Dass ausgerechnet der populäre Online-Dienst Twitter Google Enterprise Apps nutzt, sollte für Googles Marketing-Team eigentlich eine tolle Nachricht sein. Dumm nur, dass die Zusammenarbeit ausgerechnet durch einen Datendiebstahl im Juli dieses Jahres bekannt wurde.
Ein Hacker hatte sich Zugang zum Google-Mail-Konto einer Twitter-Angestellten verschafft. Dort konnte er nicht nur ihre Mails, sondern auch bei Google gespeicherte Firmendokumente lesen. Die Apps greifen nahtlos ineinander. Wer den E-Mail-Dienst benutzt, kann mit diesem Nutzerkonto auch die Online-Bürosoftware nutzen. Zu den mehr als 300 Dokumenten, die kopiert wurden, gehörten eine Liste aller Twitter-Angestellten, ihre Kreditkartennummern, Telefon- und E-Mail-Daten, Verträge mit Lieferanten wie Nokia, Samsung, Dell und Microsoft sowie Gehalts- und Bewerbungsunterlagen.
Solche Nachrichten kann Google derzeit nicht gebrauchen. Mit seinen Anwendungen versucht der Such-Riese, den Dauerrivalen Microsoft auch auf dem Feld der Office- und Mail-Systeme anzugreifen "Schon jetzt sehen beide Unternehmen sich gegenseitig als jeweils größte Bedrohung für ihre eigenen langfristigen Geschäftsstrategien", sagt Rüdiger Spies, Enterprise-Experte beim Analystenhaus IDC in München.
Allerdings sieht es nicht so aus, als könnte der Such-Gigant diesen Kampf gewinnen. Zwar sind Googles Online-Firmenanwendungen wie der E-Mail-Server, ein Online-Kalender, die Collaboration-Software Google Sites oder Office-Anwendungen wie die Textverarbeitung Google Docs und die Tabellenkalkulation Spreadsheet zweifellos billig. 40 Euro kostet es, einen Firmenarbeitsplatz ein Jahr lang in die Cloud zu verlagern. Der Preis bringt viele Firmen dazu, wenigstens vorübergehend einmal Googles Dienste auszuprobieren. "Wir sehen, dass pro Tag 3000 Firmen beginnen, unsere Apps zu nutzen", sagt Dave Armstrong, der für Google in Europa den Bereich Enterprise-Anwendungen verantwortet.
Streit um Google in Los Angeles
Doch bei vielen Projektplanungen stehen seit der Twitter-Affäre Sicherheitsfragen im Vordergrund. So streiten Cloud-Befürworter und -Kritiker in der Stadtverwaltung von Los Angeles darüber, ob ein 7,25 Millionen-Dollar-Projekt, die IT der Stadt auf Google zu migrieren, nicht zu gefährlich ist. Bisher betreibt die Stadt ein Novell-GroupWise-E-Mail-System und arbeitet mit Microsoft Office. L.A. könnte durch den Umstieg von 30 000 Angestellten auf die Enterprise Apps im Jahr sechs Millionen Dollar Lizenzkosten sparen.
In derartige Abkommen setzt Google große Hoffnungen. Bislang machen die Softwarelizenzen drei Prozent des Umsatzes aus. 667 Millionen Dollar spielten Enterprise-Abkommen im voriigen Jahr ein. Allerdings nimmt das Apps-Geschäft derzeit Fahrt auf. 2007 lag Lizenzumsatz gerade mal bei 181 Millionen Dollar. 2010 soll der Enterprise-Bereich schwarze Zahlen schreiben und in einigen Jahren substanziell zum Firmengewinn beitragen, um Googles Abhängigkeit vom Online-Werbemarkt zu verringern.
Google unternimmt deshalb viel, um die Firmenkundenangebote bekannt und attraktiv zu machen. Im Juni stellte das Unternehmen zudem eine Lösung vor, um die Apps mit Outlook zu synchronisieren. Im Juli entfernte Google das Beta-Label von den Apps, die bis dahin offiziell nur als Testversionen verfügbar waren, und präsentierte ein Werkzeug, um die Migration von Lotus Notes zu den Apps zu vereinfachen. Seit Ende August können auch Firmen-Blackberrys voll in die Apps-Landschaft integriert werden.
"Inzwischen haben wir 1,75 Millionen Organisationen, die die Enterprise-Version der Apps nutzen", bilanziert Amstrong. Motorola oder der Halbleiterhersteller Avago, der 4.100 Mitarbeiter mit Google vernetzt, gehören zu den größeren Kunden. In Europa ist der französische Automobilzulieferer Valeo mit rund 30.000 weltweiten Nutzern neben den britischen Medienhäuser Guardian und Telegraph Media Group der prominenteste Referenzkunde.
Dennoch machen vor allem Kleinunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern das Gros der Kunden aus. Auch viele US-Universitäten sind unter den Kunden der Profi-Apps von Google – und Start-ups wie Radio.de aus Hamburg, ein Online-Dienst, der Hörer und Radiostreams zusammenbringt. Die Hanseaten verzichten auf den Betrieb eines eigenen Mail-Servers und nutzen eifrig die Online-Büroanwendungen.
An Microsoft führt kein Weg vorbei
Enterprise-Nutzer wie Bernhard Bahners, Marketing-Chef von Radio.de, machen die Erfahrung, dass der verschlossene Suchriese durchaus einen Business-tauglichen Kundenservice mit festen Ansprechpartnern auf die Straße bringen kann. Als Radio.de vor Kurzem ein Mailing an hunderte Werbekunden verschicken wollte, beendete ein in Google Mail eingebauter Spam-Stopper die Aktion. "Ein Anruf genügte, und das Problem war binnen Minuten gelöst", sagt Bahners.
Solche positiven Erfahrungen wiegen allerdings nicht die Sicherheitsbedenken vor allem großer Konzerne auf. IT-Verantwortliche bemängeln zudem, dass die Apps keine systematische Aufzeichnung von Geschäftsvorgängen und -ergebnissen zulassen. "Von den vielen Märkten, die Google angreift, ist der Enterprise-Software-Markt einer der schwierigsten", sagt auch Felix Wittern, der in Hamburg als Partner bei der internationalen Kanzlei Field Fisher Waterhouse Technologiefirmen berät. "Microsofts Software ist überall so verbreitet, dass es schwer ist, dort reinzukommen. Auch die Open-Source-Anbieter mussten feststellen, dass sich potenzielle Kunden schwer tun, Alternativen zu Microsoft zu nutzen."
Neben Sicherheit und der Sorge vor umständlichen Umstellungen entscheidet ein weiteres Thema die Frage nach der richtigen Enterprise-Software, sagt Experton-Group-Analyst Axel Oppermann: "Wegen der Haftung der Geschäftsführer wird Compliance ein immer wichtigeres Thema." Die meisten Compliance-Fragen sind mit Microsoft-Lösungen weitgehend geklärt. Wer auf der Redmonder Infrastruktur Mails und Dokumente archiviert, muss nicht befürchten, dass ihm die Konzernrevision oder die Vorstandskollegen oder irgendeine Behörde kritische Fragen stellen.
Bei Googles Enterprise Apps ist das nicht der Fall. Den Nachweis, dass ein Unternehmen Daten sorgfältig aufbewahrt, muss es selbst führen, warnt Wittern. "Dazu muss man im Zweifelsfall nachprüfen können, ob und wie die Daten sicher vorgehalten werden.“ Das aber ist bei einer Cloud-Infrastruktur schwierig. Ihr Vorteil ist ja gerade, dass Daten und Hardware entkoppelt sind, dass irgendwo in der Computerwolke Ressourcen angezapft werden können.
"Zu regeln, wo welche Daten in welcher Form gespeichert werden, ist schon beim Outsourcing kompliziert, wenn beide Vertragspartner nur in Deutschland Rechner haben", sagt der Anwalt. "Bei Google kommt hinzu, dass die Daten in der Cloud zwischen den USA und Deutschland hin- und her-wandern. Hier stellt sich die Frage, ob das Sicherheitsniveau überall gleich ist, und vor allem, ob der Rechtsrahmen für die Datenhaltung durchgängig gleich ist."
Cloud Computing macht Sorgen
Die Stärke der flexiblen, globalen und physisch kaum fassbaren Cloud-Technologie ist gleichzeitig aus Compliance-Sicht ihr größter Nachteil. Die Mail-Konten der Apps-Nutzer existieren beispielsweise gleichzeitig an mehreren Orten, sie sind mehrfach in den unterschiedlichen Rechenzentren in den USA und Europa gespiegelt. Das erlaubt rund um die Welt einen schnellen Zugriff auf die Mails und trägt dazu bei, dass gespeicherte Mails bei punktuellen Datenverlusten problemlos wiederhergestellt werden können.
Es ist aber nicht möglich, sagt Dave Armstrong, bei Google nur Platz in einem bestimmten Rechenzentrum zu buchen. "Wir versuchen, gegenüber unseren Kunden Transparenz herzustellen, wie die Daten im Cloud dargestellt und gespeichert werden", so Armstrong. "Die Kunden können dann mithilfe ihrer Anwälte ihre eigene Due Diligence vornehmen."
Ob das für potenzielle Großkunden Anreiz genug ist, bleibt fraglich. Zudem hat Microsoft auf die Herausforderung Cloud Computing inzwischen reagiert. So lassen sich beim neuen Groupware- und Nachrichtensys-tem Exchange 2010 Teile des Mail-Verkehrs in die Cloud auslagern und dennoch die gesamten Kommunikationsdaten revisionssicher archivieren. Auch Office 2010 wird zum Teil als Web-Anwendung nutzbar sein.
Für Fachleute ist klar, dass Office-Web-Applikationen langfristig Marktanteile erobern werden. Doch ob Google hier eine zentrale Rolle erobern wird, hält Axel Opperman für fraglich. "Der hybride Ansatz von Exchange 2010 kommt dem Bedarf der IT-Entscheider sehr nahe“, sagt er. "Und auch andere Anbieter, die im Vergleich zu Google weit mehr Erfahrung im Umgang mit Geschäftskunden haben, drängen in diesen Markt." Er verweist etwa auf Adobe mit der Online-Textverarbeitung Buzzword und auf Cisco, das mit dem Kommunikationsdienst Postpath nun mit Microsofts Exchange und IBMs Lotus konkurriert.
Google gegen Microsoft
Von diesen Schwierigkeiten unbeeindruckt, bläst Google bereits zur nächsten Attacke. Der Internet-Browser Chrome soll zum Betriebssystem ausgebaut und damit zur Windows-Alternative werden. Windows hat 2008 mit 16 Milliarden Dollar wesentlich zum Geschäftsergebnis beigetragen. "Zusammen mit dem Office-Umsatz machen die beiden Cashcows mit 29 Milliarden Dollar etwa 58 Prozent des Microsoft-Umsatzes aus", sagt IDC-Analyst Spies. "Microsoft würde fahrlässig handeln, wenn nicht jetzt alle Alarmglocken läuten und Gegenszenarien durchgespielt werden."
Auch wenn der PC vermutlich wegen der guten Beziehungen Microsofts zu den Herstellern eine Windows-Domäne bleibt, könnte der Vorstoß Erfolg haben. Schließlich entsteht mit den schlanken Netbooks gerade eine neue Geräteklasse. Es ist ein Markt, in dem die Karten derzeit neu gemischt werden. Bei dieser Schlacht stehen die Chancen deutlich besser, dass Google aus ihr als Gewinner hervorgehen kann.