Zweimal war Primark jüngst in die Schlagzeilen geraten. Erstens hatte der britisch-irische Textilhersteller auch in jedem Gebäude nahe Dhaka in Bangladesch nähen lassen, das im April vergangenen Jahres einstürzte und dabei mehr als 350 Menschen tötete. Zweitens kündigte der Konzern an, auch weiterhin ohne Online-Shop auskommen zu wollen, seine Garderobe also ausschließlich über den stationären Handel abzusetzen.
Zwar haben diese Dinge nicht direkt etwas miteinander zu tun, aber einen indirekten Zusammenhang gibt es schon: Primark ist ein Billiganbieter und will es sein, deshalb lässt er gerne billig produzieren. Je günstiger aber die Ware, desto weniger lohnt sich der Online-Handel. Weil jedes verschickte Paket gewisse Handlingkosten produziert, völlig unabhängig davon, wie viel Umsatz der Anbieter damit macht.
Strategie gegen hohe Rücksendequoten
Hinzu kommt, dass die Rücksendequote bei Textilien enorm hoch ist und bei Damengarderobe erst recht. Auch dieser Aufwand lohnt sich nur, wenn der Versender mit dem, was der Kunde am Ende behält, auch etwas verdient. Insofern dürfte Primarks Online-Abstinenz eng mit seiner Preisstrategie zusammenhängen.
Deshalb ist auch die Absicht, den Online-Channel zu ignorieren, nicht ganz so verwunderlich und anachronistisch wie es scheint. Schließlich verdienen auch andere mit ihren Webshops das Geld nicht im Schlaf, leiden ebenso unter den vielen Rücksendungen von Nichtgewolltem und Nichtpassendem. Trotzdem müssen gerade höherpreisige, jugendlich-trendige Marken auch übers Internet verkaufen, für Puma oder Nike wäre die Primark-Strategie ein Image-Desaster.
Ebenso wie für Adidas, das Label aus dem fränkischen Herzogenaurach. Dessen drei Streifen sind omnipräsent: Erstens hat das Unternehmen natürlich eigene Markenstores, zweitens gibt es seine Produkte in Warenhäusern wie Karstadt zu kaufen und drittens im Internet. Adidas betreibt einen schmucken, leicht zu durchschauenden Online-Shop.
Leider hat jeder Vertriebskanal seine Nachteile: Beim Kauf im Internet bestellen viele Kunden wie beschrieben vier Shirts und senden drei nach dem Anprobieren zurück. Das macht viel Arbeit und kostet noch mehr Geld. Sämtliche Online-Händler weltweit suchen nach Strategien, wie sie die Rücksendequote senken können.
Click-and-Collect: Online reservieren und im Shop anprobieren
Eine charmante Idee von Adidas heißt "Click-and-Collect": Das Produkt wird online reserviert und dann im nächstgelegenen Shop anprobiert und gekauft. Diese Kombination senkt die Retourenquote und die Kunden werden, wenn es gut läuft, durch den Besuch im Laden inspiriert, weitere Sportartikel zu kaufen.
Endless Aisle - Das endlose Regal
Nachteil der stationären Läden: Das sofort verfügbare Sortiment ist begrenzt, ein Schuh, der gefällt, fehlt vielleicht gerade in der erforderlichen Größe. Adidas' Lösung des Problems lautet "Endless Aisle". Das "Endlose Verkaufsregal" sorgt dafür, dass Kunden im Geschäft auch das kaufen können, was gerade nicht am Lager ist.
Für das Verlängern der Verkaufsregale in die Unendlichkeit sorgen Tablet-Computer. Mit ihnen kann alles, was nicht vor Ort verfügbar ist, sofort online bestellt und ein oder zwei Tage später zuhause in Empfang genommen werden. Pilotprojekte dazu laufen bereits in den USA und in Korea.
Und stationäre Läden haben neben der Tatsache, dass nicht immer alles am Lager ist, noch einen Nachteil: Sie rentieren sich, jedenfalls bei Trendmarken, nur in Spitzenlagen, kosten dort aber horrende Mieten. Und zwar auch nachts, wenn niemand hier einkaufen kann.
Auch für dieses Problem hat Adidas eine Lösung gefunden, eine weitere Spielart des Endless Aisle: Seit dem vergangenen Jahr wird die ‚Adidas Virtual Wall‘ in eigenen Läden und bei einigen Handelspartnern installiert, bis heute 55mal in 18 Ländern: Konsumenten können mit Hilfe moderner Touchscreen-Technologie und detailliert dargestellten 3D-Produktbildern Schuhe aus virtuellen Regalen aussuchen, sie aus jedem Blickwinkel begutachten, drehen und zoomen und sich zusätzliche Informationen zu Produkt und Technologie anzeigen lassen.
Wichtig ist, was die Freunde sagen
Außerdem zeigt die flimmernde Wand Videos und Live-Tweets zu ausgewählten Themen. Produkte lassen sich in einer sogenannten Shortlist speichern, vergleichen und vor Ort anprobieren - vorausgesetzt, der Laden ist gerade geöffnet. In den Adidas-eigenen Geschäften (zum Beispiel in Paris) gibt es außerdem eine Anbindung an den Online-Shop.
Die Kommunikation mit dem Kunden erfolgt über das Smartphone. Das eröffnet auch den Blick in den Social Mirror, also die Möglichkeit, das ausgewählte T-Shirt erstmal den eigenen Buddys zu zeigen und den Kauf auch von deren Urteil abhängig zu machen.
Zur Adidas-Omnichannel-Strategie gehört also nicht nur die Verknüpfung des Onlinegeschäfts mit dem stationären Handel, sondern auch die Personalisierung der eigenen Produkte und des gesamten Einkaufserlebnisses. "Im Grunde wollen wir unseren Kunden einen Service bieten, wie ihn früher klassische Tante-Emma-Läden ermöglichten. Die konnte sehr unterschiedliche Wünsche erfüllen, weil sie ihre Kunden gut kannten", sagt Adidas-CIO Jan Brecht. In der Rubrik "miadidas" des Online-Shops bestimmen Käufer die Optik bestimmter Laufschuhe nach eigenem Gutdünken. Blauer Schaft, grüne Sohle, lila Schnürsenkel? Kein Problem.
Und wo Menschen Sport treiben, da darf in diesen Tagen natürlich auch die Selbstoptimierung nicht fehlen. Adidas nennt das Ganze "miCoach": Ein winziger Chip im Schuh misst während des Trainings die unterschiedlichsten Werte, verbindet all das mit einem Pulsmesser und zeichnet die Ergebnisse in einer Smartphone-App auf. Auf diese Weise kann jeder seine individuellen Trainingspläne zusammenstellen und sich schrittweise verbessern.
Omnichannel braucht einheitliche Produkte
Schuhe für den Profibereich im Fußball zum Beispiel messen sogar Laufwege oder Schussgeschwindigkeit. Jan Brecht: "In den USA ist diese Entwicklung schon deutlich weiter als bei uns. Dort spielen Statistiken insgesamt eine größere Rolle, beispielsweise werden bei Sportübertragungen im Fernsehen viele Zahlen als Zusatzinformation eingeblendet."
Technisch, sagt Jan Brecht, stellen solche Lösungen heute keine große Herausforderung mehr dar. Die liegt eher in der Verzahnung der Vertriebskanäle. Adidas arbeitet aus seiner Historie heraus mit kanalspezifischen Geschäftsmodellen, die zum Teil unterschiedliche Artikel beinhalten. "Der kanalübergreifende Handel funktioniert natürlich nur mit einer so weit wie möglich einheitlichen Produktpalette. Wir arbeiten aktuell intensiv daran, die notwendigen Prozesse zu harmonisieren."
Ein Erfolg dieser Bemühungen könnte dem Traditionshersteller nicht schaden, hatte doch Adidas gegenüber dem ärgsten Konkurrenten Nike zuletzt deutlich an Boden verloren. Vor allem in der prestigeträchtigen Fußballsparte holen die Amerikaner immer mehr auf.
Bestimmt freuen sich die Franken auch deshalb auf die Fußball WM: In Brasilien sind sie Mannschaftsausrüster von Lahm, Schweinsteiger und Co., was den drei Streifen eine Menge Publicity bescheren dürfte.