"Die Systeme geben es nicht her"

01.10.2007
Björn Bergh kennt die Grenzen der Technik. Die IT-Abteilungen würden gerne mehr bieten, weil sie wissen, was nötig ist. Dann bleibt dem IT-Chef der Heidelberger Uniklinik nur der Ausweg Eigenentwicklung.
Björn Bergh, Dirketor für Informations- und Medzintechnik, Heidelberger Universitätsklinik: "Mein Weg ist nicht, Standards zu verordnen. Das funktioniert nicht so gut."

Herr Bergh, Sie haben sich als erster IT-Chef einer Uniklinik für die Verschmelzung der Medizintechnik und der IT stark gemacht. Hat sich Ihr Engagement gelohnt?

Ja, unter anderem weil damit plötzlich neue Lösungen möglich geworden sind. Es bricht etwas auf zwischen diesen Bereichen, die immer Respekt voreinander hatten. Auf der einen Seite gab es die IT, die sich nicht an das MPG, das Medizinproduktegesetz, herangewagt hat. Auf der anderen Seite traute sich die Medizintechnik nicht an die komplexe, prozessorientierte IT heran. Heute arbeiten beide Bereiche Hand in Hand.

Können Sie ein paar Lösungen nennen, die Sie gemeinsam entwickelt haben?

Beispielsweise die Nutzung von Standardnetzwerken auch für das Patienten-Monitoring oder die Integration der sogenannten „Point of Care“-Labordiagnostik. Das sind Geräte außerhalb des Zentrallabors, etwa auf den Stationen, zur Bestimmung von Blutzucker oder Elektrolyten und Blutgasen. Früher waren die nicht angeschlossen und die Werte nur auf Papier verfügbar. Wir haben zunächst alle Geräte vereinheitlicht und dann über eine herstellerneutrale Software-Lösung mit dem Labor- und Krankenhausinformationssystem verbunden. Damit waren alle Ergebnisse Bestandteil der elektronischen Akte und überall verfügbar. Gerade läuft die Digitalisierung des EKG-Managements. Die Ableitungen der Herzströme sollen auch direkt ohne Umweg über das Papier in die elektronische Akte rein. Das ist mit einer Standardisierung der Geräte einfacher und wiederum mit einer Kostenreduktion verbunden ist. So gewinnen IT und Medizintechnik zusammen.

Auch bei Ihnen geht der Weg also unaufhaltsam in Richtung Standardisierung. Gibt es Widerstände?

Mein Weg ist nicht unbedingt, Standards zu verordnen. Das funktioniert nicht gut. Ich versuche, gute Lösungen zu schaffen die es für die ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter leichter machen. Gelingt dies, akzeptieren sie auch eine Standardisierung. Gelingt es nicht, sollte man die Lösung verwerfen - wobei es natürlich Ausnahmen gibt, wenn es rein um Kostensenkung geht. Da muss man da dann durch.

Sie setzen auf das Produkt i.s.h med als Krankenhausinformationssystem (KIS). Sind sie damit zufrieden?

Einen 100-prozentigen Volltreffer landet man mit keinem KIS, wobei es speziell für Unikliniken mit ihrer hohen Differenzierung problematisch ist. Erstaunlich finde ich aber die Priorisierung der KIS-Hersteller. Einerseits gibt es immer noch Defizite bei den Basisfunktionen die wirklich jeder braucht und mit denen die meisten Häuser auch noch kämpfen wie etwa Arztbriefschreibung, OP und Terminverwaltung. Andererseits werden Spezialfunktionen angeboten, die letztlich nur wenige pilotieren und kaum einer in der Fläche einsetzt.

Erklären Sie das mal den Ärzten in den Kliniken …

Das ist richtig: Hier sind die IT-Abteilungen in einer unglücklichen Position. Sie wissen in der Regel was nötig ist und würden es gerne bieten. Das geht aber nicht, weil die Systeme es nicht hergeben und man andauernd an die Grenzen der Technik stößt. Manche Probleme können durch enge Kooperationen mit den Herstellern gelöst werden. Sonst bleibt nur die Eigenentwicklung, die die meisten eigentlich auch nicht wollen oder sich begnügen. Man kann nur versuchen den Ärzten dieses Dilemma so gut wie möglich zu vermitteln und auf Verständnis hoffen.

Derzeit forcieren einige private Klinikketten und auch Unikliniken zusammen mit Fraunhofer die elektronische Fallakte. Sie gehen einen anderen Weg. Warum?

Die Prämissen sind andere. Meine Prämissen lagen auf drei Aspekten: Erstens steht der Patient im Mittelpunkt, zweitens setzen wir auf internationale Standards, drittens sollte die Lösung ohne Verzug unmittelbar umsetzbar sein. Zum ersten Punkt: Einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakten sollten letztlich mit der persönlichen Gesundheitsakte des Patienten integriert werden, welche auch seine eigenen Einträge sowie Daten aus Home Care Systemen enthält. Ich bin davon überzeugt, dass dies passieren wird. Alles zusammen muss dann zwingend aus ethischen und datenschutzrechtlichen Gründen Eigentum der Patienten sein. Deshalb haben wir über Konzepte nachgedacht und Lösungen gesucht, die sich unmittelbar und mit den heute verfügbaren Standards und technischen Möglichkeiten der Systeme umsetzen lassen. Damit bleiben wir gleichzeitig kompatibel zu dem internationalen Umfeld und entsprechenden Standards wie etwa IHE-XDS (* Anm. der Red.; Integration the Health Enterprise: Initiative, die Bild- und Datenverarbeitung zu integrieren) und setzen nicht auf rein nationale oder gruppen-orientierte Bemühungen. Damit kommen wir gemeinsam mit den Häusern des Gesundheitsnetzes Rhein-Neckar schon sehr weit und sammeln wichtige Erfahrungen.

Wo sehen Sie den Haken bei der elektronischen Fallakte?

Mein Eindruck bei der elektronischen Fallakte war, dass dem Patienten kein großes Gewicht beigemessen wird, die primäre Interessenlage ist ja auch eine andere. Gleichzeitig hätten wir nichts tun und nur warten können, wenn wir uns für die elektronische Fallakte entschieden hätten. Die dort vorgesehenen Schnittstellen hätten für unsere KIS erst gebaut werden müssen. Dabei war nicht absehbar ob alle KIS-Hersteller die Konzepte überhaupt umsetzen und schon gar nicht bis wann. Letztendlich bin ich auch unsicher, ob das Fallakten-Konzept in der angedachten Form im Klinikalltag überhaupt funktionieren kann.

Das heißt, Sie setzen die Priorität auf den Patienten.

Absolut! Dies gebietet sich aus ethischen Gründen und gleichzeitig gibt es auch kein sinnvolles, technisch machbares Berechtigungskonzept welches es erlaubt alle Wünsche der Ärzte, der Patienten und des Datenschutzes gleichzeitig zu erfüllen. Also muss irgendwo eine Priorität gesetzt werden und das kann nur beim Patienten sein.