Dem 3D-Druck trauen die Menschen mittlerweile alles zu. So machte ein Experte aus Oxford im September den Vorschlag, man sollte die von radikalen Islamisten zum Teil zerstörte historische Ruinenstadt Palmyra in Syrien im Drucker wieder herstellen.
Die Idee war so ernst gemeint, dass ihr die Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts widersprechen musste. "Weder der Scan noch das Modell noch der Ausdruck würde das Material des originalen Baus wiedergeben, etwas über die Bautechnik des Denkmals oder seine Bauphasen aussagen", sagte Friederike Fless. Außerdem, so möchte man hinzufügen, ist bisher schwer vorstellbar, wie ein für dieses Projekt geeigneter Drucker aussehen könnte.
Palmyra ist ein Einzelfall, die Rekonstruktion von Baudenkmälern spielt in den Projektionen von Experten und Unternehmen eher keine Rolle. Aber die Idee zeigt, wie grenzenlos die Phantasien beim 3D-Druck beziehungsweise der "Additiven Fertigung" (siehe Kasten Seite 23) sind.
3D-Druck wird nicht massentauglich
Was von dem, das in Köpfen, Labors und Fabrikhallen herumgeistert, wird wichtig werden? Welche Möglichkeiten, die in der 3D-Drucktechnik stecken, haben irgendwann wirklich Einfluss auf unser Leben und Arbeiten? Wird diese neue Art zu produzieren alle alten verdrängen? Oder nur ergänzen?
Wir sind diesen Fragen auf den Grund gegangen. Anlass der Geschichte war eine der Wetten von CIOs für das jährlich erscheinende CIO-Jahrbuch, in denen es regelmäßig darum geht, wie die Welt der IT beziehungsweise bestimmte Teile von ihr in zehn Jahren aussehen könnten.
Thomas Endries, Senior Vice President der Schenker AG, und Peter Meyer, vormals bei Deutsche Post DHL IT-Services tätig, hatten sich dabei mit dem 3D-Druck beschäftigt. Sie wetten in unserem "CIO-Jahrbuch 2015", dass in zehn Jahren durch 3D-Printing rund 20 Prozent der heutigen, klassischen Fertigungsverfahren ersetzt sind. In Privathaushalten hingegen wird 3D-Printing kein Commodity-Produkt für jedermann sein.
Ihre Kernthesen: 3D-Printing wird kommen und die Fertigungsindustrie nachhaltig verändern, ebenso die Retail-Branche mit ihren Logistikketten. Es werde möglich sein, leichte, aber stabile Bauteile, die mit heutigen Verfahren so nicht herstellbar sind, präzise zu drucken.
Die Lagerhaltung verschwinde dadurch aber keineswegs. Keine große Verbreitung erlangt der 3D-Druck nach Meinung von Endries und Meyer als Heimanwendung für Privatverbraucher.
Das CIO-Magazin wollte wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass Endries und Meyer mit ihrer Prognose richtig liegen. Und weil Hellsehen ein schwieriges Geschäft ist, haben wir uns Hilfe geholt bei Experten; nicht fürs Hellsehen, sondern für Additive Fertigung.
3D-Druck wird schon heute in drei Bereichen genutzt: erstens als Heimanwendung für die Herstellung von Gefäßen oder Spielzeug. Zweitens im etwas größeren und professionelleren Maßstab als Print-on-Demand-Lösung. Vom "Figurenwerk" in Berlin-Kreuzberg zum Beispiel kann man seinen persönlichen Doppelgänger als 3D-Figur anfertigen lassen. Preis: je nach Größe zwischen 45 und 780 Euro. Haustiere sind günstiger. Drittens schließlich kommt der 3D-Druck seit mehreren Jahren in der Industrie zum Einsatz. Mit die größten Effekte beschert das Ganze der Flugzeugbranche.
Frédéric Thiesse, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg: "Viele Teile kann man damit einfacher als bisher oder sogar überhaupt erstmals herstellen, und das heißt unter anderem, dass man leichtere Flugzeuge bauen kann."
Von der Turbine bis zu den Klapptischen an der Rückseite der Sitze würden Flugzeugteile mit 3D-Druckern fabriziert. Dadurch sind sie leichter und gleichzeitig stabiler. Thiesse: "Wenn ich bei einem großen Passagierjet pro Teil jeweils ein paar Gramm einspare, das Flugzeug dadurch über Jahre weniger Kerosin verbraucht, dann entsteht in Summe ein relevanter Spareffekt in Form geringeren Energieverbrauchs, weiterer Non-Stop-Strecken oder günstigerer Ticketpreise."
Additive Fertigung spart Zeit
Auch an anderen, komplexeren Stellen eines Passagierjets werden heute Teile eingesetzt, die mit Additiven Verfahren entstehen. Nicht immer geht es dabei ums Gewicht, sondern zum Beispiel um Geschwindigkeit, sagt Christian Hinke: "Heute lässt sich das Triebwerk einer Rakete in einem Jahr herstellen, vor der Nutzung Additiver Verfahren dauerte es mehrere Jahre."
Hinke ist Geschäftsführer des in Aachen ansässigen "Forschungscampus Digital Photonic Production", eines Zusammenschlusses von Experten der RWTH Aachen, des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik (ILT) und einiger hochspezialisierter Firmen. Er betont, dass viele Teile durch das neue Produktionsverfahren auch qualitativ besser werden: "Einspritzdüsen für Triebwerke lassen sich heute in einem Stück drucken, statt sie aus 20 Einzelteilen zusammenzuschrauben. Dadurch werden sie nicht nur billiger, sondern auch haltbarer."
Die Gründe, warum der 3D-Druck in der Luftfahrtindustrie schon recht weit verbreitet ist, veranschaulichen grundsätzliche Erfolgsbedingungen dieses Verfahrens.
Da ist erstens wie beschrieben das hohe Sparpotenzial durch die Kumulation mehrerer Faktoren. Zweitens spielt der Preis für die Herstellung einzelner Teile nicht zwingend eine Rolle, weil sie durch dauerhafte Einsparungen bei den Betriebskosten mehr als ausgeglichen werden. Drittens geht es im Flugzeugbau um kleine Stückzahlen. Airbus verzeichnet 2013 genau 1503 Flugzeugbestellungen, der Volkswagenkonzern lieferte im selben Jahr fast zehn Millionen Autos aus. Viertens sind - auch das trifft im Autobau nicht zu - bei Flugzeugen oft individuelle, innovative Lösungen gefragt.
Trend | Additive Fertigung |
Fachleute nennen den 3D-Druck „Additive Fertigung“, weil da- bei schichtweise Material hinzugefügt (addiert) wird. Nutzbare Materialien sind (unterschiedliche) Kunststoffe, Metall (in Form von Pulver), Keramik oder auch Kombinationen aus diesen. Additiv fertigen lässt sich technisch mittlerweile fast alles. Der Prozess läuft so ab, dass Kunststoff in einer Düse geschmolzen, Metall selektiv gelasert oder per Elektronenstrahl geschmolzen wird. Das Schmelzen erfolgt je nach Verfahren vor oder nach dem Aufbringen des Materials auf das zu druckende Objekt. Als Vorlagen dienen softwarebasierte 3D-Modelle. Sowohl auf der Hard- wie auch auf der Softwareseite ist das Ganze relativ komplex, Hobbydrucker ohne Vorkenntnisse und Übung erzielen deshalb regelmäßig unbefriedigende Ergebnisse. |
Der Einsatz von Additiven Verfahren gibt in der Regel dann Sinn, wenn mindestens drei dieser Kriterien erfüllt sind. Beispiel Medizintechnik: Auch bei Prothetik oder Zahn-Inlays muss das Angefertigte sehr individuell und möglichst perfekt sein, die Stückzahl ist klein, und beim Preis kommt es auf ein paar Cent nicht an.
Beim Prototyping ist vorerst Schluss
Nach Ansicht von Steve Rommel, Gruppenleiter Generative Fertigung am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart, wird sich außer in Aerospace und Automotive gerade in der Medizin der 3D-Druck weiter ausbreiten: "Beispielsweise ließen sich in der Medizintechnik damit heute neuartige Gipsverbände passgenau aus neuen Materialien herstellen, so dass der Patient mit dem Verband auch unter die Dusche gehen kann." Großes Potenzial sieht Rommel auch im Maschinenbau, dem Ersatzteilgeschäft und generell überall dort, "wo es auf ein gutes Verhältnis zwischen Leichtigkeit und Beweglichkeit ankommt, etwa bei Greif- und Transportwerkzeugen".
Einen regelrechten branchenübergreifenden Boom bei der Umsetzung beobachtet er allerdings noch nicht. "Es gibt einen großen Gap zwischen der Menge der Anfragen und den tatsächlich umgesetzten Projekten. Viele Firmen wollen zunächst mal schlauer werden bei diesem Thema, sie wollen wissen, wo sie stehen." Viele setzen 3D-Druck zunächst im Prototyping ein. Und dabei wird es bei vielen Produkten und denkbaren Anwendungen voraussichtlich auch bleiben.
Kein Experte glaubt, dass Additive Verfahren das Gießen oder Pressen von Teilen irgendwann vollständig verdrängen. "Eine Autokarosserie wird man auch in Zukunft nicht in 3D drucken, das würde keinen Sinn ergeben", sagt zum Beispiel Forschungscampus-Chef Hinke. Aber die Formen und Werkzeuge für konventionelle Produktionsverfahren herzustellen, dazu eignet sich der dreidimensionale Druck hervorragend, weil er viele Einschränkungen des "normalen" Formenbaus nicht kennt.
Werkzeuge, praxisnahe funktionierende Prototypen, Kleinserien, diese drei Bereiche markieren die Zukunft der industriellen Nutzung des 3D-Drucks.
Und wie steht es um die Chancen eines Print-on-Demand-Service in Läden oder in irgendeiner Werkstatt auf Bestellung von Privatleuten?
An die Herstellung vor den Augen des Kunden glaubt der Würzburger Wirtschaftsinformatiker Frédéric Thiesse nicht: "Kein Mensch wartet stundenlang darauf, dass vor ihm eine Blumenvase gedruckt wird. Die meisten wären noch nicht mal bereit, eine halbe Stunde zu warten."
Co-Creating-Ansätze
Interessanter findet er da schon Co-Creating-Ansätze, die sich mit Hilfe von 3D-Druck besser und schneller umsetzen lassen. Als Beispiel nennt er den amerikanischen Spielzeughersteller Hasbro, der unter anderem mit großem Erfolg bunte Plastik-Ponys vertreibt.
Auf einer Website können die Ponyliebhaber eigene Versionen der Tiere kreieren und anschließend mittels 3D-Druck für sich und die gesamte Fan-Community produzieren lassen.
Die These dagegen, dass bald jeder Zweite in seinem Keller einen kleinen Produktionsbetrieb aufmacht, unterstützt Thiesse nicht. "Warum sollten Endverbraucher minderwertige Plastikteile drucken wollen? Jeder konventionell hergestellte Legostein ist qualitativ weitaus besser als alles, was aus einem aktuellen Billig-3D-Drucker kommt. Und das wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern."
Dass die Sache eher ein Nerd-Hobby bleiben wird, dafür spricht auch das Ergebnis eines aktuellen Tests von 3D-Druckern zu Preisen zwischen 500 und 3000 Euro durch unsere Schwesterpublikation "PC-Welt". Der letzte Absatz des Beitrags beginnt so: "Interessieren Sie sich für den Kauf eines 3D-Druckers, benötigen Sie bei allen Testkandidaten Freude am Experimentieren und handwerkliches Geschick."
Quintessenz: Unsere beiden Wettkandidaten Thomas Endries und Peter Meyer liegen völlig richtig: Sämtliche Experten bestätigen ihre Prognosen bezüglich des 3D-Drucks.
Was bleibt der Zukunft da noch anderes übrig, als genauso einzutreffen?