Doppelte Produktivität

Die Scrum-Erfahrungen bei Immobilien Scout

22.03.2011 von Nicolas Zeitler
Oliver Zeiler findet Scrum "sexy": Mit Einführung der agilen Methode bei Immobilien Scout 24 hat der CTO die Effizienz der Entwickler in zwei Jahren verdoppelt.
Oliver Zeiler, CTO von Immobilien Scout 24, erprobt einen Ansatz, den er "Scrum 2.0" nennt: Entwickler und Produktmanager arbeiten von Anfang an zusammen. Die Entwicklungszyklen sollen dadurch kürzer werden.
Foto: Oliver Zeiler

Wohnungsmangel in Berlin war nicht das Problem. Dass Internetnutzer über Immobilien Scout 24 lange Zeit nicht die richtige Bleibe in der Hauptstadt fanden, lag an der Suchfunktion des Portals. Lieferte eine Suche mehr als tausend Treffer, musste der Suchende sie mit Filtern immer weiter verfeinern - eine Ergebnisliste im vierstelligen Bereich konnte das Portal nicht darstellen. "Ein Problem, an das sich lange niemand herangetraut hat, obwohl es eine massive Usability-Einschränkung für den Kunden darstellte", erzählt Oliver Zeiler, CTO bei Immobilien Scout. Bis er Anfang 2008 die ersten IT-Mitarbeiter in Scrum schulen ließ. Das erste Team, das probeweise nach der agilen Methode arbeitete, hatte die Einschränkung schon nach zwei je dreiwöchigen Sprints beseitigt.

Drei Jahre nachdem er die Scrum-Einführung begonnen hat, kann Zeiler viele solche Geschichten erzählen von Aufgaben, die schneller erledigt werden als vorher zu Zeiten der klassischen Entwicklungsarbeit. Der IT-Chef von Immobilien Scout belegt das mit Zahlen. Er lässt die Produktivität der Softwareentwicklung seit zwei Jahren messen. Gegenüber 2008 hat sich die Zahl der neuen Funktionen verdoppelt, die seine Abteilung im Jahr entwickelt und umsetzt.

Changed Kilolines of Code sagen nichts aus

Nachdem der 45-jährige Zeiler 2007 erst als Entwicklungsleiter zu Immobilien Scout 24 nach Berlin kam und 2008 CTO wurde, maß er die Produktivität der Entwicklung zunächst in Changed Kilolines of Code (cKLO), also rein nach der Menge der geänderten oder neu programmierten Zeilen. "Daraus war aber im Umfeld der Portalentwicklung nichts Vernünftiges abzulesen", sagt er. cKLO ist eine bloße Mengenangabe ohne Gewichtung. Zudem packt mancher Programmierer in eine Zeile, wofür ein anderer fünf benötigt.

Deshalb lässt Zeiler seit 2009 den Output pro Release mit der Methode Function Point Analysis messen. Sie zielt darauf, direkt den Anwendernutzen zu erheben. Function Points drücken die Zahl der Funktionen einer Software aus, die für den Nutzer relevant sind. Nach Art und Komplexität erhält jede Funktion einen Zahlenwert aus einem standardisierten Katalog. Grundlage ist die Norm ISO/IEC 20926:2003. "Das Schönste daran finde ich, dass jetzt wirklich die kundengefühlte Funktionalität gemessen wird", sagt Oliver Zeiler.

Zurzeit stellt seine IT-Mannschaft aus 135 zu Immobilien Scout 24 gehörenden Entwicklern und fünf externen Teams mit zusammen 30 Mitarbeitern jeden Monat um die 250 Function Points live. Vieles davon sind laut dem CTO kleine Veränderungen in Aufbau oder Bedienung des Portals, die Wohnungssuchenden nicht sofort auffallen.

Doppelt so viele Function Points umgesetzt wie 2008

Dass die Entwicklungsgeschwindigkeit steigt, hat ihm das Beratungsunternehmen Aestimat errechnet, zu dessen Schwerpunkten es gehört, die Leistung von IT-Abteilungen zu messen. Im Oktober 2010 feierte Zeiler mit seinen Entwicklern, dass sie seit Jahresbeginn bereits die Zahl an Function Points erreicht hatten, für die sie ein Jahr zuvor noch zwölf Monate gebraucht hatten. Und im Vergleich zu 2008 schafften die Entwickler 2010 mit rund 5000 Function Points fast doppelt so viel. Weil die neue Messmethode 2008 noch nicht angewandt wurde, wurde die Zahl der Function Points für das Jahr hochgerechnet.

Oliver Zeiler will die Releasezyklen weiter verkürzen. Von vier Wochen vor drei Jahren ist ihre Dauer schon auf zwei bis in Einzelfällen eine Woche gesunken. Ziel des CTO ist das "Continuous Live Deployment", bei dem jede Änderung möglichst schnell in den Betrieb übernommen wird.

Scrum 2.0 - von Anfang an zusammen arbeiten

Schaffen will Zeiler das unter anderem durch einen Ansatz, den er "Scrum 2.0" nennt. "Die Discovery-Phase soll enger mit der Entwicklung verzahnt werden", sagt er. Heißt: Produktmanager denken sich nicht mehr über längere Zeit Neuerungen aus und übergeben sie dann den Entwicklern zur Umsetzung, sondern beide Seiten arbeiten von Anfang an zusammen.

Erproben lässt Zeiler das seit Jahresbeginn. In den Büros an der Berliner Andreasstraße hat er drei Entwicklungsteams mit Produktmanagern, User Interface Designern und Mitarbeitern aus der Qualitätssicherung zusammengesetzt. Jeden Monat sollen sie mindestens ein Feature entwickeln, das die Suchfunktion deutlich verbessert. Ende Juni wird Zeiler überprüfen, ob sich durch diese Arbeitsweise die Zahl der umgesetzten Function Points verdoppelt hat. "Wenn es klappt, dehnen wir das Konzept aus", sagt Zeiler.

Die Umstellung auf Scrum hat bei Immobilien Scout 24 neben mehr Effizienz in der Softwareentwicklung auch eine neue Haltung unter den IT-Mitarbeitern etabliert, wie Zeiler berichtet. Es habe sich fast eine Art Basisdemokratie entwickelt, sagt er. "Jetzt muss ich die Teams fragen, wie sie etwas lösen wollen, das ist oft anstrengend", meint der CTO. Dem stehe allerdings gegenüber, dass die Entwickler sich jetzt viel stärker für ihr Tun verantwortlich fühlten und sich mehr mit ihrer Arbeit identifizierten.

IT-Chef muss Kurs zum Certified Scrum Master belegen

Die Einführung der agilen Methode sei fast völlig ohne Probleme verlaufen, sagt Zeiler, der vorher bereits als Manager bei BenQ Scrum-Erfahrung gesammelt hatte. Mit zwei Ausnahmen hätten sich keine Mitarbeiter gegen die neue Transparenz gewehrt, die Scrum mit sich bringe. Zeiler schickte zunächst zwei Produktmanager und zwei seiner Teamleiter auf Schulungen und ließ dann sein erfahrenstes Team - er spricht von den "Bienchen" - nach der Methode arbeiten. "Da haben alle anderen gesehen, dass Scrum Spaß macht und sexy ist", sagt Zeiler.

Anderen IT-Verantwortlichen, die auf agile Entwicklung umsteigen möchten, rät Oliver Zeiler, sich auf jeden Fall auch selbst zum Certified Scrum Master schulen zu lassen. Er selbst besuchte auch einen Kurs. "Sie müssen ja wissen, wovon Sie reden", sagt er.

Abraten würde er von der Scrum-Einführung zu einem Zeitpunkt, wenn Projekte in Schieflage geraten sind. "Denn Scrum löst ihnen keine Probleme, es macht sie nur schneller transparent."

Übrigens: Wissenswertes über Scrum finden Sie auf dieser Seite.