E-COMMERCE-OPTIMIERUNG

Die Web-Shrinks

05.11.2001
IT-Experten denken logisch, Nutzer dagegen assoziativ. Die Internet-Auftritte vieler Unternehmen verfehlen deshalb ihre Zielgruppen. Psycho-Consultants versprechen mehr Online-Erfolg durch nutzernahe Web-Gestaltung.

MIT WOLFGANG ZIEROLD geht niemand gern zum Essen. Denn bei Pasta Pomodoro referiert der Techniker regelmäßig über seine bahnbrechende Erfindung: ein Ultraschall-Reinigungsgerät für Flugzeugtoiletten. „Die Reinigung des etwa sechzig Meter langen Rohrsystems ist die wohl ekeligste Tätigkeit auf der Welt“, sagt Zierold. Bei den großen Luftfahrtgesellschaften hätte er auf offene Ohren treffen müssen, weil verstopfungsbedingte Flugverspätungen sehr teuer werden können. Doch das Geschäft kam nicht recht in Gang, weshalb Zierold die Website seiner Firma Xitex Reinigungssysteme einer Art umgekehrtem Psychotest durch eine Hamburger Spezialagentur unterzog.

Die auf IT-Firmen spezialisierte Knowledge Base Curth + Roth ( www.curth-roth.de ) beschäftigt in erster Linie Psychologen. Diese überprüfen seit zwei Jahren mit zum Teil sehr ungewöhnlichen Methoden Vermarktungsstrategien und Web-Auftritte ihrer Kunden. Mit unbequemen Fragen machen sie sich so unbeliebt wie möglich. „Wir sind der Advocatus Diaboli, uns kann keiner ausstehen“, weiß Johannes Roth. Er versteht sich als Vertreter der Märkte, der Kunden und Verbraucher, denn zahlreiche Produkte und Websites seien an der jeweiligen Zielgruppe vorbeikonzipiert. „Viele sind so verliebt in ihr eigenes Produkt, dass kritische Stimmen einfach überhört werden.“ Das gelte nicht nur für kleine Firmen, sondern auch für Konzerne. „Wir prüfen vor allem die Zielgruppen-Konformität“, sagt Jochen Curth. Auch den technikorientierten Zierold brachten die Web-Shrinks auf den richtigen Weg, indem sie ihn mit der Kritik potenzieller Kunden konfrontierten. Zierold: „Vorher habe ich eine andere Sprache gesprochen.“

Psychotest nach sechs Kriterien

Wichtigstes Instrument der Hamburger Berater ist der so genannte Usability-Test. Dabei werden in zum Teil tiefenpsychologischen Interviews sechs Kriterien geprüft: Ease of use, das heißt, ist die Site einfach zu nutzen, Navigation, findet sich der User schnell zurecht, Likeability, also die Attraktivität des Angebots, Interactivity, wird der User aktiv einbezogen, Concept oder auch Nutzen der Site und Content, will meinen, sind die Informationen relevant und verständlich. Die Kunden können die Probanden bei den Tests durch einen Einwegspiegel beobachten. Roth: „Mancher hätte sich am liebsten weggeklickt, weil er die Antworten nicht wahrhaben wollte.“

Auch andere Agenturen wie Pixelpark oder I-D Media bieten derartige Untersuchungen an. Sie sind inzwischen ein fast unverzichtbares Instrument bei der Analyse von Web-Angeboten – obwohl die Dienstleistung ähnlich unangenehm werden kann wie ein Zahnarztbesuch. „Die schrecken nicht davor zurück, die Kunden wieder und wieder zu fragen, was denn an dem Angebot noch nicht optimal sei. Eine derartige Hartnäckigkeit hatte ich noch nicht erlebt“, erinnert sich Zierold an seine Sitzungen bei Curth + Roth. Durch assoziative Fragen wird selbst das Unterbewusstsein in die Überlegungen einbezogen: „Stellen Sie sich vor, Compaq, IBM und Apple sind auf einer Party. Wie würden sie sich verhalten, was würden sie anhaben, und wer könnte der Gastgeber sein?“ Zu dem zwischen 20000 bis 60000 Mark teuren Test gehören außerdem Analysen des Blickverlaufs und die Befragung von Test-Usern.

Weg mit störenden Spielereien

Auch Marc Peters, Geschäftsführer des Online-Lotto-Shops Tipp 24 mit Sitz in Hamburg, musste sich unangenehme Wahrheiten anhören. Aggressives Rot sprang dem User schmerzhaft ins Auge, verwirrende Features schreckten die Spieler ab. „Mehr als sieben Objekte kann der ungeübte User nicht wahrnehmen, mehr als drei Werbebanner sind nicht ratsam“, sagt Psychologe Roth. Im Zweifel sind zwei größere Banner besser als drei kleinere. Alles Weitere werde als zu unruhig und störend empfunden. Lost in Hyperspace: Unübersichtliche Texte, eine Fülle von Links und Navigationsmöglichkeiten irritieren den User mehr, als dass sie nützen. Auch Pop-up-Fenster, hinter unverständlichen Symbolen versteckte Buttons oder unnötige Flash-Spielereien verleiten häufig zum Wegklicken. Die Folge für den E-Commerce: Schätzungsweise siebzig bis achtzig Prozent aller Bestellvorgänge werden vorzeitig abgebrochen.

Um künftig mehr Besucher bei Tipp 24 zu halten, wurde die Site überarbeitet. Das Rot ist jetzt gedämpfter, die Orientierungs- und Navigationselemente sind den Bedürfnissen der Zielgruppe angepasst. Eckige Formen sollen Seriosität vermitteln, „weil offenbar viele befürchteten, sie könnten sich online zu Tode zocken“. Eine Teaser-Optik schafft Anreize zum Weiterklicken. „Wir haben da eine Menge Bugs eliminiert“, sagt Peters.

Designer contra User

Probleme bereiteten oft die Web-Designer. Peters: „Viele sehen sich als Künstler. Vorgaben scheinen für sie eine Beleidigung zu sein.“ Nach Angaben von Roth ist der Erfolg der veränderten Lotto-Site an der größeren Konversionsrate, der Zahl der Transaktionen, ablesbar. So weit will Peters nicht gehen: „Der Wochenumsatz hat sich im ersten Quartal 2001 im Vergleich zum vorhergehenden zwar um sechzig Prozent erhöht, das ist aber sicher nicht monokausal zu begründen“, sagt er. Selbst aufwendig gestaltete Sites namhafter Unternehmen finden oft keine Gnade vor den Augen der Web-Experten (siehe auch Tabelle „Beispieltest: Luxushotels im Netz“) Roth: „Nur IT-Experten denken in Baumstrukturen, die meisten Kunden aber denken anders – linear, assoziativ oder neuronal (spontane Synapsenverknüpfung zu neuen sinnvollen Einheiten, Anmerkung der Redaktion).“ Die Psychologen haben gut reden: Sie kritisieren und zeigen Handlungsalternativen auf, Sites gestalten sie selbst nicht. „Dann wären wir vielleicht auch zu verliebt in unsere eigenen Sachen und hätten keine Distanz mehr“, fürchtet Roth.

Für Zierold kam die Hilfe der Psychologen allerdings zu spät. Gerade als die ersten Luftfahrtgesellschaften Interesse an seinem Reinigungssystem zeigten, drehte sein Investor den Geldhahn zu. Doch der Erfinder hat noch einen Trumpf im Ärmel: das Patent auf seine Maschine.

Der Usability-Test

So arbeiten die Web-Shrinks

Für CIO hat Curth + Roth beispielhaft Hotel-Sites unter die Psycholupe genommen. Fazit:

Beispieltest: Luxushotels im Netz