise voll und ganz in die gesamte Unternehmensstrategie integriert werden - und zwar strukturiert und mit einem wiederholbaren, disziplinierten Ansatz. Nur so können Firmen auch in Zukunft erfolgreich am Markt bestehen.