Eine Rundreise führt durch alle Orte, weist möglichst kurze Wegstrecken auf und kommt am Ende zum Ausgangspunkt zurück. In der Mathematik und Informatik ist diese Aufgabenstellung als "Problem des Handlungsreisenden" bekannt. Bereits bei zehn Orten müssen 181.440 Varianten geprüft werden, bei 15 Städten gibt es schon 43 Milliarden Optionen. Klassische Supercomputer stoßen bei solchen Berechnungen an ihre Grenzen oder benötigen sehr viel Zeit.
Für Quantenrechner hingegen sind solche variantenreichen Aufgaben genau das Richtige, weil sie den riesigen Rechenaufwand leisten können. Spezielle Algorithmen lassen sich mit Quantum-Computing exponentiell schneller ausführen. In bloß einer Sekunde errechnen sie das, wofür ein normaler Superrechner im Extremfall ein Jahrhundert brauchen würde. Daraus ergibt sich ein riesiges Potenzial, die Quantentechnologie in vielen Branchen einzusetzen.
Abbilden und Verarbeiten verschiedener Zustände
Die Fähigkeit, Rechenoperation so zu beschleunigen, liegt in der Abbildung und Verarbeitung verschiedener Zustände. Herkömmliche Systeme verwenden als kleinste Informationseinheit Bits, die nur zwei Werte kennen: "0" oder "1" beziehungsweise "Ja" oder "Nein". Quantencomputer hingegen beruhen auf den sogenannte "Qubits". Hier können sich die zwei Zustände 0 und 1 jedoch überlagern.
Diese entscheidende Überlagerung, auch Superposition genannt, liegt "irgendwo" zwischen einer 0 und einer 1. Dadurch kann ein System aus fünfzig verschränkten Qubits viel mehr Informationen speichern als bisher bekannte PC oder Server. Qubits sind in der Lage, eine unbegrenzt große Zahl von Zuständen einzunehmen. Die Quantenrechner speichern dann die entsprechenden Werte und verarbeiten diese parallel.
Das Erzeugen und Erfassen einzelner Qubits gelingt Forschern heute beispielsweise über das Beschießen von Atomen, Elektronen oder Photonen mit Laserstrahlen. Alternativ lassen sich Mikrowellen einsetzen. Bevor Quanten-Rechenoperationen starten können, muss die Verschränkung von Quantenbits in einem Register erfolgen.
Ändert sich dann der Zustand eines Qubits, weisen auch alle Qubits, die mit diesem Quantenbit verschränkt sind, sofort einen anderen Zustand auf. Die Veränderung findet unabhängig davon statt, wie weit Qubits voneinander entfernt sind. Die Zustandsänderungen der Quantenbits lassen sich messen und in Werte von "1" und "0" übersetzen. Unter diesen Umständen ist der Weg zur parallelen Berechnung von Werten frei, die zu der extrem hohen Verarbeitungsgeschwindigkeit führt.
Aktueller Leistungsstand
Was leisten Quantenrechner bereits? Diese Frage hat Google Mitte 2017 auf einer Konferenz in München beantwortet. Der Konzern stellte dort den derzeit leistungsstärksten Quantenprozessor vor. Er verfügt über 20 Qubits. Damit überflügelte Google den Quantenprozessor, den IBM mit 17 Quantenbits im Mai 2017 präsentierte. Nach Einschätzung von Entwicklern lassen sich mit CPUs, die rund 50 Qubits und mehr bereitstellen, Rechenaufgaben erfüllen, die kein konventioneller Rechner bewältigen kann.
Nicht nur Google und IBM arbeiten in Nordamerika am Quantum-Computing, sondern auch D-Wave Systems, Intel und Microsoft. In Asien beschäftigen sich vor allem Forschungsinstitute und Firmen aus China, Südkorea und Japan mit der Quantentechnologie. Neben NTT und Toshiba haben beispielsweise die Universität Wuhan und NEC Patente angemeldet. Es fällt allerdings auf: Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie ID Quantique oder Atos befinden sich kaum europäische Unternehmen unter den Anbietern.
Test zum Vermeiden von Staufallen
Quantencomputer werden bereits heute in mehreren Gebieten erprobt. Der Autokonzern Volkswagen setzt die Technologie beispielsweise ein, um neue Ansätze für die Verkehrssteuerung zu entwickeln. Das Ziel ist, die Bildung von Verkehrsstaus in Großstädten zu verhindern, bevor diese überhaupt entstehen. Als Testumgebung hat sich Volkswagen Peking ausgesucht, die "Hauptstadt der Verkehrsstaus", wie sie von den Bewohnern genannt wird. Ein Quantenrechner hat die Bewegungsdaten von 10.000 Taxis erfasst, um die Verkehrsflüsse in der chinesischen Hauptstadt zu simulieren und die Routen der Taxis zu optimieren. Normale Rechner wären mit dieser Aufgabe völlig überfordert gewesen.
Bei der Unwettervorhersage und im Hochgeschwindigkeitshandel aktiv
Quantencomputer eignen sich ebenso für die Analyse und Prognose von Klima- und Wetterdaten. Je früher und genauer sich beispielsweise der Weg eines Wirbelsturmes oder einer Unwetterfront vorhersagen lässt, desto eher können sich Menschen in Sicherheit bringen und Hilfsmaßnahmen geplant werden. Derzeit sind selbst Großrechner damit überfordert, kurzfristig zuverlässige Prognosen zu erstellen. Das war im Fall des Sturms "Xavier" im Herbst 2017 in Deutschland der Fall. Versicherungsexperten wiederum profitieren in dem Zusammenhang von Informationen, wann und wo Unwetter auftreten können. Das ist wichtig, um mögliche Schäden vorherzusagen und passende Versicherungstarife und Leistungen anzubieten.
Im Finanz- und Bankensektor bietet es sich an, Quantenrechner im Hochgeschwindigkeitshandel einzusetzen. Je nach Kursentwicklung bestimmter Aktien oder Anleihen tätigen Rechner selbstständig Käufe und Verkäufe solcher Papiere - im Millisekunden-Takt. Maßgeschneiderte Algorithmen für Quantenrechner benötigen weniger Berechnungen als ein normaler Rechner, um entscheiden zu können, wann eine solche Transaktion am besten erfolgen sollte.
In Kombination mit Techniken wie maschinellem Lernen, Künstlicher Intelligenz und neuronalen Netzen sind Quantenrechner zudem in der Lage, große Datenbestände nach verdächtigen Mustern zu durchsuchen. Dadurch lassen sich Angriffe auf Banken und deren Kunden prädiktiv erkennen und stoppen.
Wo Quantenrechner an Grenzen stoßen
Im Quantum-Computing liegt für alle Branchen und Wissenschaftsdisziplinen der Schlüssel, ungeahnte Potenziale zu erschließen. Anwender sollten jedoch einige Besonderheiten berücksichtigen. Da ist zum Beispiel das "No-Cloning-Theorem". Nach diesem lassen sich Qubits ohne Änderung der gespeicherten Information nicht duplizieren. Verfahren für die Fehlerkorrektur, die bei "normalen" Rechnern greifen, sind deshalb nicht auf Quantensysteme anwendbar.
Denn bei Quantenrechnern würden durch den Kopiervorgang unterschiedliche Versionen derselben Daten entstehen, die nicht miteinander vergleichbar sind. Herkömmliche Rechnerarchitekturen erweisen sich zudem als resistenter gegenüber Hardware-Fehlern. Quantenrechner sind sehr komplex aufgebaut und empfindlich. Dadurch erhöht sich bei ihnen die Wahrscheinlichkeit um den Faktor 20, dass eine defekte Hardware-Komponente zum Ausfall führt.
Das Gute und Schlechte an der Quanten-Kryptografie
Die Quanten-Technologie hat allerdings auch ihre Schattenseite. Sie macht bisherige Verschlüsselungsverfahren unwirksam. Das gilt vor allem für asymmetrische Verschlüsselungstechniken, die mit öffentlichen (Public-Key-Systeme) und privaten Schlüsseln arbeiten. Dazu zählt der weit verbreitete RSA-Algorithmus. Die Sicherheit der Schlüssel beim RSA-Verfahren beruht auf einer Multiplikation von großen Primzahlen. Zu den Stärken von Quantenrechnern zählt das Zerlegen von Primzahlen in ihre Faktoren. Der amerikanische Forscher Peter W. Shor hat bereits 1994 einen Algorithmus für Quantenrechner entwickelt, mit dem diese solche Berechnungen in kurzer Zeit durchführen können.
Damit ist das RSA-Verschlüsselungsverfahren auf Dauer nicht mehr sicher. Allerdings müssen Quantencomputer bereitstehen, die über eine Rechenleistung von vielen Qubits verfügen, um komplexere RSA-Schlüssel zu knacken. Bislang gibt es noch keine entsprechenden Systeme. Selbst wenn dies nicht vor 2025 geschehen wird, ist es notwendig, bereits heute neue Sicherheitsstandards zu entwickeln, die Quantenangriffen widerstehen werden. Schließlich benötigt es Zeit, um die Sicherheit eines Standards zu belegen. Danach kann ein Sicherheitsstandard 20 oder sogar 30 Jahre lang gelten.
Symmetrische Verfahren wie AES (Advanced Encryption Standard) und SHA (Begriff Secure Hash Algorithm) werden noch einige Zeit lang Quantenrechner-Attacken standhalten. Doch nach Einschätzung von Krypto-Spezialisten halbiert sich durch die Quantentechnik die Schutzfunktion der eingesetzten Schlüssel.
Quantentechnik beim Schlüsselaustausch
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass sich auch Unternehmen mit Quantencomputern und Quantenverschlüsselung beschäftigen. So lässt sich die Quantentechnik dazu einsetzen, einen abhörsicheren Austausch von Schlüsseln bei symmetrischen und asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren zu gewährleisten. Bei der Quantum Key Distribution (QKD) werden die Schlüssel über Lichtwellenleiter in Form von Photonen übermittelt. Andere Techniken nutzen für den Schlüsselaustausch "verschränkte Zustände" von Lichtteilchen.
Der Vorteil von QKD: Ein Abhören der Verbindung führt dazu, dass sich die übermittelten Informationen verändern. Für Sender und Empfänger ist somit jederzeit erkennbar, ob sich ein ungebetener Mithörer in die Kommunikation eingeschaltet hat, um Schlüssel zu entwenden.
Algorithmen für die Post-Quanten-Ära
Führende IT-Unternehmen haben bereits damit begonnen, Verschlüsselungsalgorithmen zu entwickeln, die auch Angriffen mit Quantenrechnern standhalten. Mit einem Quantenrechner-Simulator zum Beispiel können Forscher und Software-Entwickler Algorithmen sowie Anwendungen für solche Computer entwickeln.
Zudem können Nutzer die Stärke von Verschlüsselungstechniken überprüfen und anhand dessen Lösungen entwickeln, die einen Schutz vor Entschlüsselungsversuchen bieten. Solche Algorithmen sind unverzichtbar, um persönliche sowie Kunden- und Geschäftsdaten vor dem Zugriff Unbefugter zu sichern. Damit Cyber-Kriminelle gar nicht erst soweit an die Verschlüsselung der Datensätze herankommen, ist der Schutz von Kommunikationssystemen und elektronischen Geschäftsprozessen zwingend notwendig. Unternehmen sollten daher mehrere Sicherungsinstanzen aufbauen, damit sie jede Art von Cyber-Angriffen unterbinden können.
Vielversprechendes Hybrid-Modell für die nahe Zukunft
Quantencomputing ist ein Zukunftsthema, mit dem sich Wissenschaftler und Unternehmen aus allen führenden Industrienationen beschäftigen. In vielen Ländern haben Regierung, staatliche Organisationen und Forschungseinrichtungen Programme gestartet, um die Entwicklung solcher Rechner voranzutreiben. Europa hinkt trotz einiger Ausnahmen in dieser Hinsicht bislang hinterher. In der Fachwelt gehen die Meinungen darüber weit auseinander, wann Quantencomputer für den Masseneinsatz bereitstehen.
Die Mehrzahl der Experten erwartet größere Stückzahlen in fünf bis zehn Jahren. Einigkeit besteht darin, dass Quantenrechner nicht bei IT-Standardaufgaben Spitzenleistungen bringen, sondern beim Durchführen komplexer Simulationen für Verkehrs- und Wetterprognosen, in der Finanzbranche, Materialforschung und Teilchenphysik oder bei der Entwicklung neuer Medikamente glänzen. Eine Gruppe von Forschern aus den USA und der Schweiz hat daher ein Konzept für einen Hybrid-Rechner entwickelt. Dieser vielversprechende Ansatz kombiniert einen Quantencomputer mit einem konventionellen Rechner. Zu den Einsatzgebieten dieses Systems zählt die Simulation des Verhaltens von Materialien, etwa Metallen. (hal)