Als Musiker kam Matthias Moritz schon vor fünf Jahren nicht mehr an den sozialen Netzwerken vorbei. "Auch dank MySpace waren unsere Konzerte immer gut besucht", sagt der Bassist und Produzent der Rockgruppe "Elena Ley". Ohne Freunde und Follower habe man damals schon keine Chancen mehr gehabt.
Als Fußball-Fan freut sich Moritz, dass sein Klub die Zeichen der Zeit früher erkannte als die Konkurrenz. Der FC St. Pauli veranstaltet bereits seit Jahren jede Menge Wirbel im Netz und baute zum Beispiel vor dem echten Umbau am Millerntor ein virtuelles Stadion. Auch deshalb rangiert der kleine Aufsteiger aus Hamburg beim Marketing auf einem soliden Mittelfeldplatz der Bundesliga.
Und auch als CIO von Bayer Healthcare ist Moritz schon seit Längerem von Social Media überzeugt. "Auf Dauer werden Unternehmen daran nicht vorbeikommen", sagt der 50 Jahre alte gelernte Physiker. Auf den Hamburger IT-Strategietagen am 10. und 11. Februar 2011 wird Moritz andere IT-Chefs vom Nutzen einer Social-Media-Strategie zu überzeugen versuchen - ohne die Gefahren auszusparen. Denn: "Augenmaß ist dabei immer gefragt", sagt Moritz.
Gerade als Manager in einem forschenden Pharma-Unternehmen sind Moritz die Risiken und Nebenwirkungen der sozialen Netzwerke bewusst. "Vor einigen Monaten haben wir ihre Nutzung für die Mitarbeiter stark liberalisiert", berichtet der CIO. Zuvor hatten Bayer und auch Bayer Healthcare Facebook, Youtube und Co. am Arbeitsplatz konsequent untersagt, während Xing und LinkedIn bereits erlaubt waren. Bis man im Unternehmen erkannte, dass diese rigide Linie nicht mehr zeitgemäß ist. Seither schwappt eine Welle an Schulungen durch die Unternehmensflure - immer mit dem Ziel der Sensibilisierung.
Schnell könne es ansonsten vorkommen, dass sich ein Mitarbeiter in einem Internet-Forum positiv über ein Medikament aus seinem Haus äußert, erklärt Moritz. In anderen Firmen würden die Chefs das vielleicht bejubeln. Handelt es sich beim Produkt aber um ein rezeptpflichtiges Präparat, dann gilt das Lob des Mitarbeiters als unerlaubte Werbung und somit als Compliance-Verstoß.
Moritz vergleicht die Probleme des internationalen Arzneimittelrechts mit denen einer deutschen Boulevardzeitung. In den USA erregte deren iPhone-App Anstoß, weil das Blatt gerne barbusige Frauen präsentiert. Andere Länder, andere Sitten.
Monitoring für Blogs
Bayer Healthcare wolle das Gespür für eine klare Trennung zwischen privater und beruflicher Nutzung sowie zwischen der Äußerung von Fakten und Meinungen schärfen, so Moritz. Das Training soll außerdem jedem einschärfen, Verhaltensregeln und ethische Grundsätze zu beachten und zu melden, wenn falsche Aussagen von Relevanz für das Unternehmen durchs Netz wabern.
Durch das Monitoring von Blogs und Communities verspricht sich Bayer Healthcare einen besonderen Nutzen. Die Bedeutung von Social Media für die Lebenswirklichkeit der Konsumenten steht für Moritz außer Frage. Selbst, wie unlängst ein Autohersteller, fingierte User-Beiträge zu lancieren, um den Verkauf eines neuen Modells anzukurbeln, ist für Bayer Healthcare selbstverständlich tabu. Aber das Web nach Erfahrungsberichten von Patienten zu durchforsten ist für den Pharmahersteller ein höchst aufschlussreiches Unterfangen. Die systematische Beobachtung von Blogs und Foren habe man mittlerweile an einen spezialisierten Dienstleister delegiert, berichtet Moritz.
Die Öffnung der Social-Media-Welt für Mitarbeiter ist auch strategisch. Sie zielt auf die Rekrutierung von Fachkräften, für die das Netzwerken im Internet längst selbstverständlich ist – vor allem also junge High Potentials. Moritz relativiert allerdings: "Die Nutzung von Social Media ist weniger eine Altersfrage. Untersuchungen haben gezeigt, dass zum Beispiel Frauen zwischen 55 und 65 Jahren auf Facebook sehr aktiv sind." Ziel seines Unternehmens sei es, die Belegschaft insgesamt in Sachen Tools auf dem neuesten Stand zu halten.
So lange Moritz als Musiker, Sportfreund und auch als Mitglied im Kontaktnetzwerk Xing selbst schon in sozialen Netzwerken unterwegs ist, so spät bekam er beruflich mit Social Media zu tun. Das erste Mal habe er sich im Frühjahr 2009 im Vorfeld einer Präsentation damit befasst. "Jetzt gibt es bei uns eine Task Force, die sich mit dem Thema auseinandersetzt", berichtet Moritz, der seit Ende seines Studiums 1987 zur Bayer-Familie gehört. Verschiedene Abteilungen wie IT, Marketing, Vertrieb, Kommunikation und Recht arbeiten gemeinsam an einer tragfähigen Social-Media-Strategie und sollen bis Herbst 2010 Ergebnisse liefern
Das Tempo der Veränderungen in der Social-Media-Welt findet Moritz beeindruckend. Er wisse deshalb noch nicht, wie sich die Lage bis zu seinem Vortrag in Hamburg entwickeln werde, sagt er. Fest steht bis jetzt nur, dass der CIO von Bayer Healthcare von Beginn bis Ende der Strategietage im Hotel Grand Elysee in Hamburg verweilen will - zwecks Networking mit anderen CIOs.