Lange Zeit waren CIOs vornehmlich für die Bereitstellung von IT-Infrastruktur und die technologische Abbildung von Prozessen verantwortlich. Mit dem digitalen Wandel wächst nun ihre Verantwortung, auch Mehrwerte für den Kunden zu schaffen und dadurch den Umsatz zu erhöhen. Zusätzlich gibt es einen stetigen Strom neuer Technologien, die es zu bewerten und, sofern sinnvoll, zu nutzen gilt.
Dadurch steigt die Komplexität der CIO-Aufgabe enorm: CIOs werden vom IT-Verwalter zum "Tausendsassa". Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, stehen ihnen oft höhere IT-Budgets zur Verfügung. Damit verbunden sind Chancen und Risiken: CIOs können sich als echte "Wertschaffer" im Unternehmen etablieren und werden dann im Idealfall nicht mehr primär als Kostenverursacher gesehen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sie durch den erweiterten Kundenfokus und den Zwang, alle Trends zu erkennen, überfordert werden.
Welche IT-Trends in den nächsten Jahren relevant sein werden und welche Bedeutung sie für CIOs haben, wird im Folgenden beschrieben. Manchmal geht es um die Steigerung des Kundenumsatzes, manchmal auch um die interne Optimierung hinsichtlich Kosten oder Sicherheit (siehe Grafik).
Digitale Ökosysteme
Über alle Branchen hinweg sind zunehmende Kooperationen von Unternehmen in digitalen Ökosystemen zu beobachten. Dabei werden häufig über zentrale Plattformen und gemeinsame Schnittstellen verschiedene digitale Services für die Kunden bereitgestellt, die die Fähigkeiten der teilnehmenden Partner vereinen. So taten sich die beiden Carsharing-Services Car2Go von Daimler und DriveNow von BMW zum übergreifenden Service Share Now zusammen, der die Fahrzeugflotten beider Hersteller zusammenführt.
Ergänzt wird dieses Mobilitätsökosystem durch weitere Angebote (zum Beispiel Free Now) im gemeinsamen Joint Venture Your Now. Für CIOs bedeutet das, dass sie zusammen mit der Geschäftsführung prüfen sollten, inwiefern ein digitales Ökosystem auch für das Geschäftsmodell ihres Unternehmens sinnvoll ist. Wenn das der Fall ist, muss in Abstimmung mit potenziellen Partnern eine Plattform aufgebaut werden, die die verschiedenen IT-Landschaften und Datentöpfe auf Basis gemeinsamer Schnittstellen verbindet und den technischen Grundstein für das Ökosystem legt.
Immersive Experience
Die Kombination mehrerer Technologien wie Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Gestensteuerung, Mimikerkennung oder Conversational Interfaces erlaubt die umfängliche Einbeziehung menschlicher Sinne (insbesondere Hören, Sehen, Tasten) in einer sogenannten Immersive Experience. In den letzten Jahren wurde dieser Trend insbesondere durch die Unterhaltungsindustrie vorangetrieben. Doch bisher konnten sich darüber hinaus noch keine entscheidenden Use Cases durchsetzen.
Es gibt aber Anzeichen dafür, dass sich das in den nächsten Jahren ändern könnte. CIOs sollten sich zuerst fragen, welche umsatzstiftenden Services sie ihren Kunden mit den neuen Technologien bereitstellen können. Um die Technologien zu testen, bieten sich aber auch interne Anwendungsfälle an, beispielsweise im Produktdesign.
Künstliche Intelligenz
KI kann verstanden werden als die Fähigkeit einer Maschine (insbesondere eines Computers), intelligente menschliche Denkprozesse auszuüben. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass der Begriff eine Sammlung von Technologien meint, die in Funktionalität, Reife und Nutzen stark voneinander abweichen, wie beispielsweise Natural Language Processing, Automated Speech Recognition oder Image Recognition.
Die Fähigkeit des Computers, aus vergangenen Informationen und Entscheidungen zu lernen, wird dabei als Machine Learning bezeichnet. Anwendungsfälle werden für die nächsten Jahre in allen Industrien prophezeit, vom Marketing über Finanzentscheidungen bis hin zur Produktion.
Dabei verschwimmt häufig die Grenze zwischen traditioneller Datenanalyse und echter, neuartiger KI. Aus der Menge an Technologien ergibt sich, dass CIOs diese isoliert voneinander verstehen und bewerten müssen. Dann ist zu priorisieren, welche Methoden einen wirklichen Mehrwert im Unternehmen liefern können. Eine Diskussion auf dem Level von "Wir müssen mehr KI nutzen" ist nicht zielführend. Es geht darum, konkreter zu werden.
Internet der Dinge
Im Internet der Dinge werden Objekte mit Sensor- und Kommunikationstechnologie ausgestattet und sind dadurch in der Lage, untereinander zu interagieren und von zentraler Stelle aus gesteuert zu werden. Daraus ergeben sich sowohl neue digitale Produkte und Services für Konsumenten (zum Beispiel Smart Home) als auch für Industrie-Unternehmen, die sich in Produktion und Logistik Optimierungspotenziale erhoffen.
Den Trend gibt es bereits seit mehreren Jahren, er kann aber 2020 entscheidend befeuert werden: Die graduelle Einführung des neuen 5G-Mobilfunkstandards ermöglicht eine wesentlich schnellere Datenübertragung mobiler Endgeräte. Objekte des Internets der Dinge können mit diesem Standard ausgerüstet werden. Außerdem wird sich der WiFi-6-Standard weiter durchsetzen, der die Anbindung einer großen Zahl von Geräten mit hoher Bandbreite verspricht. Bei der Ausrüstung von Lagerhallen und Industrieparks stehen CIOs dann vor der Frage, welchen der beiden Standards sie im eigenen Unternehmen verwenden wollen.
Blockchain
Blockchain ist eine Distributed-Ledger-Technik, bei der ein Datensatz über mehrere Parteien verteilt ist und nicht durch eine einzelne Instanz abgeändert werden kann. Auch wenn die Technologie in der öffentlichen Wahrnehmung stark mit Cryptowährungen verknüpft ist, sind diese nur eines von vielen Anwendungsgebieten.
Außer in der Finanzindustrie kann Blockchain insbesondere in Branchen relevant werden, in denen die transparente Nachverfolgung einzelner Güter wichtig ist (zum Beispiel Logistik, Pharma, Groß- und Einzelhandel). Die Diskussion um den Trend ist im vergangenen Jahr allerdings merklich abgekühlt. Daraus ergibt sich eine objektivere Betrachtung, die der Sache guttut. Im Hintergrund arbeiten Unternehmen weiter an umsetzbaren Lösungen.
Robotic Process Automation
Bei RPA geht es um die Automatisierung von transaktionsorientierten Prozessen durch einen Softwareroboter. Dabei erfolgt die Automatisierung nicht durch die Entwicklung einer Applikation und Einbindung von technischen Schnittstellen (wie beispielsweise bei einem Workflow), sondern durch die Ausführung einzelner Nutzerschritte an der Benutzeroberfläche.
Dies ist vergleichbar mit dem Aufzeichnen und Abspielen eines Makros bei Microsoft-Office-Produkten, gilt aber applikationsübergreifend. Der Vorteil ergibt sich daraus, dass die Komplexität einer heterogenen Applikationslandschaft übergangen werden kann und somit eine Automatisierung einfacher nutzbar wird. CIOs sollten prüfen, welche ihrer repetitiven Prozesse am meisten Aufwand verursachen und ob sie automatisierbar sind.
IT-Sicherheit
Mit einem zunehmenden Grad an Vernetzung und Datenaustausch wachsen die IT-Sicherheitsrisiken. Druck kommt dabei von zwei Seiten: Zum einen nehmen die technologischen Herausforderungen zu, bedingt durch die wachsende Abhängigkeit von Applikationen und Algorithmen und durch die steigende Zahl von Angriffen von außen. Zur Sicherstellung der Informationssicherheit und zur Fortführung des Geschäfts müssen CIOs ihre Infrastruktur daher ausreichend absichern. Zum anderen steigt bei den Kunden die Skepsis gegenüber einer intensiveren Datenverarbeitung und damit auch deren Anforderungen an den Datenschutz.
CIOs sollten sich zwei Fragen stellen:
1. Ist mein Unternehmen ausreichend abgesichert?
2. Können wir den Kunden glaubhaft versichern, dass ihre Daten in guten Händen sind?
Sollten diese Fragen nicht positiv beantwortbar sein, sollten CIOs Maßnahmen zur Stärkung der IT-Sicherheit initiieren. Dabei kommt immer häufiger auch KI zum Einsatz, beispielsweise um Angriffe von außen frühzeitig zu erkennen.
Open Source
Open Source ist Software, deren Quelltext frei zugänglich und meist ohne Lizenzkosten nutzbar ist. Neben der möglichen Einsparung von Gebühren kann sie die Informationssicherheit und den Datenschutz fördern, da voller Einblick in die Verarbeitung von Daten durch die Applikation gegeben ist. Open Source an sich ist kein neuer Trend, kann aber in den nächsten Jahren eine Renaissance erleben.
So basieren technische Innovationen der letzten Jahre vielfach auf Open-Source-Standards, sei es bei Cloud-Infrastrukturen (zum Beispiel OpenStack), in der großflächigen Datenverarbeitung (zum Beispiel Apache Hadoop) oder beim Internet der Dinge (zum Beispiel Apache Kafka). CIOs sollten sich fragen, ob der vermehrte Einsatz von Open Source auch für sie Vorteile bringt, etwa in Form von höherer Innovationskraft, Kosteneinsparungen oder gesteigerter Informationssicherheit und Datenschutz. Wenn ja, sollten sie sich in Zeiten des Fachkräftemangels schon einmal die benötigten Experten sichern, die sich mit entsprechenden Technologien auskennen.
Umgang mit Komplexität entscheidet
Es zeigt sich, dass neue IT-Trends sowohl zur Steigerung von Umsatz als auch zur internen Optimierung genutzt werden können. Daraus ergibt sich die eingangs geschilderte Rollenänderung des CIO, der zukünftig auch an Umsatzzielen gemessen wird.
Deshalb und wegen der vielen neuen Trends hat der CIO mit einer gesteigerten Komplexität seiner Aufgabe zu kämpfen. Nutzt er die sich bietenden Chancen, kann er seinen Stellenwert im Unternehmen verbessern und sich als Wertschaffer positionieren. Dadurch verhindert er auch, dass umsatzbezogene IT-Kompetenzen anderweitig aufgebaut werden, möglicherweise in Form eines gleichgestellten CDO.