Bequemlichkeit, Provokation oder gar die Vorwegnahme des Clash of culture in der Arbeitswelt? Am 12.12.1985 ließ sich Grünen-Politiker Joschka Fischer vereidigen - in Jeans und Turnschuhen. Manager, die darüber heute noch den Kopf schütteln, sollten schnell umdenken: Die sogenannten Millennials, nach 1980 Geborene, bringen noch ganz anderen Wind ins Business. Das behauptet zumindest der US-amerikanische Pew Charitable Trust.
Die US-amerikanische Denkfabrik hat 895 junge Menschen nach ihrer Haltung zum Arbeitsleben befragt. Außerdem äußern sich 371 Experten. Zugespitzt lautet das Fazit wie folgt: Auf Hierarchien pfeifen Millennials, peinlich ist ihnen überhaupt nichts, und Geld macht sie nicht glücklich. Dafür ist Kommunikation alles.
Arbeiten heißt für die jungen Leute vor allem, etwas Sinnvolles zu tun, statt nur den Lebensunterhalt zu verdienen. Damit hängt auch ihre Ablehnung formaler Hierarchien zusammen: Wer seine Ideen einbringt, will mit Führungskräften auf Augenhöhe sprechen.
Formalia sind Millennials - wahlweise als Generation Y bezeichnet - ohnehin nicht wichtig. Berufliches und Privates trennen sie kaum. Das heißt: Während sie am Schreibtisch sitzen und eine wichtige Präsentation vorbereiten, chatten sie nebenbei mit ihren Freunden. Und wenn heute Karriereberater vor peinlichen Party-Fotos im Web warnen, sieht der Nachwuchs darin überhaupt kein Problem.
Hier zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der aktuellen Diskussion um anonyme Bewerbungen und der Mediennutzung sehr junger Leute. Sexuelle Präferenzen, Hobbys - sie finden nicht, dass das keiner wissen darf. Dazu Zukunftsforscher und Blogger Stowe Boyd: "Totale Offenheit wird Privatheit ersetzen. Privatheit wird altmodisch, so als ob jemand mit Hut und Handschuhen in die Kirche geht."
Die Studie betont die Vorteile dieser propagierten Offenheit - nicht nur für den Nachwuchs. So berichtet ein New Yorker Professor, er habe in Blogs von seiner Erkrankung an Prostatakrebs berichtet und sehr viel Ermutigung und wertvolle Tipps bekommen. Die Potenzmittel-Werbungen habe er eben in Kauf genommen.
Immerhin: Die Studienautoren lassen auch Nathaniel James von Mozilla zu Wort kommen. Er glaubt, dass die übernächste Generation - also nach den Millennials - wieder etwas zurückhaltender sein wird. Niemand solle irgendwann überrascht sein, wenn seinen Kindern Suff-Bilder der Eltern peinlich sind, sagt James.
Nicht jeder will die totale Offenheit
Das knüpft an eine Studie der Nielsen Company an, die im Auftrag von MTV und Volkswagen junge Web-Nutzer aus zehn Industrieländern befragt hat. Deren Resultate lesen sich differenzierter als die Pew-Studie. Nielsen kam zu dem Schluss, dass zwölf Prozent der Befragten als sogenannte Nobuddies nie in sozialen Netzwerken engagiert waren oder nach schlechten Erfahrungen wieder ausgestiegen sind. Schutz der Privatsphäre ist diesen jungen Menschen wichtig. Weitere 17 Prozent bezeichnet Nielsen als Skipits, die social Networks skeptisch gegenüber stehen.
Auch bei Nielsen bleiben Zweifler jedoch in der Unterzahl. Der Pew Charitable Trust bezeichnet die Millennials als erste ständig vernetzte Generation der Geschichte. Susan Crawford von der Universität Michigan, eine zeitweilige Mitarbeiterin von US-Präsident Barack Obama, sagt: "Wer nicht digital ist, verpasst entscheidende Chancen in Bildung und Wirtschaft."
Für Unternehmen heißt das: Mit dem Schalten von Stellenanzeigen wird es nicht mehr getan sein. Entscheider werden Millennials sehr viel stärker in sozialen Netzwerken umwerben müssen. Außerdem sollten sie ihre Websites aufmöbeln, darauf achtet der Nachwuchs.
Von Millennials für die Zukunft lernen
Scot Melland von der Karriere-Website dice.com gibt Unternehmen diesen Rat: "Nutzen Sie das Wissen dieser Kids. Sie sind das Fenster zu den Veränderungen am Markt." Laut Pew Charitable Trust nicht nur zum Markt, sondern zur künftigen Gesellschaft.