SDN ist in aller Munde, wird 2015 diese Technologie ihren Marktdurchbruch erleben?
Ralf Koenzen, Gründer & Geschäftsführer Lancom Systems: SDN ist eine hochkomplexe Technik, vornehmlich für den Einsatz in Rechenzentren. Sie wird kurzfristig nur in einzelnen Projekten zum Einsatz kommen, vorzugsweise bei Carriern. Mehr als einzelne Testinstallationen beziehungsweise Proof of Concepts würde ich zunächst nicht erwarten.
Jochen Apel, CTO Deutsche Telekom Account & Central Europe Region, Alcatel-Lucent: SDN ist eine Voraussetzung dafür, Cloud-Dienste kommerziell erfolgreich zu betreiben. Der Siegeszug von Cloud-Diensten dürfte deshalb einen Siegeszug von SDN mit sich bringen. SDN hilft Netzbetreibern dabei, ein Problem "klassischer" Netzinfrastrukturen auszugleichen: neue Dienste bzw. Anwendungen schnell an steigende Nutzerzahlen anzupassen, ohne erst aufwändig Hardware für solche Erweiterungen beschaffen und einbinden zu müssen. Eine SDN-Lösung (z.B. Nuage) in Verbindung mit einer Cloud-Plattform zur Orchestrierung von NFV (z.B. CloudBand) und einer geeigneten Software für den gemeinsamen Betrieb von physischen und virtualisierten Netzelemente (z.B. Motive Dynamic Operations) sorgt für die Flexibilität, Dienste in der Cloud beliebig zu skalieren.
Ulrich Hamm, Consulting System Engineer Data Center bei Cisco Deutschland: Durchsetzen wird sie sich nur, wenn sich die Kunden mit der Programmierung von SDN beschäftigen und ihre entsprechenden Fähigkeiten erweitern, vor allem in Bezug auf Automatisierung und Orchestrierung. Dabei werden unterschiedliche Ansätze parallel verfolgt: komplette softwarezentrische Automatisierung des gesamten Infrastrukturstacks im Rechenzentrum, Automatisierung von Standardprozessen in der vorhandenen Netzwerkinfrastruktur sowie Network Function Virtualization bei den Service Providern. Übergreifende Orchestrierungsansätze werden diese Teilwelten verbinden.
Alexander Thiele, Director Networking Germany bei Dell: Das Interesse an SDN ist 2014 definitiv gestiegen. Für 2015 erwarten wir zwar noch nicht den Durchbruch in dem Sinne, dass ein Großteil der Anwender auf SDN umsteigt, allerdings gehen wir von zunehmenden Proof of Concepts aus. Die Unternehmen haben nun konkrete Anwendungsfälle, die sie jetzt in der Praxis erproben wollen. Eine Vorreiterrolle werden dabei Hochschulen und Hosting-Provider einnehmen.
WLAN oder Gigabit-Netz: Welches wird die dominierende Technik im Business-Umfeld?
Ralf Koenzen: Beide Technologien ergänzen sich perfekt. In vielen Anwendungsbereichen ist WLAN eine hochflexible und hervorragende Vernetzungstechnologie, etwa bei der Nutzung von Smartphones und Tablets, wo es schlichtweg keine Alternative gibt. Bei festen Arbeitsplätzen, etwa mit PCs, wird auch weiterhin die klassische Verkabelung eine Rolle spielen, insbesondere wenn auch VoIP zum Einsatz kommt.
Jochen Apel: Glasfasernetze, die heute für Datenübertragung mit Gigabit-Geschwindigkeit stehen, und Kupfernetze, die sich dieser Schallgrenze immer mehr annähern, werden im Business Umfeld genauso zu finden sein wie WLAN, LTE und LTE Advanced. WLAN wird dabei die lokale mobile Verlängerung des Gigabit-Festnetzes sein. Der Trend zu immer kleineren mobilen Endgeräten, die immer mehr Aufgaben bewältigen müssen, erfordert eine konstante und breitbandige Verbindung zur Cloud. Große Datenmengen und komplexe Rechenaufgaben werden dabei vom Endgerät in die Cloud verlagert.
Ulrich Hamm: Für alle Anwender mit mobilen Endgeräten wird WLAN klar dominieren, da selbst Laptops keinen direkten Ethernet-Anschluss ohne Adapter mehr bieten. Kabelgebundene Gigabit Ethernet-Anschlüsse werden dennoch weiter benötigt, da sowohl bestimmte Anwender- und Applikationsgruppen als auch die steigende Zahl an WLAN Accesspoints hochverfügbaren Hochgeschwindigkeitsnetzwerkzugang benötigen.
Alexander Thiele: Ich denke, dass wir hier einen gewissen Kannibalisierungseffekt zwischen den beiden Technologien sehen werden. Hintergrund ist, dass durch die Einführung des neuen Standards 802.11ac das WLAN mittlerweile Übertragungsgeschwindigkeiten analog zum "Wired Network" im Gigabit-Bereich erreicht. Das ac-Segment macht bereits mehr als die Hälfte der Umsätze im Wireless-Netzwerkmarkt aus und die Nachfrage steigt weiter stark an. Mit diesem Wachstum geht eine Zunahme an mobilen Endgeräten und Anwendungen einher, was wiederum eine Erhöhung der Bandbreiten und eine Modernisierung des gesamten Netzwerks notwendig macht. Mittelfristig wird es die Verbreitung von schnellem Wireless erfordern, Campus-Netzwerke auf 10 GbE und Rechenzentren auf Fabric-Architekturen mit 40 GbE aufzustocken.
Sind die Tage klassischer Hardware-Router und -Switches gezählt?
Ralf Koenzen: Keineswegs. Im Filial- und SMB-Bereich werden weiterhin klassische Produkte eingesetzt, und auch im Enterprise-Bereich werden auf der Verteilerebene weiterhin physikalische Switche benötigt, in denen die Kabel zusammenlaufen. Die zunehmende Virtualisierung betrifft eher die Rechenzentren.
Jochen Apel: Virtualisierte Switches und Router sind einer der Megatrends im Netzbereich. Denn IP Routing wird immer mehr in der Cloud stattfinden. Deshalb hat Alcatel-Lucent vor kurzem das umfangreichste und leistungsstärkste virtualisierte Service Router-Portfolio in der Branche vorgestellt. Dennoch wird auch dedizierte Router-Hardware weiter ihren Platz in den Netzen haben. Immer dort, wo große Datenmengen bewegt werden müssen, werden wir weiterhin hochspezialisierte Hardware finden.
Ulrich Hamm: Nein, zudem schließt das eine das andere nicht aus. Es gibt sicher Bereiche für den sinnvollen Einsatz virtualisierter (Software-) Switches und Router. Aber für Skalierbarkeit sowie die dazu notwendige Performance und Sicherheit wird weiterhin eine enge Verzahnung der Software mit der Hardware notwendig sein und in vielen Fällen eine Kombination der Technologien erfordern.
Alexander Thiele: Ja, im klassischen Netzwerk-Switching-Bereich auf jeden Fall. Künftig sind Switche gefragt, die sich durch offene, zuverlässige und hochperformante Hardwareplattformen auszeichnen, welche Virtualisierung, Automatisierung und SDN unterstützen.
Welche anderen Entwicklungen sehen Sie bei Routern und Switches?
Ralf Koenzen: Nicht nur im Backbone / Core-Bereich sehen wir weiter steigende Bandbreiten, insbesondere durch schnellere Teilnehmeranschlüsse über Glasfaser, VDSL/Vectoring und LTE. Hierdurch sind schnellere Router bei Vernetzungsprojekten auf Konzentrator- wie auf Teilnehmerseite erforderlich. In kritischen Netzen, etwa auch bei Behörden, wird Sicherheit zum entscheidenden Kriterium. Hier erwarten wir eine weiter steigende Nachfrage nach BSI-zertifizierten Routern.
Jochen Apel: Ein weiterer Trend im IP-Routing ist die Integration von DWDM. Zwei Netzwerk-Ebenen wachsen hier zusammen, die Transportebene mit DWDM und die Session-Ebene mit IP-Routern. Die Router übernehmen die intelligente Verschaltung des Verkehrs auf diesen beiden Netzwerkebenen. Hier gilt es, einen sanften Migrationspfad zu entwickeln, der ein Zusammenspiel heutiger DWDM-Systeme mit IP-Routern erlaubt.
Kay Wintrich, Technical Director von Cisco Deutschland: Ein großer Trend ist sicher die Migration von 10G in Richtung 40G, vor allem im Data Center. Zudem werden Router und Switches noch intelligenter und applikationszentrischer. Sie übernehmen immer mehr Services wie das Hosten virtueller Container mit Applikationen, das Erbringen gewisser Rechenleistungen direkt vor Ort zu oder das Optimieren einer Applikation.
Alexander Thiele: Ähnlich wie seinerzeit bei Servern werden jetzt auch im Netzwerk offene Betriebssysteme eingeführt. Sie lassen Unternehmen beispielsweise die Wahl, ein klassisches Switch-OS einzusetzen oder die Vorteile einer Linux-Umgebung zu nutzen. Dazu gehören unter anderem eine einfachere Verwaltung, Skalierungseffekte mit der Administration der Linux-Server oder Kosteneinsparungen.
Sehen Sie weitere, andere Trends beim Thema Netzwerk für 2015?
Ralf Koenzen: Der WLAN-Standard WLAN 802.11ac wird sich weiter durchsetzen, in 2015 werden zunächst die 1300 Mbit/s Systeme dominieren. Daneben wird uns die All-IP-Umstellung 2015 und darüber hinaus beschäftigen. Die geplanten Neuregelungen bei der WLAN-Störerhaftung und die Abschaffung des Routerzwangs sind wichtige netzpolitische Themen, die große Chancen für die weitere erfolgreiche Digitalisierung unseres Landes bieten. Zudem wird der Grad der Vernetzung durch Trends wie "Industrie 4.0", das "Internet der Dinge" und Location-based Services weiter signifikant zunehmen.
Jochen Apel: Wenn wir nicht nur auf 2015 schauen, sondern den Horizont noch weiter stecken: 3,9 Milliarden Menschen werden 2017 das Internet nutzen. Der Datenverkehr, der in Rechenzentren "in der Cloud" stattfindet, wird sich von 2012-2017 vervierfacht haben, 70 Milliarden "Dinge" werden 2020 im "Internet of Things" vernetzt sein. Deshalb glauben wir, dass das Netz selbst in den kommenden Jahren zum Megatrend wird. Es wird noch leistungsfähiger werden, es wird das einzelne Bit noch kostengünstiger transportieren und es wird die Bedürfnisse des Nutzers intelligent bedienen.
Konkret heißt das, dass die Virtualisierung in den Unternehmen Einzug hält. Ein großer Bedarf an Virtualized Network Services (VNS) besteht beispielsweise im Finanzsektor mit seinen weltweit verteilten Unternehmensstandorten. Die M2M-Kommunikation wird dazu führen, dass die Anforderungen an die Cloud, etwa in punkto Geschwindigkeit, deutlich zunehmen werden. Die Cloud muss viel näher an die Endgeräte und damit an den Nutzer rücken. Der Umbau der Netze in Richtung All-IP geht weiter.
Kay Wintrich: Der Betrieb von Netzwerkinfrastruktur wird über Controller und Standard-Software-Schnittstellen immer stärker abstrahiert und als ganzes konfigurierbar, um die Komplexität zu reduzieren und mehr Automatisierbarkeit von Standardprozessen sowie erweiterte Möglichkeiten zur Datenanalyse zu ermöglichen. Openstack, das bisher meist nur ein Thema für Service Provider war, wird in Unternehmen im kommenden Jahr wichtig werden, primär angetrieben durch Clouds. Zudem werden neue Anwendungen wie Big Data, Analytics, Internet of Everything und neue Trends bei der Server-Virtualisierung wie Linux Container oder Hyperconverged Systems Auswirkungen auf das Netzwerk haben.
Alexander Thiele: Durch neue Virtualisierungs-Technologien nimmt die Anbieterlandschaft deutlich zu. Das bedeutet eine größere Diversifizierung und einen höheren Konkurrenzdruck - und kann für die Anwender nur von Vorteil sein!