Führungskräfte-Mangel

Die Zukunft des IT-Arbeitsmarktes

25.01.2011 von Stephanie Overby und Tanja Wolff
Weil sie IT in Billiglohnländer auslagern, können Firmen nur noch schwer Personal für die IT-Führung aufbauen. Eine Lösung: Sie rekrutieren Berater. Die Hackett Group prognostiziert weitere Folgen von Offshoring.

Einer aktuellen Untersuchung des Beratungsunternehmens The Hackett Group zufolge sind in den vergangenen zehn Jahren 1,5 Millionen IT-Arbeitsplätze verloren gegangen. Die Gründe dafür liegen in der stärkeren Automatisierung gepaart mit mehr Offshoring und einer besseren globalen IT-Infrastruktur.

Die gute Nachricht ist, dass die Zahl der jährlichen Stellenstreichungen in Amerika in den kommenden Jahren leicht abnehmen wird. Laut der Untersuchung waren es im vergangenen Jahr 311.000 Arbeitsplätze, die abgeschafft wurden. Bis 2014 sollen es nur noch 115.000 pro Jahr sein. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass wahrscheinlich keine neuen Jobs mehr dazukommen.

Unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com sprach mit Michael Janssen und Honorio Padron von The Hackett Group über die Zukunft des IT-Arbeitsmarktes.

Ihre Studie befasst sich mit dem Rückgang von IT-Jobs. Die Daten basieren auf privaten und öffentlichen Daten von IT-Abteilungen aus Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Dollar Jahresumsatz. Nicht abgefragt wurden IT-Stellen von Service-Anbietern. Wie würde das Ergebnis ausfallen, wenn beispielsweise Unternehmen wie IBM oder HP an der Studie teilgenommen hätten?

Michael Janssen: Es wäre ein großer Unterschied gewesen. Hier sind noch viel mehr Stellen weggefallen. Betrachten Sie IBM oder HP. Indien ist ihr zweit- oder drittgrößter Standort in Bezug auf Einstellungen von Mitarbeitern. Die Unternehmen haben Mammut-Offshore-Organisationen.

Helpdesk-Mitarbeiter nur noch an Billig-Standorten

Wenn es unwahrscheinlich ist, dass die IT in der Zukunft neue Arbeitsplätze in Amerika schafft, was bedeutet das für das Ansehen von amerikanischen Unternehmen in der IT-Branche?

Honorio Padron: Jeder wünscht sich zurzeit eine Strategie wie IBM. Das Unternehmen hat die richtigen Ressourcen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Betriebe werden sehr global. Gleichzeitig wird die IT immer utilitaristischer und standardisierter. Erleichtert wird diese Entwicklung dank Breitband. Betrachtet man all diese Aspekte, dann wird einem klar, dass in Amerika nicht mehr viele IT-Arbeitsplätze geschaffen werden. Mitarbeiter für Helpdesk, Netzwerk-Management, Programmierung sowie für Rechenzentrum und Disaster Recovery werden alle migrieren oder sind schon an andere Orte migriert. Es gibt heutzutage keinen Grund mehr, lokal zu arbeiten.

Janssen: Die ganze Basisschicht der IT befindet sich größtenteils nicht mehr in Nordamerika und Europa, sondern in Indien und China.

Wie werden Unternehmen dann Personal für die mittlere und obere Führungsschicht der IT finden? Sie können ja keine Leute mehr von der Basis rekrutieren.

Janssen: Das ist und wird zu einem immer größeren Problem. Die Unternehmen müssen umdenken. Sie müssen sich überlegen, wie sie Talente aufbauen und wo sie die künftigen Leader finden. Einige Betriebe werden spezielle Schulungsprogramme für die Handvoll Leute, die sie brauchen, entwickeln. Andere werden den einfacheren Weg gehen und das entsprechende Führungspersonal von den großen Beratungsunternehmen rekrutieren.

In Amerika arbeiten immer noch zehntausende ITler

Sie gehen also davon aus, dass die großen IT-Service-Anbieter weiterhin entsprechendes Personal in Amerika bereitstellen werden.

Janssen: Als ich bei EDS gearbeitet habe, gab es dort Ausbildungseinrichtungen mit großen Wohnkomplexen. Nun stehen diese in Hyderabad oder Bangalore. Dennoch haben sie immer noch zehntausende Mitarbeiter in den Vereinigten Staaten.

Ihrer Prognose zufolge gehen bis 2014 jedes Jahr 115.000 IT-Arbeitsplätze verloren . Was passiert danach?

Janssen: Es könnte die nächsten zehn, 15 Jahre so weiter gehen.

Padron: Ich glaube, noch länger. Die Chinesen betreiben zurzeit Outsourcing nach Südafrika, weil es dort billiger ist. Die Entwicklung in Amerika könnte also noch 50 Jahre so weiter gehen.

Krieg um Talente

Janssen: Unternehmen müssen den globalen Markt verstehen. Wir haben einen asymmetrischen Krieg um Talente. In Asien oder Indien stellt sich die Frage, wie kann ich 500 Mitarbeiter einstellen. In den USA hingegen fragt man sich, wie kann ich fünf, zehn oder 50 Mitarbeiter anstellen. In Amerika werden Angestellte mit sehr speziellen Branchenkenntnissen gesucht. Sie müssen sich im globalen Kontext zurechtfinden und Erfahrungen in den neuen Technologien haben.

Was geschieht mit den Hunderttausenden von amerikanischen IT-Experten, die auf Rechenzentren oder Programmierung spezialisiert sind?

Padron: Auf einem Flug nach Miami traf ich einen 30-jährigen QA-Auditor, der gerade von Boise nach Shanghai gezogen war. Also ein Manager der mittleren Ebene. Hier zeigt sich der Krieg um die Talente.

In einem sogenannten positiven Szenario sagen sie, dass ein schwacher Dollar dazu beitragen könnte, dass Transformationsarbeiten onshore erledigt werden. Ist eine begrenzte Lohn-Arbitrage (das Ausnutzen von Preisunterschieden auf verschiedenen Märkten, Anm. d. Red.) wirklich der einzige Grund, aus dem Transformationsprojekte in ihrem Heimatland bleiben? Können Offshore-IT-Organisationen die Strategie großer Unternehmen ändern?

Janssen: Bei der Festlegung von Budgets spielt die Lohn-Arbitrage nicht wirklich eine tragende Rolle. Es ist wirklich ein großes Risiko, wenn Unternehmen jemanden zu einem Jahresgehalt von 75.000 Dollar einstellen, wenn sie auch jemanden für 25.000 Dollar haben könnten. Ein schwacher Dollar könnte die Ausweitung von Offshore verringern. Zurzeit stelle ich Mitarbeiter mit einem MBA für 5000 Dollar Jahresgehalt ein. Menschen mit einer Berufserfahrung von fünf oder zehn Jahren bekommen nicht das fünf- oder zehnfache Gehalt.

Probleme in Indien kommen aus Amerika

Aber was ist mit den Management-Kosten und den versteckten Kosten, die die Lohnersparnis untergraben?

Janssen: Basisgrundlagen sind prinzipiell leichter zu verwalten. Wir haben es mit Problemen auf zwei Seiten zu tun, zum einen mit denen auf der amerikanischen Seite (Offshore-Engagement), zum anderen mit denen von Indien. Sagt allerdings jemand, dass er Schwierigkeiten mit seinem Team in Indien hat, dann kommen diese meist aus Amerika. Der Grund: Die USA tut sich sehr schwer damit, auf einer globalen Basis zu arbeiten.

In ihrer Studie schreiben Sie, dass firmeneigene Offshore-IT-Zentren das wichtigste Modell für die Globalisierung von IT-Support sind. In den vergangenen Jahren haben allerdings mehrere große Unternehmen ihre Offshore-IT-Zentren verkauft. Lässt sich dieser Trend wieder rückgängig machen?

Janssen: Vor ein paar Jahren wollten einige Offshore-Player und inländische Dienstleister ihre globale Präsenz ausbauen. Dazu gehörte beispielsweise auch Proctor & Gamble. Der einfachste Weg, das zu erreichen, war, eigene Betriebe zu kaufen.

Padron: Global Shared Services Center haben die Entwicklung beschleunigt. Das trifft nicht nur auf die IT zu, sondern gilt auch für andere funktionale Bereiche. Unseren Recherchen zufolge nutzen 65 Prozent der Unternehmen das Proctor & Gamble-Modell. Sie stecken die Abteilungen IT, Finanzen, Personal und Beschaffung alle zusammen in ein Global Business Service Center. Unternehmen, die wissen, wie man ein Offshore-Geschäft betreibt, setzen auf diese Strategie, weil sie dadurch von den Lohn-Arbitragen profitieren.

Automatisierung führt zu weniger IT-Jobs

Wer überwacht diese globalen Service-Center? Der CIO?

Padron: Einige sind dem CFO unterstellt, weil die Finanzabteilung als erstes ausgelagert wurde. Doch das ist heute nicht mehr häufig der Fall. Manchmal liegt die Verantwortung beim CIO. Das ist dann der Fall, wenn der IT-Chef sehr geschäftsorientiert arbeitet wie bei Merck, P & G oder Dow.

Offshoring ist nicht der einzige Grund dafür, dass IT-Arbeitsplätze in Amerika verloren gegangen sind. Auch die Automatisierung spielte eine Rolle. Was hat heute den größeren Einfluss auf die Arbeitsperspektive der amerikanischen ITler?

Padron: Die Automatisierung gehört immer noch zur beliebtesten Methode, um Lohnkosten zu sparen. Viele Unternehmen haben große und neue Infrastrukturen implementiert. Sie fragen sich bereits, wie sie die nächste Stufe ihrer Arbeit automatisieren können.

Janssen: Die Automatisierung war der primäre Treiber für den Verlust der IT-Jobs. In der Zukunft wird allerdings das Offshoring den größten Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben.

Einige IT-Jobs bleiben in den USA

In welchem Stadium befindet sich die amerikanische Unternehmens-IT bei dem von ihnen angesprochenen globalen Krieg um Talente?

Padron: Das erste, das ausgelagert wurde, war der Helpdesk, gefolgt vom Rechenzentrum. Danach folgte die Programmierung. Von dieser ist noch etwas in den Unternehmen geblieben. Der Grund: Viele Firmen haben zahlreiche Legacy-Codes und andere nicht standardisierte Dinge, die einzigartig in dem Unternehmen sind. Es macht keinen Sinn, so etwas auszulagern. Wenn die nächste Welle der Standardisierung in den nächsten Jahren ankommt, werden allerdings auch diese unternehmensspeziellen Dinge outgesourct.

Janssen: Die unterschiedlichen Größenordnungen der Unternehmen muss man auf jeden Fall berücksichtigen. Betrachtet man beispielsweise eine mittelständische Firma im Mittleren Westen. Für diese ist es sehr schwierig im globalen Wettbewerb mitzuhalten. Die einfachste Möglichkeit ist für sie die Automatisierung.

Padron: Vieles, was die Unternehmen bei ihren Entscheidungen beeinflusst ist kulturell bedingt. Zahlreiche Management-Teams verstehen nicht, wie das globale Geschäft abläuft. Sie erledigen die Dinge einfach so, wie sie es immer gemacht haben.

Welche IT-Jobs werden in Amerika bleiben?

Padron: Sie müssen die Back-Office-Seite von der Kundenbetreuung trennen. Strategisch wichtige Arbeitsplätze wie im Kunden- und Beziehungs-Management werden in Amerika bleiben. Wir sagen nicht, dass es in den USA überhaupt keine IT-Innovationen mehr gibt. Viel Neues wird weiterhin aus den Staaten kommen, aber die Masse der Arbeitsplätze sitzt woanders. So kommen künftig beispielsweise tolle Möglichkeiten im Bereich Cloud Computing aus Amerika. Wenn dafür allerdings Programmierer gebraucht werden, dann kommen diese aus anderen Ländern.

Infosys ist bald so innovativ wie IBM

Aber werden nicht auch Länder wie Indien sich in Sachen IT immer weiter entwickeln? Kommen von dort nicht auch Innovationen?

Janssen: Das ist das Gefährliche an der Sache. Die Länder werden die entsprechenden Fähigkeiten entwickeln. Irgendwann wird Infosys genauso innovativ sein wie IBM.

Padron: Und einige IBM-Innovationen kommen nicht mehr aus den USA. Die Welt der Wirtschaft hat schon andere Dimensionen angenommen als die geopolitische Welt.

Sind die IT und der Verlust der IT-Arbeitsplätze ein Vorreiter für andere Unternehmensbereiche wie Finanz- oder Personalabteilung?

Finance wird viele Stellen verlieren

Janssen: Der Bereich Finanzen ist auf einem neuen Weg. Auch hier werden in den kommenden Jahren viele Stellen verloren gehen. Bei den Human Ressources wird das Ganze noch ein bisschen länger dauern, weil es sich hierbei um einen Business-to-consumer-Bereich handelt, während Finanzen und IT ein Business-to-Business sind.

Das Interview ist bei CIO.com erschienen. Übersetzung: Tanja Wolff