Franz-Josef Schürmann, seit 2010 Deutschland-Chef des indischen IT-Dienstleisters Infosys, ist argumentativ bestens munitioniert. Wer eine Salve abbekommen will, braucht nur auszusprechen, was in der deutschen Öffentlichkeit und auch in Führungsetagen lange Zeit gedacht wurde. Dass Offshoring auf dem Subkontinent nämlich schlicht bedeute, die am billigsten verfügbaren IT-Ressourcen einzukaufen und hiesige Fachkräfte arbeitslos zu machen.
Wenn Schürmann das hört, klingt er gleich ein bisschen giftiger als zuvor, zugleich aber ein bisschen beseelt. Er erzählt dann vom Firmengründer Narayana Murthy, der mit seiner Frau als Schirmherrin die Infosys-Stiftung zur Finanzierung von Schulen, Kliniken auf dem Land und einer Vielzahl von Entwicklungsprojekten gründete und als erster indischer IT-Unternehmer seinen Mitarbeitern Vorzugsaktien anbot.
In Zeiten des Fachkräftemangels verfängt auch die Kritik an einer Vernichtung von Arbeitsplätzen nicht mehr. "Wir haben derzeit in Deutschland rund 100 offene Stellen zu besetzen", sagt Schürmann. Er selbst war jahrelang als Global Client Partner für Accenture tätig. Nur ein Unternehmen mit einem Wertekanon wie Infosys habe ihn als Arbeitgeber reizen können.
Unternehmen - Tata Consultancy Services (TCS)
Mitarbeiter Deutschland |
650 |
Mitarbeiter weltweit |
238.583 |
Umsatz 2011 Deutschland |
112 Millionen Euro |
Umsatz 2011 weltweit |
10,17 Milliarden US-Dollar |
Wichtigste Kunden in Deutschland |
SAP, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Nokia Siemens Networks, Commerzbank |
Branchenschwerpunkte |
Bank- und Finanzwesen, Versicherungen, Fertigung, Transport, Telekommunikation, Pharma und Life Sciences, Energie- und Versorgungswirtschaft, Einzel- und Konsumgüterhandel sowie Medien- und Informationsdienste |
Ziele in Deutschland bis 2015 |
|
Kundenzahl: |
mehr als 120 |
Umsatz |
TCS Deutschland wächst stärker als TCS weltweit im Durchschnitt. Diese Position wollen wir beibehalten und weiter ausbauen. |
Mitarbeiterzahl: |
Wachstum proportional zum Umsatz |
Durchbruch bislang ausgeblieben
Die Serviceanbieter aus Fernost blasen massiv zum Angriff auf den deutschen Markt, so scheint es. Skeptiker mögen einwenden, dass die großen Dienstleister allesamt schon sehr lange hier präsent sind - Infosys beispielsweise seit 15 Jahren - und der oft schon angekündigte Durchbruch bisher ausgeblieben ist. Doch es gibt handfeste Anzeichen, dass sich das jetzt wirklich ändern könnte.
Zwar seien die indischen Anbieter im Vergleich zu den hiesigen Marktführern wie T-Systems, IBM, HP, Capgemini oder Accenture im Umsatz-Ranking noch recht weit hinten klassiert, erläutert Katharina Grimme, Outsourcing-Analystin bei Pierre Audoin Consultants (PAC). "Wir erwarten aber, dass sich das signifikant ändern wird", so Grimme.
Vielfältig waren die Gründe, warum deutsche Anwender und indische Dienstleister in der Vergangenheit nicht wirklich zueinanderfanden. Neben der sprachlichen Barriere und kulturellen Vorbehalten spielte laut Grimme auch das Reizthema eine Rolle, das Franz-Josef Schürmann so in Wallung bringen kann: Auch aus Imagegründen hätten sich Unternehmen schwer damit getan, hierzulande Arbeitsplätze abzubauen und nach Asien zu verlagern. Heute spiele das angesichts des Fachkräftemangels keine entscheidende Rolle mehr.
Unternehmen - Infosys
Mitarbeiter Deutschland |
500 |
Mitarbeiter weltweit |
149.994 |
Umsatz 2011 Deutschland |
100 Millionen US-Dollar |
Umsatz 2011 weltweit |
7,0 Milliarden US-Dollar (Geschäftsjahr 04/2011 – 03/2012) |
Wichtigste Kunden in Deutschland |
Unternehmen aus den Branchen Automobil, Luftfahrt, Telekommunikation, Energie, Pharma sowie Handel und Banken |
Branchenschwerpunkte |
produzierende Industrie, Handel und Konsum, Energie, Banken |
Ziele in Deutschland bis 2015 |
|
Kundenzahl: |
keine Prognose |
Umsatz |
keine Prognose; weiter in die Infrastruktur investieren, ebenso in das neue Büro im Opernturm in Frankfurt mit langfristigen Verträgen |
Mitarbeiterzahl: |
300 neue Mitarbeiter einstellen |
Ressourcenmangel verschärft sich
Auch Analyst Andreas Zilch von der Experton Group sieht hierin einen Treiber. "Der Mangel an IT-Ressourcen in deutschen Unternehmen wird sich auch 2012 weiter verschärfen", prognostiziert er. "Dies ist ohne Outsourcing und eben auch Offshore-Outsourcing nicht mehr zu bewältigen." Die Bekenntnisse der Anbieter zur Wichtigkeit des deutschen Marktes seien zwar bisher ohne durchschlagende Wirkung verklungen. "Es verstärkt sich aber der Eindruck, dass sich diese Situation positiv ändern wird - auch zum Nutzen der Anwenderkunden in Deutschland."
Zilch und Grimme berichten, dass indische IT-Dienstleister mittlerweile breit aufgestellt seien - auch jenseits der klassischen Anwendungsentwicklung auf Niedriglohnniveau. "Die Firmen haben Expertise und Spezialwissen aufgebaut", so Grimme, etwa in Bereichen wie SAP-Know-how, Business Intelligence und Analystics, Administration von Infrastrukturaufgaben, aber auch in der Beratung.
"Dass die indischen Anbieter insbesondere Infrastruktur-Outsourcing, Application Lifecycle Management und Business Process Outsourcing beherrschen und zuverlässig Qualität liefern können, haben sie global vielfach bewiesen", ergänzt Zilch. Erst vor diesem Hintergrund eines Hochkletterns in der Wertschöpfungskette wird der Aufbau lokaler Ressourcen in der Bundesrepublik überhaupt erst lukrativ. "Die indischen Anbieter haben sich dabei lange zurückgehalten, weil sie ihre Profitabilitätsmargen nicht verwässern wollten", erklärt Grimme.
Forrester-Analyst Pascal Matzke nennt dafür eine Lösung: "Ein Weg, bei den Margen gegenzusteuern, ist Added Value - also starke vertikale Lösungen, die modular aufgebaut sind und wiederholt bei verschiedenen Kunden eingesetzt werden können."
Unternehmen - Wipro
Mitarbeiter Deutschland |
450 |
Mitarbeiter weltweit |
130.000 |
Umsatz 2011 Deutschland |
keine Angabe |
Umsatz 2010 weltweit |
5,2 Milliarden US-Dollar (Geschäftsjahr 04/2010 – 03/2011) |
Wichtigste Kunden in Deutschland |
Unternehmen aus den Branchen Fertigung, Handel, Telekommunikation, Automobil, Luftfahrt, Banken, Versicherungen, Energie, Health, Pharma |
Branchenschwerpunkte |
Bank- und Finanzwesen, Versicherungen, Fertigung, Transport, Telekommunikation, Pharma und Life Sciences, Energie- und Versorgungswirtschaft, Einzel- und Konsumgüterhandel sowie Medien- und Informationsdienste |
Ziele in Deutschland bis 2015 |
|
Kundenzahl: |
keine Prognose |
Umsatz |
keine Prognose |
Mitarbeiterzahl: |
mehr als 1500, davon die Hälfte Muttersprachler |
So berichten die Deutschland-Chefs der indischen Dienstleister unisono davon, den Wunsch nach Lokalisierung erkannt zu haben: also sowohl indische Spezialisten zur Projektbetreuung nach Deutschland zu holen als auch deutsche Mitarbeiter anzustellen. Dieses Modell diene dazu, kulturell eine Brücke zu schlagen, sagt Horst Plieske, seit 2009 Deutschland-Chef bei HCL.
Schürmann von Infosys erklärt, dass sein Unternehmen noch bis vor Kurzem nur zu fünf Prozent mit lokalen und zu einem Viertel mit indischen Mitarbeitern vor Ort arbeitete. Weitere 70 Prozent unterstützen das Unternehmen offshore. In Deutschland habe man sich nun für die Formel 20-20-60 entschieden.
"Tata Consultancy Services will bis spätestens 2016 zu den führenden IT- und Full Services-Anbietern in der Bundesrepublik zählen", gibt Zentraleuropa-Chef Sapthagiri Chapalapalli vor. "Nirgendwo investieren wir mehr als in diesem Schlüsselmarkt, vor allem mit dem Fokus auf Lokalisierung und Kundenbeziehungen." Man habe ein groß angelegtes Lokalisierungsprogramm aufgesetzt. Mittlerweile sei das zentraleuropäische Führungspersonal überwiegend deutsch - ebenso wie die Serviceteams, die Delivery-Organisation und die Mitarbeiter für den Kundenkontakt.
Bewegung im deutschen Markt
Es ist also Bewegung im deutschen Markt. Zu einigen global agierenden deutschen Unternehmen hätten die großen indischen Anbieter schon seit vielen Jahren gute Geschäftsbeziehungen aufgebaut, erläutert Matzke von Forrester. "Aber die Deutsche Bank beispielsweise verhält sich in diesem Zusammenhang nicht wie ein typisches deutsches Unternehmen." Anders als viele hiesige Unternehmen orientierten sich die Deutsche Bank und wenige andere Firmen an global agierenden Vorbildern. Deshalb habe es dort nie Vorbehalte gegen eine Outsourcing-Zusammenarbeit mit Indern gegeben.
Unternehmen - HCL
Mitarbeiter Deutschland |
230 |
Mitarbeiter weltweit |
85.000 |
Umsatz 2010 Deutschland |
174 Millionen US-Dollar (DACH-Region) |
Umsatz 2011 weltweit |
6,0 Milliarden US-Dollar |
Wichtigste Kunden in Deutschland |
Deutsche Bank, Linde AG, SAP, Kion, Orica |
Branchenschwerpunkte |
produzierende Industrie (Prozesse & diskrete Fertigung inklusive Automobil) und Financial Services (Banken, Versicherungen, Capital Markets) |
Ziele in Deutschland bis 2015 |
|
Kundenzahl: |
"Für HCL nicht wirklich relevant. Es ist wichtiger, die richtigen Kunden zu finden." |
Umsatz |
mindestens eine Verdreifachung des heutigen Umsatzes |
Mitarbeiterzahl: |
richtet sich nach Kunden und Projekten |
Gute Leute an Bord
Entscheidender Erfolgsfaktor - darin sind sich die Analysten einige - ist der Aufbau lokaler Ressourcen. "Die Dienstleister haben sich mittlerweile einige gute Leute an Bord geholt", so Matzke. Vorreiter in Sachen Lokalisierung seien schon seit vielen Jahren vergleichsweise kleine indische Firmen wie Hexaware, mit 250 Mitarbeitern in Bad Homburg präsent, oder NIIT, schon seit 2006 Partner der DB Systel GmbH, des IT-Dienstleisters der Deutschen Bahn AG. PAC-Analystin Grimme nennt als weiteres Beispiel Sonata Software, das die einstige IT-Sparte der TUI übernahm.
Als Star der großen Player bezeichnet Matzke Cognizant: "Der einzige indische Dienstleister, der es global mit einem Kaliber wie Accenture aufnehmen kann." Allerdings setzt Cognizant zwar traditionell auf Offshore-Ressourcen in Indien, hat seinen Hauptsitz aber in New Jersey und wird deshalb etwa von PAC oder dem indischen Branchenverband Nasscom nicht zu den Dienstleistern vom Subkontinent gezählt.
Als Top-Four listet Nasscom in dieser Reihenfolge Tata Consultancy Services (TCS), Infosys, Wipro und HCL auf. Es folgen die kurz vor einer Fusion stehenden Anbieter Mahindra Satyam und Tech Mahindra. Die führenden Vier haben sich in Deutschland ehrgeizige Ziele gesteckt. So wollen etwa TCS und Wipro binnen weniger Jahre in die Riege der zehn größten Dienstleister aufsteigen. Der Weg ist weit, wie das PAC-Dienstleister-Ranking zeigt.
Dort liegen Infosys derzeit auf Rang 32, TCS auf 37, Mahindra Satyam auf 44, Sonata auf 54 und Wipro auf 57; HCL ist überhaupt nicht gelistet. Die jährlichen Umsätze in der Bundesrepublik liegen pro Dienstleister selten über 100 Millionen Euro, während laut Nasscom in den vergangenen fünf Jahren in den USA insgesamt mehr als fünf Milliarden US-Dollar investiert wurden. Allerdings könnten vereinzelte große Deals die Dienstleister im Ranking weit nach oben katapultieren, so PAC-Analystin Grimme.
Forrester-Analyst Pascal Matzke sieht auch den Trend zum Cloud Computing als Chance für die indischen Dienstleister. Die darauf basierende Multi-Sourcing-Option erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass die Anwender auch Serviceanbieter aus Indien in ihren Mix integrierten.
TCS wird von Matzke als "einer der faszinierendsten Player mit gewaltigem Potenzial" beschrieben. Branchenmäßig liegen die Stärken nach Einschätzung der Analysten im Automotive-Sektor und in der Finanzbranche. HCL gilt spätestens seit der Übernahme des britischen Spezialisten Axon als Anbieter mit sehr hoher SAP-Kompetenz, dazu mit Stärken im Remote Infrastructure Management und beim Engineering.
Die eineiigen Zwillinge
Wipro und Infosys bezeichnet Matzke als "eineiige Zwillinge". Beide seien in der Anwendungs- und Produktentwicklung sowie bei Embedded Systems stark aufgestellt. Grimme verweist bei Infosys auf Stärken bei Oracle und SAP sowie eine Verankerung in Branchen wie Finance oder Healthcare, was ein aktueller Deal mit Pharmahersteller GlaxoSmithKline unterstreicht. Wipro punkte mit einem guten Branchen-Mix und Kompetenz in Forschung und Entwicklung.
Dass diese Anbieter derzeit so vehement um deutsche Kunden buhlen, geschieht aus harten Zwängen heraus. Lange Zeit reüssierte man vergleichsweise einfach vornehmlich in den USA und Großbritannien, wo es zudem keine Sprachbarrieren gibt. Dort stößt man allerdings allmählich an Expansionsgrenzen. Mit der Finanzkrise habe sich in den USA das wirtschaftliche und politische Klima verändert, berichtet etwa HCL-Chef Plieske. Man habe vor einigen Jahren neben Frankreich, Benelux und Skandinavien Zentraleuropa als Zukunftsmarkt identifiziert und sich zum Aufbau eines lokalen Frontends entschlossen.
Auf ähnliche Weise machte Wipro neben Frankreich, Kanada, Lateinamerika und Südafrika Deutschland als Wachstumsmarkt aus, wie Deutschland-Chef Reich berichtet. "Aufgrund seiner ökonomischen Bedeutung ist Deutschland für uns der wichtigste Markt - hier gibt es den größten Demand", so Reich. "Die Übernahme des ehemaligen Citibank-Rechenzentrums in Meerbusch im vergangenem Jahr ist als Signal zu verstehen: Wir meinen es ernst."
Die Voraussetzungen seien auch deshalb günstiger geworden, weil in Firmen mittlerweile eine jüngere Generation an Entscheidern mit oft internationalem Hintergrund am Werk sei und sich viele Kunden stärker für den globalen Markt rüsten wollten.
Übernahmen werden geprüft
"Akquisitionen auch im Softwarebereich sind möglich", sagt HCL-Chef Plieske. "Wir prüfen derzeit Übernahmemöglichkeiten." Diese Antwort darf sicher als Blaupause für alle großen Anbieter aus Indien gelten.
Alles in allem ähneln sich die Konzepte, ebenso die hohen Wachstumsziele für die kommenden Jahre. Zugute kommt indischen Dienstleistern, dass sie in den vergangenen Jahren bereits ihren Bekanntheitsgrad massiv ausbauen konnten. Das zeigt die aktuelle Sourcing-Studie von IDG Business Media, wozu auch das CIO-Magazin gehört. Von den befragten Entscheidern haben mittlerweile 31 Prozent TCS auf dem Zettel (2008: 7,5 Prozent), 18 Prozent Infosys (2008: fünf Prozent), 15 Prozent Wipro (2008: vier Prozent) und fünf Prozent HCL (2008: zwei Prozent). 15 Prozent der Befragten gaben an, dass Indien für sie prinzipiell als Outsourcing-Ziel infrage komme.
Allerdings werden auch dort - bei nach wie vor reichlich Nachwuchs - allmählich die Führungskräfte mit internationaler Projektkompetenz knapp. "Hier rächt sich, dass indische Dienstleister bei ihren internen Fortbildungsmaßnahmen in der Vergangenheit zwar sehr auf die Vertiefung der IT-Fachkompetenz geachtet, aber zu wenig in die persönliche Entwicklung von Führungskräften von internationalem Format investiert haben", beobachtet Forrester-Analyst Matzke. Der Vorwurf der Arbeitsplatzvernichtung gehört tatsächlich in die Mottenkiste.