Als vor zehn oder zwölf Jahren viele IT-Abteilungen zu Profitcentern wurden oder gar extern Dienstleistungen anboten, wurden gleichzeitig auch eigene IT-Niederlassungen eröffnet, beispielsweise in Polen, Rumänien oder Indien. Es erschien vielversprechend, durch die vergleichsweise niedrigen Löhne die Kosten zu senken. Darüber hinaus herrschte dort im Gegensatz zu europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien kein Fachkräftemangel in der IT, und die zusätzlichen Kapazitäten sorgten für mehr Flexibilität.
Diese so genannten Inhouse-Captive-Center, also eigene IT-Zentren im Ausland, waren und sind aber nicht immer erfolgreich, und konnten nicht durchgängig von allen beteiligten Mitarbeitern als Erfolg angesehen werden. Viele der Inhouse Captives durchlaufen vier Phasen - von Captive Newbies (Phase 1) über Growth Enthusiasts und Expectation Rationalizers bis hin zu den Exit Strategists (Phase 4). Damals wie heute ist es so, dass die teilweise sehr hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Das hatte verschiedene Ursachen:
die kritische Größe von circa 800 bis 1.000 Mitarbeitern wurde nicht erreicht,
die Qualität ließ zu wünschen übrig,
der Kommunikationsaufwand wurde unterschätzt,
Mitarbeiter mit den benötigten Qualifikationen waren nicht verfügbar oder es gab zu viel Leerlauf,
die Kollegen taten sich schwer, flexibel auf neue Anforderungen des Mutterkonzerns zu reagieren,
die Agilität im Bezug auf Zusammenarbeit und Technologiesprünge war zu niedrig,
die Fluktuation war hoch und die Einstellung neuer Mitarbeiter schwierig.
Ursachen für den mangelnden Erfolg sind auf beiden Seiten zu finden – sowohl in der Zentrale als auch im Nearshoring- oder Offshoring-Land. Auch die kulturellen Unterschiede zwischen deutschen Mitarbeitern und den Kollegen am Offshore-Standort sowie Koordinationsschwächen aufgrund beiderseits mangelnder Erfahrung können Gründe für den oft nur mäßigen Erfolg der Center sein. Onsite-Kollegen in Deutschland halten oft an alten Strukturen und Vorgehensweisen fest und verlagern ungern Leistungen Richtung Captive Center. Agile, DevOps, Time-to-market oder auch schlicht die intransparenten Demand-Planungen für die Center-Kollegen sind hier gern genommene "Ausreden".
Darüber hinaus lassen ich die Captive Center nach folgenden Kriterien klassifizieren:
Center, die die kritische Masse von mehr als 1.000 Mitarbeitern erreicht haben und in deren Mutterkonzern es klare Vorgaben zum Near- beziehungsweise Offshoring gibt.
Center, die zwar groß genug sind, aber aus diversen Gründen nicht wirklich Mehrwert generieren. Diese so genannten Heritage-Center sind häufig in der Blütezeit der Externalisierung entstanden und haben sich überlebt.
Center, die die nötige Größe von ca. 1.000 Mitarbeitern nachhaltig und signifikant nicht erreichen.
Basierend darauf wurde das Konzept der Inhouse-IT-Delivery-Center mehrfach überdacht und überarbeitet oder sogar aufgelöst.
Captive 2.0 - Neues Konzept baut auf Spezialisierung und Hub-Funktion
Derzeit etabliert sich eine neue Art von Center, die so genannten Captive 2.0. Dabei handelt es sich um kleine, agile Einheiten mit klarem Fokus und Hub-Funktion. Sie basieren auf einem neuen Konzept und sind das Ergebnis realistischer, strategischer Überlegungen hinsichtlich der Möglichkeiten, die ein Shoring-Center bieten kann.
Denn anstatt möglichst alle IT-Leistungen anzubieten, die ein Unternehmen und seine Onshore-IT-Abteilung benötigen, konzentrieren sich Captive-2.0-Center nur auf einzelne Themen und bauen gezielt Kompetenzen auf, bei denen es auf die Nähe zum Unternehmen und die Kenntnis der internen Abläufe ankommt. Darüber hinaus konzentrieren sie sich vertikal auf Bereiche mit (agilem) Prozessfokus oder horizontal mit Technologiefokus, die das Unternehmen nicht abgeben möchte. Gleichzeitig fungieren diese Center als Off- oder auch Nearshore-Hub. Sie steuern gezielt Dienstleister vor Ort und verzahnen sie mit den IT-Abteilungen in Deutschland.
Der Erfolg des Centers gründet sich auf der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort und nicht darauf, möglichst viele Leistungen zu erbringen. Diese Vorgehensweise hat neben der räumlichen und kulturellen Nähe zu den Dienstleistern vor Ort viele weitere Vorteile. Vor allem wird die Geschwindigkeit erhöht und so schnellere Ergebnisse für das Unternehmen erzielt.
Mitarbeiter und Führungskräfte übernehmen neue Rollen
Für den Aufbau eines solchen Centers benötigt man einerseits einen erfahrenen Partner und muss andererseits seine Rolle auf einer durchgängigen Make-or-Buy-Entscheidung basieren und diese bei den Bedarfsauslösern auch kommunizieren. Darüber hinaus sollten die Verantwortlichen für stringentes Demand-Management sorgen und über entsprechende Mitarbeiter in den Centern verfügen, die speziell im Service- oder Supplier-Management ausgebildet sind.
Diese neuen Captive-2.0-Center verlangen auch einen neuen Führungskräftetypus vor Ort. Häufig handelt es sich dabei um Mitarbeiter, die viele Jahre in Deutschland gearbeitet haben. Wenn sie zurück gehen, können sie ihre Erfahrungen nutzen, um Kollegen und Partner gleichermaßen effizient zu steuern. Das gelingt nur, wenn
die Größe der Center überschaubar ist,
die Strategie im Bezug auf Fertigungstiefe und Lieferstandorte klar ist und
die Mitarbeiter die richtige Einstellung mitbringen.
Fazit
Der Erfolg eines Captive Centers in Form eines schnelleren Time-to-Market und einer Reduktion der Kosten steht und fällt mit dem konsequenten Steuern der verschiedenen Partner und der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit ihnen.
Aufgrund der langjährigen Erfahrungen sind die Voraussetzungen heute so gut wie nie, um erfolgreich moderne und innovative Shoring-Konzepte umzusetzen. Auf diese Weise können europäische Unternehmen das enorme IT-Potenzial im Ausland nutzen und so besser mit dem Veränderungsdruck umgehen, den die Digitalisierung erzeugt.