Er isst gerne Pizza, ärgert sich über seinen Chef und hat wegen zu schnellen Fahrens den Lappen verloren. Darius Kopp, Informatiker, Mitte 40, lebt ein normales und zufriedenes Leben. Bis er innerhalb einer Woche seinen Job und seine Ehefrau Flora verliert – und in eine existenzielle Krise stürzt. Die Schriftstellerin Terézia Mora hat mit Darius Kopp einen Durchschnittsmenschen zu ihrem literarischen Helden gemacht. Im ersten Roman ist Kopp als Sales and Regional Sales Manager D/A/CH and Eastern Europe für die US-amerikanische Firma Fidelis Wireless „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, im zweiten kämpft er gegen „Das Ungeheuer“. Ein dritter Band ist im Entstehen. Mit cio.de sprach Terézia Mora über Informatiker, die heutige Arbeitswelt und darüber, warum manchen Menschen das Überleben nicht gelingt.
Frau Mora, warum ist Darius Kopp Informatiker, warum nicht Arzt oder Physiker?
Terézia Mora: Das wären tatsächlich Optionen gewesen. Ich gehe beim Schreiben davon aus, was ich in meinem Umfeld sehe. Ich habe einige theoretische Physiker in meinem Bekanntenkreis, aber ehrlich gesagt habe ich nie genau verstanden, was sie eigentlich tun. Einige Ärzte und "Banker" kenne ich auch, aber die einen finde ich zu wenig inspirierend, bei den anderen komme ich an zu wenig relevante Infomrationen ran. Mein Mann ist Informatiker, viele seiner Freunde auch. Daher kann ich seit rund 20 Jahren beobachten, wie sie leben und wie sie sich entwickeln. Ich musste nicht so intensiv recherchieren.
Und wie haben sie sich innerhalb dieser 20 Jahre entwickelt?
Terézia Mora: In den 1990er Jahren waren die alle optimistisch. Unverwundbar. Dann ist 2001 die Internet-Blase geplatzt. Alle haben ihre Jobs verloren, auch mein Mann. Trotzdem wurde keiner ängstlich oder nervös, es hat auch keiner die Sinnkrise gekriegt. Schließlich haben sich alle wieder in anderen Firmen einsortiert, alle sind wieder integriert. Deswegen habe ich die Figur Darius Kopp anders geschrieben, als ich sie ursprünglich entworfen hatte.
Inwiefern?
Terézia Mora: Darius Kopp entstand schon, als ich an „Alle Tage“ schrieb. Ich habe ihn mir als von der German Angst getriebenen, hageren Mann mit Neigung zum Alkohol vorgestellt...
...aber Kopp ist ja ein propperes Sonnenscheinchen…
Terézia Mora: (lacht) So sind die.
Kopp arbeitet in „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ ziemlich wenig. Er fährt morgens seinen Laptop hoch, checkt seine Mails und überlegt ab 10 Uhr vormittags, mit welchen Freunden er sich wo zum Mittagessen trifft.
Terézia Mora: Ich habe mich auch gefragt, was mein Mann und seine Freunde tun. Womit sie so viel Geld verdienen. Ich habe gefragt: Was stellt ihr her? Welche Werte schafft ihr? Meistens haben sie sich zu Meetings an schönen Orten in der Welt getroffen. Ich glaube, deswegen haben sie sich als Sieger gefühlt: keiner findet heraus, dass das, was du tust, eigentlich keinen Wert hat. Bis es 2001 passiert ist: man hat festgestellt, dass es die ganzen virtuellen Dollars gar nicht gibt.
Was ist die Intention Ihrer Bücher?
Terézia Mora: Unter anderem, zu zeigen, wie wir heute arbeiten. Immer im Hamsterrad, ständige Unterbrechungen. Die Arbeit ist insgesamt weniger geworden, aber dann werden Positionen geschaffen, das sind potemkinsche Dörfer…
…Projektleiter, Consultants, Technology-Evangelists…
Terézia Mora: Ja, sehen Sie! Auch der Staat schafft Stellen, für die es eigentlich keine Arbeit gibt. Aber sie sind wichtig für den sozialen Frieden.
In „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ ist Kopp überrascht, dass einige seiner Kunden nicht zahlen. Er bekommt zwar die Reportings, dachte aber, sie seien bloß „FYI“ und hat sie gar nicht angeguckt.
Terézia Mora: Das ist typisch für einen Sales-Manager – er holt den Auftrag. Wenn die Kunden dann nicht zahlen, interessiert ihn das nicht. Wobei ich mich wirklich frage, welchen Sinn es macht, von den Leuten jeden Monat einen Forecast zu verlangen. Beziehungsweise, ich weiß, warum es gemacht wird: aus keinem anderen Grund als dem, den Leuten Druck zu machen.
Welche Rolle spielt Ihr Mann bei der Entstehung Ihrer Bücher?
Terézia Mora: Er ist mein Korrekturleser. Stimmt das, was ich über technische Funktionen und Details geschrieben habe? Wobei immer noch Fehler drin sind, Gigahertz statt Megahertz und so etwas. Bei einer weiblichen Autorin ohne technische Ausbildung gucken die Leute ganz genau hin.
Wie reagieren Ihr Mann und seine Freunde auf Ihre Bücher? Fühlen sie sich ertappt?
Terézia Mora: Nein. Ich habe einigen Freunden meine Bücher gegeben, aber überhaupt kein Feedback bekommen. Ich glaube, sie lesen nicht. Ein schönes Erlebnis hatte ich bei einer Lesung in Hannover. Da saßen etwa 30 junge Männer von Siemens im Publikum, das war ein Betriebsausflug. Die haben sich scheckig gelacht. Wenn sie sich ertappt gefühlt haben, dann hat sie das eher amüsiert, als nachdenklich gemacht.
Welche Funktion hat Flora in den Büchern?
Terézia Mora: Der Selbstmord von Flora ist natürlich eine Zuspitzung. Ich wollte zeigen, was passiert, wenn man nicht abstumpft. Wir fragen uns oft: was ist der Worst Case? Flora bringt sich um. Das ist der Worst Case. Es gibt keinen Platz für sie. Wenn sie in guten Strukturen arbeiten würde, könnte sie ihre Frau stehen. Aber es rettet Dich nicht, wenn Du schlechte und schlechtbezahlte Jobs hast.
Ich habe im Internet nachgelesen, wie Ihre Bücher interpretiert werden. Viele Leserinnen und Leser gehen davon aus, dass Darius als Informatiker der Logiker sei, dem die chaotische und gefühlsbetonte Flora gegenübersteht…
Terézia Mora: Eher umgekehrt. Sie sorgt für das Praktische, sie organisiert den Alltag. Er sieht ja fast eine Mutter in ihr. Sie ist extrem solidarisch mit ihm, mehr als seine eigene Mutter und wesentlich mehr als seine Freunde – wenn sie weg ist, hat er tatsächlich niemanden mehr.
Dabei ist Kopp ja Spezialist für Netzwerke, von der Technik-Seite her. Sein privates Männernetzwerk mit seinen Freunden scheint ihm wenig zu helfen, die reden ja meist ziemlich oberflächliches Zeug…
Terézia Mora: Das ist meine Erfahrung. Da wird über Kino geredet, aber nichts Persönliches.
Aber Flora kann doch mit Menschen kommunizieren und über das, was sie bewegt, sprechen. Ich habe nicht verstanden, warum sie sich umbringt.
Terézia Mora: Deswegen hört ihr Tagebuch ja auch sechs Monate vor ihrem Selbstmord auf. Wir wissen nicht, was auf diesem Hof, auf den sie sich zurückgezogen hat, passiert ist. Ein Selbstmord ist immer schockierend, selbst wenn es tausend gut sichtbare Gründe für ihn gibt, im Kern verstehen wir ihn nicht.
Unabhängig von Ihren Büchern: Wie hat die Informationstechnologie die Kommunikation verändert?
Terézia Mora: Oh mein Gott, sie hat unser Leben total verändert. Wir haben das Bedürfnis nach Vernetztheit und Kommunikation, denn der Mensch braucht die Rückmeldung der anderen. Wir wollen ständig Zugriff auf irgendeinen Bildschirm. Natürlich ohne, dass jemand Zugriff auf uns hat. Gleichzeitig habe ich die Erfahrung gemacht: Wenn Du jemanden wirklich erreichen willst, funktioniert das oft nicht.
Glauben Sie nicht, dass kommende Generationen da gar nicht mehr so einen Hype drum machen werden? Die wachsen ja schon mit IT auf, für die ist das gar nichts besonderes mehr.
Terézia Mora: Ich weiß nicht. Wenn ich diese Teenager sehe – ständig über Twitter mit ihren Freunden verbunden. Andererseits – wir haben uns einen Walkman aufgesetzt, um die Erwachsenen ertragen zu können (lacht).
Können Sie schon sagen, wann der dritte Band über Darius Kopp erscheint?
Terézia Mora: Im Moment weiß ich das noch nicht. Ich bin erschöpft von der Arbeit an den ersten beiden Büchern. Ich schreibe jetzt erst einmal einen Erzählband, auch, um mich etwas neu zu orientieren, und danach dann.
Die 43-jährige Schriftstellerin Terézia Mora ist gebürtige Ungarin und wuchs zweisprachig auf. Nach der politischen Wende zog sie 1990 nach Berlin, wo sie seitdem lebt. Sie hat zwischen 1999 und 2013 vier Romane herausgebracht: „Seltsame Materie“ und „Alle Tage“ sowie „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ und „Das Ungeheuer“. Hauptfigur der beiden letztgenannten Bücher ist der IT-Spezialist Darius Kopp, einen weiteren Roman über ihn bereitet die Schriftstellerin vor. Mora erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Deutschen Buchpreis für „Das Ungeheuer“. Sie hält außerdem Vorlesungen über Poetik, schreibt Drehbücher sowie Theaterstücke und übersetzt aus dem Ungarischen.