"Brauchen wir wirklich immer den Mercedes, oder reicht nicht auch oft der Volkswagen?" - Thomas Tribius, CIO des Hamburger Medienhauses Springer, spricht nicht nur dem "Bild"-Leser aus dem Herzen, sondern auch jenen CIOs, deren Budgets einfach keinen Aufschwung erleben. Und die - wie es Tribius ausdrückt - verstärkt darauf achten müssen, dass sich Kosten und Nutzen die Waage halten. "Muss ich im Desktop-Bereich wirklich Microsoft einsetzen? Nutze ich all die Werkzeuge, die SAP mitliefert?", fragt der Springer-CIO, "reicht nicht auch ein Midrange-Speichersystem, muss es High-End sein?"
Zwar sollen sich die Budgets der IT-Top-Manager in diesem Jahr leicht entspannen, doch ist die Stimmung gegenüber 2004 etwas gedämpfter - das zeigen erste Ergebnisse der Trendumfrage 2005 von Capgemini. Steigende Budgets erwarteten in der aktuellen Befragung nur noch 38 Prozent der befragten 152 IT-Verantwortlichen statt knapp 46 Prozent in 2004. Nicht alle CIOs halten es mit dem Absenken des Budgets so rigoros wie Springer-CIO Tribius, der die Ausgaben zum wiederholten Male nach unten schrauben will und keine Besserung in Aussicht stellt. "Bei der andauernden angespannten Marktsituation kann die IT durch ein straffes Kostenmanagement einen nachhaltigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten, skandiert der Verlags-CIO. Tribius will Effizienz und Effektivität steigern - und da ist anscheinend noch immer Luft.
IT-Infrastruktur - eine Dauerbaustelle
Klar ist, dass es zwischen dem Anspruch an IT-Lösungen und der Wirklichkeit einen Widerspruch gibt: Nach Ergebnissen der Capgemini-Studie gibt es besonders in Hinsicht auf die IT-Infrastruktur Handlungsbedarf. Obwohl 73 Prozent der Befragten geringe Betriebs- und Investitionskosten für wichtig halten, meint nur jeder dritte IT-Chef, diese Anforderung bereits erfüllt zu haben. In puncto Flexibilität reißt eine noch größere Kluft auf: 68 Prozent der Befragten halten diese Fähigkeit für wichtig, nur 20 Prozent erfüllen die Anforderungen. Ein ähnliches Bild in puncto Sicherheitsanforderungen: 81 Prozent halten sie für wichtig, nur 45 Prozent für erfüllt. Konsens herrscht unter den Top-Managern, wenn es um die Bedeutung des Themas bedarfsorientierter Einsatz von IT-Ressourcen - die On-Demand-Technologien - geht: Obwohl 64 Prozent der Befragten angaben, den Einsatz von Resources on Demand für sinnvoll zu halten, nutzt nur jeder vierte diesen Ansatz bereits oder plant ihn für 2005.
Der IT-Executive des Jahres 2004 Dirk Berensmann hat für diese Widersprüche eine Erklärung parat: "Der IT-Markt ist vergleichsweise jung, viele Strukturen sind historisch gewachsen und haben großes Verbesserungspotenzial", erläutert der CIO der Deutschen Postbank, "doch der Paradigmenwechsel steht bevor" - und er nennt ihn schlicht Industrialisierung der IT. Berensmann: "Im Vergleich mit anderen Industrien ist die IT momentan im Entwicklungsstadium der Manufaktur. In Zukunft setzen CIOs vermehrt auf ingenieurmäßige Ansätze. Prozesse spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie müssen so standardisiert werden, dass sie auf jede Bank übertragbar sind."
Berensmann nennt die Abwicklung des Zahlungsverkehrs für die Deutsche und Dresdner Bank durch die Postbank ein Beispiel, das "Schule machen wird". "In einigen Jahren wird es nur noch drei, vier Transaktionsbanken in Europa geben", prophezeit Berensmann, der im Einkaufen von Fremdleistungen eine weitere Komponente für seinen großen Trend sieht. Als wichtigen Schritt weg von der Manufaktur hin zu einer Automatisierung und Standardisierung der Prozesse sieht der CIO vom Rhein-Ufer die Koproduktion mit der Walldorfer Softwarefabrik SAP. Beim Softwarepaket für das Transaction-Banking (SAP TrBk) sind nach Berensmann-Angaben lediglich 20 Prozent Anpassungen nötig. Die Schweizer Großbank UBS setzt den als weltweit ausgerufenen Standard bereits ein, die Nürnberger Norisbank sowie einige Banken aus dem asiatischen Raum und Südafrika hätten Interesse bekundet. Martin Frick, CIO der Schweizer Winterthur Versicherungen, geht für seine Versicherungsbranche sogar noch einen Schritt weiter: "Was spricht dagegen, Kernfunktionalitäten wie den Bereich Schaden und Verträge in einem SAP-Standard darzustellen?", fragt Frick, der den Durchbruch dafür in drei bis fünf Jahren erwartet.
Gemeinsam Standards nutzen
Auch Carsten Stockmann vom Finanzdienstleister MLP gefällt der Ausdruck "Industrialisierung", ja sogar das Wort Paradigmenwechsel fällt, als der CIO auf die "große Frage" zu sprechen kommt, ob sich Unternehmen künftig nicht das Standardsystem für die Buchhaltung teilen könnten, wie das heute für Kernbanksysteme bereits möglich ist. Das IT-Serviceunternehmen Fiducia etwa betreibt ein IT-System für mehrere hundert Banken: Für Stockmann ist das ein wegweisendes Beispiel. Standardisierungen helfen ihm, Mobilität und Integration leichter zu ermöglichen. "Sie brauchen keine technischen Standorte mehr", sagt Stockmann und berichtet von einer MLP-internen Vertriebsveranstaltung in Berlin: "Wir brauchten nur einen Internetzugang mit Firewall um unser VPN aufzubauen und einige PCs hinzustellen - und schon hatten wir Zugang zu unseren Servern." In Bezug auf die Integration von Systemen könne man "unterschiedliche Systeme integrieren, ohne dass der Nutzer merkt, welche es sind - und er benötigt dafür nur ein Passwort". Da werde der Portal-Gedanke aus der Hype-Zeit Realität.
Die IT-Industrialisierung in der Finanzbranche - ein Sonderfall? "Würde die Automobilbranche noch wirtschaften wie die Banken heute, wäre das Auto um ein Vielfaches teurer", bemerkt Postbank-CIO Berensmann, der damit einen besonderen Aufholbedarf in Sachen Industrialisierung seiner Branche sieht. Schwere Versäumnisse erkennt er jedoch nicht. "Das Denken in Kooperationen und Komponenten wird immer wichtiger", generalisiert Martin Bettels, Autor der Capgemini-Studie, der den Begriff "Industrialisierung der IT" nur unter einer Voraussetzung stehen lassen möchte: "Wo Wettbewerbsvorteile für Unternehmen entstehen, bleiben Individuallösungen bestehen."
Wert der IT - nur in der IT diskutiert?
Bettels musste in seiner Studie allerdings feststellen, dass IT-Chefs enorme Schwierigkeiten haben, solche Wettbewerbsvorteile klar zu machen: "CIOs haben Probleme damit, den Wert der IT im Unternehmen transparent darzustellen."
Dafür gibt es nach Ansicht des Ex-CIO von Siemens ICN Gerhard Otterbach einen simplen Grund: "Der Geschäftswert der IT wird leider meist nur von der IT und nicht im Business diskutiert", stellt der gelernte Betriebswirt fest. "Dabei ist die Betrachtung der IT-Leistung aus Geschäftssicht elementar wichtig, denn dort wird der Wert messbar - und zwar nicht nur in der IT", so Otterbach. "Nur wenn man die Geschäftseinheiten mit einbezieht, treten die Probleme gar nicht erst auf. Richtig sei, dass das Eigenbild der IT zunehmend wertschöpfungsorientiert ist, das Fremdbild aber nach wie vor serviceorientiert, wirft Bettels ein. Siemens-Mann Otterbach ist bei den Umstrukturierungen beim Münchener Elektronikkonzern im Oktober 2004 ins Business gewechselt und leitet nun den Bereich Enterprise Services bei Siemens Communications, hat also seine Verantwortung für die interne IT abgegeben.
Themen, die zusammen mit dem Business in die Spur gesetzt wurden, können erst gar nicht für Unmut in den Führungsetagen sorgen. Komfortabel hat es Thomas Holzgreve vom Spezialisten für Sicherheitstechnik Dräger Safety. Er ist CIO und CFO im Vorstand des Unternehmens. So ließ sich dann auch die vergleichsweise gewagte Entscheidung treffen, nicht alle ERP-Lösungen weltweit zu vereinheitlichen: "Wir haben die ERP-Systeme nicht standardisiert, sondern betreiben eine Business-Integration. Wir automatisieren die Prozesse zwischen den Tochtergesellschaften, die wir über ein SCM-Portal und geeignete Middleware allen Beteiligten verfügbar machen."
Doch auch Siemens-Mann Otterbach setzte ohne Vorstandsmandat seine Idee durch. Seine Anforderung an mobile Technologien für die Zukunft war klar und einfach formuliert: "permanent on air sein". "Durch die Verbreitung von UMTS wird die On-Air-Zeit länger werden", sagt Otterbach, der per Application Service Provider (ASP) und Terminal-Servern mobile Endgeräte mit einer Serverfarm verbinden will. Das größte Problem sei ohnehin meist nicht die Technik, sondern das Verhalten der Nutzer: "Vor ASP haben wir Usern 20 Jahre lang erklärt, das der PC ihr ein und alles ist, und plötzlich heißt es: da gibt es nur noch einen Terminal, die Logik ist im Netz und auf den Servern - das ist schwer zu verdauen", so Otterbach, dem es auch mit der Internettelefonie so geht: "Ich habe kein Telefon mehr und keine Wählscheibe, wie zuvor jahrzehntelang, sondern nutze die Software in meinem PC.
"Wachstumsbereiche erfordern auch immer, dass das Unternehmen zum Lernen bereit ist", sagt Capgemini-Mann Bettels. Zahlreiche Projekte aus diesen Bereichen haben ungeahnte Hürden zu überwinden, für die Zeit- und Geldpuffer geschaffen werden sollten. Diese Erfahrung machte auch Arno von der Eltz, der als CIO der Wacker Chemie 2004 eine Wafer-Produktionsstätte mit IP-Telefonie ausstattete und feststellte, "dass es sich hier um eine Anwendung handelt". "Wir haben schlicht vergessen, das Ding gegenüber den Anwendern zu vermarkten. Es gab veränderte Tastenfunktionen, keine Katastrophenkonzepte - und schließlich läuft die Anwendung ja über den Server", so von der Eltz, der hier in ein Experimentierfeld geraten war. "Business Cases gab es nicht mal von den IT-Anbietern."
Auch für seine persönlichen PDA-Favoriten, die Blackberrys, sucht von der Eltz, nach internem Jobwechsel seit Januar 2005 Geschäftsführer des Bereichs Polymers, noch immer nach Business Cases. "Wir wollen Blackberrys im Bereich Management und Vertrieb einsetzen", so von der Eltz.
Schmerzhaftes Lernen ist Alltag
Große Schritte in Bezug auf die Mobilität hat auch Christoph Ganswindt vor. Der Leiter Information Management bei Lufthansa Passage plant Verbesserungen bei den Informationssystemen für die Piloten: Seit fast drei Jahren rufen Lufthansa-Piloten vor dem Abflug via Laptop aktuelle Wetter- und Flugdaten, digitalisierte Karten oder Informationen über den Trimming-Zustand (die Schwerpunktberechnung des Flugzeugs) ab. Mittels Breitband-Internetzugang sollen künftig Aktualisierungen während des Flugs möglich sein.
Zudem möchte der IT-Manager sämtliche Anwendungen an allen Arbeitsplätzen von Lufthansa Passage über Web-Technologie einführen. "Damit wollen wir eine enge Anbindung der Arbeitsplätze von Cockpit und Kabine herstellen", erläutert Ganswindt. "Die Infrastrukturvoraussetzungen sind allerdings nicht überall auf der Welt gleich", stellt Ganswindt fest. Er zählt 350 Standorte weltweit, von denen über 300 weniger als zehn Mitarbeiter vor Ort hätten. "An einigen Standorten haben die Mitarbeiter kein ISDN zur Verfügung, zudem sind große Bandbreiten nötig, das ist sehr teuer", konstatiert Ganswindt und spricht von einem schmerzhaften Lernen.
Ähnlich unerkundetes Terrain bietet der Bereich Biometrie. "Wir haben einen Feldtest auf unserem Firmengelände bereits abgeschlossen", sagt Ganswindt, der sich vom Einsatz der Biometrie eine spürbare Qualitätsverbesserung erhofft, die den "Bestandskunden" zugute kommen soll - vornehmlich viel reisenden Business-Kunden. "Wir arbeiten daran, Hürden auf dem Weg zum Flugzeug für unsere Kunden abzubauen und damit die Reise nahtloser und komfortabler zu gestalten. Ganz konkret: Neben einer automatischen Erkennung der Passagiere könnten Funketiketten an Gepäckstücken haften. Pilotprojekte für das beschleunigte Check-In und Boarding plant Ganswindt bereits für dieses Jahr. "In den USA wird es bald Datenbanken geben, die mehr Informationen über unsere Kunden beinhalten, als wir selbst sie heute zur Verfügung haben", so Ganswindt. Mit dieser neuen Dimension an Datenmengen muss auch der Passage-IT-Chef künftig lernen umzugehen.
Biometrie für 50 000 Flughafenmitarbeiter
Biometrie ist für Roland Krieg, CIO des Flughafenbetreibers in Frankfurt Fraport, zuallererst eine Sicherheitsfrage. "Die Sicherheit ist ein großes Thema", sagt Krieg, "wir werden uns auf den Stand bringen, den das Innenministerium von uns verlangt." Doch besonders im Bereich der Zugangskontrollen für die 50 000 am Flughafen beschäftigten Mitarbeiter ist noch unklar, ob und wann die konkrete Aufforderung der Behörden für eine Authentifizierung über Biometrie kommen wird. "Wir müssen uns darauf vorbereiten", sagt Krieg, der 2005 mit einem Schub für diese Technologie rechnet - wie auch für die Technologie der Funketiketten. "Die Vorteile von RFID im Mobile Asset Management von Fraport liegen auf der Hand", sagt Krieg. "Die Fehler in der Erkennung bei unseren Versuchen zur automatischen Gepäckidentifizierung gehen gegenüber dem Barcode von zehn auf unter ein Prozent zurück.
"RFID ist für Unternehmen zum einen wegen vereinfachter Wareneingangs- und -ausgangskontrollen interessant, aber auch für Personen- und Objektidentifikationen", erläutert Capgemini-Mann Bettels. Thomas Engel, CIO des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, wird derzeit von seinen Kunden getrieben, RFID zu testen und schnellstmöglich als Value Added Service einzusetzen. Derzeit testet Engel für den Druckerkunden Océ in einem Pilotprojekt das automatische Erfassen von Sendungen an RFID-Gates.
Ein anderer Großkunde erhofft sich Vorteile, weil durch Diebstahl in Läden mehrere Prozent des Milliardenumsatzes verloren gehen. "Da ließe sich schnell ermitteln, wo die geblieben sind, und es ließen sich Sicherheitsmechanismen einbauen", so Engel, den als CIO eines globalen Logistikkonzerns allerdings etwas anderes viel mehr antreibt: "Die USA haben damit begonnen, für jede Ladung eine sehr detaillierte Vorankündigung der Ware zu verlangen", so Engel. "Dafür muss jedes Einzelteil aufgelistet vorliegen, bevor das Schiff andocken kann. Eine manuelle Erfassung wäre viel zu aufwändig." Auf einer Umverpackung, auf der derzeit Barcodes zu finden sind, müssten dann Funketiketten kleben. Der Pilot läuft noch bis April 2005.
Dann zeigt sich, wie präzise die neue Technologie funktioniert und wie teuer das Projekt wird. Und auch, ob Funketiketten sich in den Ablauf des Logistikers derart nahtlos integrieren lassen, wie sich der Postbank-CIO Berensmann das etwa für die herannahende IT-Industrialisierung so vorstellt.